Die konstituierende Sitzung im Bezirksrat Saarbrücken West sorgte für Furore. Ein AfD-Politiker wurde zum Beigeordneten gewählt. Doch von wem kamen die Stimmen? CDU und SPD beschuldigen sich gegenseitig.
Dass es am 11. Juli im Saarbrücker Westen spannend werden würde, das war im Vorhinein klar. „Wir hatten uns an dem Wochenende nach der Stichwahl das erste Mal auf Kreisebene getroffen“, erzählt CDU Saarbrücken West Chef Andreas Neumüller. „Wir haben uns darüber ausgetauscht, wie wir eine gemeinsame Lösung finden und zusammenkommen. Ich habe an den Abend schon gesagt, dass es teilweise massive Vorbehalte seitens der CDU-Fraktion gegenüber der zuletzt amtierenden Bezirksbürgermeisterin Isolde Ries gibt und es viel Vertrauensarbeit braucht, um dort einen gemeinsamen Weg zu gehen.“ Konkret werfe die CDU der Sozialdemokratin Polemik und Parteipolitik statt echtem Interesse am Bezirk vor. „Wir hatten nach den Gesprächen allerdings nicht den Eindruck, dass Isolde Ries sich auf unsere Wünsche einlässt“, so Neumüller weiter. Das habe er auch dem SPD Gersweiler Vorsitzenden Bernd Weber per Mail mitgeteilt, mit der Bitte einen „konsensfähigen Kandidaten“ aufzustellen – eine Antwort habe er nie erhalten. „Hätte die SPD einfach gesagt, sie lassen einen anderen antreten, dann wäre auf jeden Fall ein Sozialdemokrat Bezirksbürgermeister geworden“, so Neumüller.
Der weitere Ablauf ist bekannt: Nachdem die CDU nach einander jedes einzelne SPD-Fraktions-Mitglied als Bezirksbürgermeisterkandidat vorgeschlagen hatten, die aber alle ablehnten, scheiterte Isolde Ries in zwei Wahlgängen an der Mehrheitsfindung. Beim dritten nominierte die CDU Hans-Jürgen Altes, der mit einer 11-zu-10-Mehrheit gewann. Eine Mehrheit, die mutmaßlich mit Stimmen aus der AfD, die bei der vergangenen Wahl einen großen Stimmzuwachs zu verzeichnen hatten und somit nun auf fünf Plätze im Rat kommen, zustande kam. Zum Vergleich: Die CDU hat sechs Plätze, die SPD acht, Linke und Grüne jeweils einen. Doch Altes Wahlerfolg habe auch bei der AfD für „großes Erstaunen“ gesorgt, wie Werner Schwaben berichtet: „Nicht alle Stimmen gingen von uns zur CDU“, erzählt er.
Was dann passierte, bezeichnet Schwaben als „Fundament für ein komplettes Chaos“: „Ich wurde aus eigenen Reihen von Klaus Wilhelm zum Kandidaten für das Amt des ersten Beigeordneten vorgeschlagen“, so Schwaben. Daraufhin schlug die CDU den Sozialdemokraten Jean-Luc Fuhrmann vor. „Man hat gesehen, dass er gerne kandidiert hätte, aber nicht durfte“, beschreibt Neumüller die Situation. „Also haben wir – damit nicht nur die AfD kandidiert – Volker Arnold vorgeschlagen.“
„Es war für uns klar, dass wir in der Konstellation mit Herrn Altes als Bezirksbürgermeister nicht zur Beigeordnetenwahl antreten“, bestätigt auch Weber. „Frau Ries hat dann dafür geworben, ungültig zu stimmen.“ Und so schritten die 21 Wahlberechtigten zur Urne – und kamen mit einem Ergebnis zurück, das so wohl niemand hatte kommen sehen: 4 Enthaltungen, 7 Stimmen für die CDU, 10 für die AfD. „Danach gab es Tumulte. Ulrich Commerçon hat sich ausfallend und unverschämt geäußert“, beschreibt Neumüller. Seinen Unmut tat der SPD-Saarbrücken-Chef auch sogleich bei „Facebook“ kund: „Statt wie vor Wochen zwischen SPD und CDU vereinbart die erfolgreiche und beliebte Bezirksbürgermeisterin Isolde Ries im Amt zu bestätigen und gemeinsam mit ihr und einem CDU-Stellvertreter den klaren Wählerwillen umzusetzen, hat sie den demokratischen Konsens aufgekündigt und gemeinsame Sache mit der rechtsextremen AfD gemacht“, postete er. „Die CDU in Saarbrücken hat durch die offenbar von langer Hand geplante strategische Partnerschaft mit der AfD nicht nur die Brandmauer gegen rechts eingerissen, sondern betätigt sich sogar als Brandbeschleuniger und Steigbügelhalter für die extreme Rechte. Alle Parteitagsbeschlüsse der Vergangenheit sind offensichtlich nicht das Papier wert, auf dem sie geschrieben wurden.“
Für Commerçon ist klar, von wem die fünf weiteren Stimmen für die AfD kommen müssen. Dabei spricht die Rechnung für einige auch erst einmal gegen diese Theorie: Wenn fünf der sechs Christdemokraten die AfD gewählt haben, dann hätten diese gleichzeitig darauf vertrauen müssen, dass mindestens sechs andere Ratsmitglieder die CDU unterstützen, damit es nicht auffällt. „Ich kann da nur spekulieren, aber ich schließe nicht aus, dass man darauf spekuliert hat, genug Stimmen von der SPD zu bekommen“, ist Weber trotz dieser riskanten Ausgangssituation überzeugt. „Hätte es nur einen AfD-Kandidaten gegeben, wäre es zu offensichtlich gewesen. Ich muss also davon ausgehen, dass es eine Absprache zwischen der CDU und der AfD gab.“
Doch Neumüller betont: „Es gab keine Absprachen mit der AfD. Es gab keinen Kontakt zwischen jemandem aus meinem Bezirk und der AfD – weder davor noch nach der Wahl.“ Mittlerweile gäbe es sogar von jedem Mitglied der CDU-Fraktion eine eidesstattliche Versicherung, dass keiner von ihnen Schwaben gewählt habe. „So wie die Zusammensetzung der Ergebnisse ist, müssen also drei bis fünf Sozialdemokraten Schwaben gewählt haben.“
Ein Vorwurf, den bereits Schwaben selbst der SPD im Rat kurz nach der Wahl machte: „Ich war total sprachlos über das Ergebnis und bedankte mich bei der uns gegenüberliegenden Seite: der SPD“, erzählt er. „Isolde Ries war sichtlich über ihr Scheitern so verärgert, dass sie der CDU einen AfD Beigeordneten ins Nest setzen wollte. Hohn aller Dinge und eine Diffamierung der untersten Schublade ist die Behauptung der SPD, die CDU hätte die AfD gewählt.“ Die Geschehnisse vor Ort hätten seine „Vorstellung von Manipulation übertroffen“.
Ob Schwaben damit auch Aussagen meint, die im Vorfeld der Wahl geflüstert worden sein sollen? „Isolde Ries ist zu allen SPD-Mitgliedern gegangen und man hat mehrfach laut das Wort ‚ungültig‘ gehört. Etwas leiser sprach sie zu den Personen um sich herrum auch davon, Schwaben zu wählen“, sagt nun Neumüller – und ist mit diesen Anschuldigungen nicht allein. Als Ries durch die Reihe ihrer Parteigenossen gegangen sei, habe sie explizit davon gesprochen, „eben ungültig oder die AfD“ zu wählen, sollen auch zwei weitere Anwesende, die namentlich nicht genannt werden möchten, gehört haben. Und auch unter Commerçons Facebook-Posting äußerte ein Besucher: „Ich saß bei den Wahlvorgängen in der ersten Zuschauerreihe hinter den SPD-, Grüne-, LINKE-Mandatsträgern. Nach der Bekanntgabe des Wahlergebnisses für den Bezirksbeigeordneten hörte ich aus den Reihen der vorne genannten die Äußerung: ‚Denen haben wir‘s jetzt aber mal gezeigt.‘ Der genaue Sachzusammenhang ist mir nicht bekannt, aber diese Äußerung hat bei mir Denkprozesse in Gang gesetzt.“ Anlass zum Nachdenken habe auch die schnelle Reaktion der SPD, gerade auch durch Commerçon, gegeben – zumindest für Andreas Neumüller: „Das alles sieht für uns nach einer im Vorfeld geplanten Kampagne der SPD aus. Sie wollten, dass es so aussieht, als hätten wir mit unseren Stimmen die AfD gewählt. Ich schätze, das sollte eine Retourkutsche sein. Von uns würde niemand einen AfD Kandidaten wählen.“ Von der SPD aber auch nicht, betont Weber: „Ich weiß, was im Vorfeld innerhalb der SPD besprochen wurde und ich kann versichern, dass da keiner den AfD-Kandidaten gewählt hat.“
So oder so: Das Kind liegt sprichwörtlich im Brunnen. Immer wieder regten sich seither Stimmen, die einen Rücktritt von Hans-Jürgen Altes fordern. „Herr Altes wusste von Anfang an, dass er nur mit Stimmen der AfD gewählt werden kann. Sie haben das ganz bewusst in Kauf genommen. Das kann nur ungeschehen gemacht werden, wenn Herr Altes sein Amt wieder zur Verfügung stellt“, so auch Weber. „Wenn Hans-Jürgen Altes zurücktritt, ist Schwaben Bezirksbürgermeister“, betont Neumüller aber. „Wir haben in unserer Pressemitteilung die SPD aufgefordert, die Abwahl von Schwaben mit uns herbeizuführen und danach mit uns in Gespräche einzusteigen. Schwaben muss auch aus unserer Sicht weg. Es ist nicht der Wunsch der Mehrheit des Rates, dass er auf dieser Position sitzt. Diesen Fehler der SPD wollen wir mit ihnen zusammen korrigieren und dann wieder eine gemeinsame Basis mit der SPD finden.“ Dieses Gesprächsangebot habe er auch schon Weber zukommen lassen, der jedenfalls in dem Punkt mit seinem CDU-Kollegen einer Meinung zu sein scheint: „Am Ende des Tages ist es wichtig, dass CDU und SPD wieder eine gemeinsame Gesprächsbasis finden.“
Am Ende sind im Saarbrücker Westen nach dem 11. Juli wohl alle in irgendeiner Art Wahlverlierer. Und Vertrauensarbeit ist wohl nicht mehr nur ein Thema zwischen CDU und SPD, sondern auch zwischen Rat und Bürgern.