Die Europameister von 2009 bildeten den Kern der Weltmeister von 2014. Danach wurde Deutschland noch zweimal Kontinentalmeister der U21. Der Einfluss hielt sich aber in Grenzen. Nun startet der nächste Junioren-Jahrgang mit großen Hoffnungen.

Es dauerte bis zur 20. Auflage der U21-Europameisterschaft, bis Deutschland zum ersten Mal den Titel holte. Viermal war ein deutsches Team bis dahin Zweiter geworden: 1974 (mit Hans-Jürgen „Dixie“ Dörner), 1978 und 1980 die DDR, 1982 die Bundesrepublik mit Rudi Völler als bestem Spieler und Pierre Littbarski als Torschützenkönig. Ansonsten stand für die Bundesrepublik ein fünfter Platz als bestes Ergebnis in den Büchern, was das DFB-Team freilich nicht daran hinderte, bis 1996 je drei Welt- und drei Europameistertitel mit dem A-Team zu holen. Selbst 2004 im eigenen Land schied ein prominent besetztes U21-Team mit Lukas Podolski, Bastian Schweinsteiger oder Thomas Hitzlsperger in der Vorrunde aus.
Auf Kroos und Müller freiwillig verzichtet
So eine Art Urknall folgte dann im Jahr 2009. Erstmals holte Deutschland nach einem furiosen 4:0-Finalsieg gegen England mit Kult-Trainer Horst Hrubesch den Titel. Und es entwickelte sich genau der Effekt, den man sich von einem solchen Turnier erhofft. Gleich sechs Spieler dieses Teams – Manuel Neuer, Jérôme Boateng, Benedikt Höwedes, Mats Hummels, Sami Khedira und Mesut Özil – stellten fünf Jahre später bei der WM in Brasilien das Gerüst der Weltmeister von Bundestrainer Joachim Löw. Auf zwei weitere spätere Weltstars und Weltmeister hatte Hrubesch sogar noch freiwillig verzichtet: Toni Kroos und Thomas Müller.
Hrubesch sagte damals schon voraus, dass ein „Großteil dieser Spieler es in den internationalen Spitzenbereich“ schaffen wird. Löw, damals schon Bundestrainer, erklärte, die Mannschaft habe „tolle Einzelspieler“ und sei gleichzeitig „wahnsinnig homogen“. Und die „Klasse von 2009“ hielt, was sie versprach. Vier der sechs damaligen Helden von Schweden kamen 2014 in Brasilien bei allen sieben Spielen zum Einsatz, Hummels bei sechs, Khedira bei fünf. Beim 1:0 im Finale gegen Argentinien standen fünf in der Startelf, der angeschlagene Khedira wurde eingewechselt.
Danach änderte sich ein wenig die Einstellung beim DFB und den Profi-Vereinen. In guten Jahren wurden nahezu alle gewünschten Spieler von ihren Vereinen freigestellt, obwohl es eine Pflicht dazu im Gegensatz zu Turnieren der A-Mannschaft wie selbst der Nations League nicht gibt. Man erkannte aber, dass sowohl einzelne Spieler als auch eine Gemeinschaft an einem solchen Erlebnis wachsen können, wenn man es als vollwertiges Turnier betrachtet und nicht als lästiges Beiwerk.

Hrubesch habe dem Team 2009 „die Siegermentalität eingehaucht“, sagte Löw später. Der wiederum entgegnete, seine Spieler hätten sich „hier voll mit der Sache identifiziert“ und deswegen gehe „der Jogi guten Zeiten entgegen“.
So kam es, obwohl bei der U21 danach erst mal zwei Enttäuschungen folgten. Für das Turnier 2011 verpasste das Team durch ein finales 1:4 auf Island mit den drei späteren Weltmeistern Hummels, Höwedes und Kevin Großkreutz die Qualifikation, was durch die später ersichtliche Stärke dieses isländischen Jahrgangs nur bedingt relativiert wurde. Trainer Rainer Adrion sprach von einem „Horror-Ergebnis“. Zwei Jahre später schied Deutschland ebenfalls unter Adrion in einer starken Vorrundengruppe mit den Niederlanden und Spanien aus. Matthias Ginter oder Antonio Rüdiger hießen da die heute prominentesten Spieler.
Kuntz sorgte für eine Wende

Beim nächsten Turnier 2015 übernahm wieder Hrubesch und führte ein Team um Marc-André ter Stegen und Joshua Kimmich ins Halbfinale. Dort gab es beim 0:5 gegen Portugal aber ein böses Erwachen. Und dann begannen die goldenen Jahre der deutschen U21 unter Stefan Kuntz mit drei Finalteilnahmen in Folge und zwei Titeln. Ausgerechnet der frühere Nationalstürmer und Europameister von 1996, der sich nach Trainerstationen in Neunkirchen, Karlsruhe, Mannheim und Ahlen 2003 entschieden hatte, lieber Funktionär als Trainer zu sein, wurde nach 13 Jahren Pause als Coach zur Idealbesetzung für die nachwachsenden Profis. 2017 wurde Deutschland durch ein 1:0 im Finale gegen Spanien Europameister, 2019 ging das Endspiel mit 1:2 gegen die Spanier verloren, 2021 triumphierte das Kuntz-Team durch ein 1:0 gegen Portugal.
Das deutete auf eine ganz große Zukunft des deutschen Fußballs hin. Doch so einfach ist die Rechnung nicht. Nach dem Sieg 2017 sagte Hrubesch in seiner Funktion als DFB-Sportdirektor über den Vergleich zu seinen 2009er-Champions: „Die Jungs von heute sind in vielen Dingen schon weiter als die Spieler damals.“ Sie kämen „früher auf das Niveau der Älteren“ und hätten damit schon eine größere „Wettkampfhärte aus den Vereinen“. Zudem habe man „jetzt die erste Generation der Spieler, die in ihrer Karriere die komplette Jugendförderung durchlaufen haben“. Die WM 2022 fand ebenso in einem Abstand von fünf Jahren zu diesem Triumph von 2017 statt, wie es im Fall von 2014 zu 2009 gewesen war.
Doch statt erneut den Titel zu holen, schied Deutschland zum zweiten Mal in Folge und zum zweiten Mal überhaupt bei einer WM in der Vorrunde aus. Zwar wurden immerhin acht Spieler der damals 23 nominierten A-Nationalspieler, doch kaum einer wurde zur festen Größe. Lediglich Serge Gnabry und Thilo Kehrer gehörten bei der WM 2022 zum Kader. Die anderen sechs – Waldemar Anton, Nadiem Amiri (je 7), Max Meyer (4), Maximilian Arnold (3), Mo Dahoud (2) und Yannick Gerhardt (1) – kamen bisher nur auf eine einstellige Zahl an A-Länderspielen.

Eine Erklärung dafür zu finden, ist nicht einfach. Vielleicht hatte Deutschland durch die neue Fokussierung auf das Turnier mehr herausgeholt aus dem Kader, auch weil Kuntz ein Trainer war, der viel auf Gemeinschaft und Teambuilding setzte. So war die Summe aller Teile mehr wert als die Einzelteile selbst. Auch aus dem Kader der 2019er-Finalisten hat sich mit Jonathan Tah nur ein Spieler als feste Größe bei den Senioren etabliert, mit Abstrichen noch Benjamin Henrichs. Aus der Riege der 2021er-Champions sind es mit David Raum, Nico Schlotterbeck und Florian Wirtz immerhin schon drei.
Überhaupt sollte das Ganze ein fließender Übergang sein. Denn die Bezeichnung „U21“ bedeutet nicht, dass beim Turnier nur Spieler unter 21 Jahren mitspielen dürfen. Die Altersvorgabe bezieht sich auf das erste Qualifikationsspiel. Bis die Endrunde stattfindet, sind viele der Spieler schon 23. Das führt dazu, dass manche der U21 eigentlich längst entwachsen sind. Das war aber zum Beispiel auch die Stärke des deutschen Kaders 2009.
Probleme mit der Nations League

Hrubesch durfte fünf Spieler mitnehmen, die schon zuvor zu Einsätzen im A-Team gekommen waren, darunter Neuer und Aogo. Wenn der aktuelle U21-Coach Antonio Di Salvo vom 11. bis zum 28. Juni in der Slowakei mit seinem Team um den Titel spielt, ist das schwieriger. Denn Bundestrainer Julian Nagelsmann spielt mit seinem Team direkt davor im Final Four der Nations League im eigenen Land um den Titel. Einziger Doppelstarter wird der Nagelsmann-Debütant Nick Woltemade vom VfB Stuttgart sein. Ansonsten gehören mit Wirtz, Karim Adeyemi, Tom Bischof und Aleksandar Pavlović noch vier Spieler zum Aufgebot von Nagelsmann, die altersmäßig noch bei Di Salvo dabei sein dürften. Dazu fehlen noch Bayern-Torhüter Jonas Urbig und Dortmunds Offensivspieler Maximilian Beier, die mit ihren Clubs im Sommer schon die Club-WM im Programm haben.
Als die größten Hoffnungsträger für die Zukunft gelten aus dem deutschen Kader in der Slowakei neben Woltemade der Freiburger Torhüter Noah Atubolu, der vor einem Wechsel nach Leverkusen stehende Bochumer Abwehrspieler Tim Oermann oder der bei Brighton & Hove Albion in der Premier League spielende Offensivspieler Brajan Gruda. Als wichtiges Zeichen gilt die Nominierung von Bayern-Leihgabe Paul Wanner. Der Heidenheimer hat bisher stets offengelassen, ob er seine Zukunft in der deutschen oder der österreichischen Nationalmannschaft sieht. Mit der U21 wird er aber noch nicht für Deutschland festgespielt sein.
Am Ende ist wieder spannend, was beim Blick zurück im Jahr 2030 bleiben wird. Wie viele der heutigen U21-Nationalspieler in fünf Jahren bei der A-WM in vier Ländern dabei sein werden. Und welchen Einfluss sie haben. Die „Klasse von 2009“ gilt als Benchmark.