Wir müssen wohl endlich lernen, unser Haus selbst in Ordnung zu halten
Jetzt, wo sich der Staub etwas gelegt hat und die emotionale Erregung abflacht, ist eine gute Gelegenheit, sich rational mit ein paar Lehren aus der Wiederwahl von Präsident Trump auseinanderzusetzen – Lehren für die Vereinigten Staaten, aber ganz sicher auch für uns. Für die Demokratische Partei hält diese Niederlage einige bittere Lektionen bereit. Grundsätzlich verfestigt sich die Erkenntnis, dass ein bloßer Wahlkampf gegen den Kandidaten Trump und seine rassistischen und frauenfeindlichen Ansichten nicht ausreichend war, da eine solche Strategie das Kernthema, das viele umtrieb, leider verfehlt hat. Da auch in den USA nach der Wahl vor der Wahl ist, müssen sich die Demokraten für die Midterms in zwei Jahren neu aufstellen und sich möglicherweise stärker als bisher darüber klar werden, dass es in Wahlen vor allem um eines geht: um die Wirtschaft und das materielle Wohl der Wählerinnen und Wähler.
Gestiegene Lebenshaltungskosten und die ökonomische Entwicklung waren Themen, die Trump – auf seine inhaltsreduzierte Art und Weise – immer wieder in den Mittelpunkt seiner Kampagne gestellt hat. Da hat es für die Demokraten schlicht nicht ausgereicht, vor allem gegen Trump zu sein. Ob Trumps Mischung aus Raubtierkapitalismus und Protektionismus die Probleme lösen wird, darf bezweifelt werden, aber trotzdem waren diese Aspekte für die Wahlentscheidung von beträchtlicher Bedeutung.
Das ist übrigens in Deutschland nicht so viel anders: Auch hier klagen wir zu Recht über zu hohe Mieten, Wohnungsmangel und allgemein hohe Lebenshaltungskosten, mit denen Lohnanpassungen meist nicht Schritt halten. Die Tendenz rechtsextremer und rechtspopulistischer Parteien, etwa Flüchtlinge für alles Leid der Welt verantwortlich zu machen, könnte nicht so leicht verfangen, wenn niemand soziale und ökonomische Sorgen haben müsste, die an die Substanz zu gehen drohen.
Die Instrumentalisierung von sozialer Bedrängnis wird auch Thema des bundesdeutschen Wahlkampfes sein, und wer darauf überzeugende realistische – aber eben auch so manche unrealistische – Antworten liefert, könnte am Ende erfolgreich sein. Wir sollten also nicht allzu heftig über die „dummen“ Amerikaner die Nase rümpfen, als ob vergleichbare politische Mechanismen bei uns nicht ebenso funktionieren würden.
Für uns in Europa bedeutet dieses Ergebnis darüber hinaus, dass wir einen Diskussionsprozess wieder aufnehmen müssen, den wir in der ersten Amtszeit Trumps begonnen und dann wegen der Wahl von Präsident Biden – beinahe erleichtert – unterbrochen haben. Es geht um die Erkenntnis, dass wir uns auf die USA als verlässlichen Partner in sicherheits- und wirtschaftspolitischen Fragen eben nicht mehr verlassen können. Die inneren Umbrüche in der US-amerikanischen Gesellschaft, die sich in diesem Wahlergebnis manifestieren, machen das mittel- bis langfristig unmöglich. Früher waren die USA, unabhängig davon, ob der Präsident ein Demokrat oder Republikaner war, in zentralen Aspekten berechenbar. Das ist vorbei.
Völlig ungeachtet unserer eigenen internen Konflikte und Differenzen stehen wir jetzt vor der Herausforderung, unser Haus selbst in Ordnung zu halten. Der große Bruder aus Washington wird zunehmend zu einem entfernten Verwandten. Dies kann und sollte Auswirkungen auf die Europäische Union und eine europäische Sicherheitsarchitektur haben, die viel zu lange sträflich vernachlässigt wurde. Mit einem Präsidenten Trump ist weder Freihandel noch die bloße Existenz der Nato weiterhin eine garantierte Sache. Wer auf der Suche nach Stabilität ist, wird sich nunmehr auf die Weiterentwicklung alternativer Strukturen konzentrieren müssen. Das ist eine drängende Aufgabe.
So gesehen kann das Ergebnis der US-Wahl eine Chance in sich beinhalten, eine Chance auf Selbstbesinnung und vielleicht ein wenig Selbsterkenntnis. Wir werden genau beobachten müssen, auf welchen Pfad die US-amerikanische Politik nun genau geht, denn das wird auch bedeuten, dass wir uns andere Freunde in der Welt suchen müssen. Der mit Japan abgeschlossene erste Sicherheitspakt der EU könnte in die richtige Richtung weisen.