H2O ist in Gefahr und rief jüngst das Europäische Parlament auf den Plan. Lösungen sind gefragt: Gemeinnützige Unternehmen und Start-ups lassen sich „was mit Wasser“ einfallen. Wer die Gewässer vom Zivilisationsschmutz befreien will, muss kreativ denken.
Nur die Ruhe: Der Waste-Shark von RanMarine Technology BV, einem niederländischen Unternehmen für Umwelttechnologie, bewegt sich so langsam, dass Lebewesen wie Fische rechtzeitig das Weite suchen. Zusammenstöße vermeidet der wassersäubernde Roboter mithilfe seiner Sensorik, insbesondere eines Laser-Entfernungsmessers. Ein guter „Hai“ offensichtlich, dessen Erfinder, Richard Hardiman, sich bei seinem Design besonders an Walhaien orientierte. Doch die Optik ist Nebensache. Es kommt auf die Umweltfreundlichkeit, die inneren Qualitäten des Waste-Hais an. Das Maschinenwesen kreuzt ohne Treibhausgasemissionen. Und es könnte den Menschen helfen, den Europäischen Green Deal im blauen Nass zu verwirklichen, indem es seinen Schlund weit aufsperrt und die Massen an Menschenmüll schluckt, auf die der Waste-Hai stößt.
Der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zufolge enden pro Minute etwa vier Lkw-Ladungen Plastik in Flüssen, Seen und Meeren. Pro Jahr sind das etwa 20 Millionen Tonnen Müll in Gewässern, mit Tendenz zu mehr.
Obwohl er einem weißen Hai verdächtig ähnelt, verschlingt der Roboter-Katamaran nur Zivilisationsabfall, der oben schwimmt – was leere Plastikflaschen gewöhnlich tun. Sein Fang sind bis zu 500 Kilogramm Plastikmüll pro Tag. Und Daten, die über die Qualität des Wassers aufklären.
Seinen Appetit stillt der Aqua-Saugroboter, wenn er nach Feierabend durchs Disneyland kreuzt. Oder durch Häfen und andere Wasseransammlungen, irgendwo auf der Welt. Bis zu acht Stunden ist die Aqua-Drohne auf vordefinierten Drei-Kilometer-Routen selbstständig unterwegs, während sie zu exakt vorgegebenen Wegpunkten navigiert. Abgegrenzt sollten die Einsatzgebiete des kleinen, autonomen Oberflächenfahrzeugs (ASV) sein.
„Unsere Meere sind keine Müllkippe“
Damit bewegt sich der Waste-Hai von RanMarine, dessen Entwicklung teilweise aus europäischen Fördertöpfen finanziert wurde, auf einer Wellenlänge mit dem Europäischen Parlament. Die 705 Abgeordneten aus 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben Mitte September in Straßburg neue Wegmarken für saubereres Wasser gesetzt: Mit der EP-Position sollen Grundwasser und Oberflächengewässer in der Europäischen Union weniger verschmutzt und die EU-Wasserqualitätsnormen verbessert werden. Denn viel Schädliches landet mit Müll in Wasser, das eigentlich voll Leben ist.
Das Ziel dieser Verhandlungsposition der EU-Volksvertreter gegenüber dem Rat: Gesundheit und natürliche Ökosysteme sollen besser als bisher vor giftigen Schadstoffen geschützt werden. Die EU-Beobachtungslisten zu Stoffen, die ein erhebliches Risiko für die menschliche Gesundheit und die Umwelt darstellen, sollen deshalb regelmäßig aktualisiert werden. Dahinter steht die Absicht, mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen und neuen Chemikalien Schritt zu halten. Sobald „geeignete Überwachungsmethoden“ identifiziert sind, sollen weitere Stoffe, unter ihnen Mikroplastik und antimikrobiell resistente Mikroorganismen, den Listen für Schadstoffe in Grundwasser und Oberflächengewässern hinzugefügt werden.
Gemäß dem jüngsten Weltwasserbericht, den die Unesco im Auftrag der Vereinten Nationen erstellt hat, wird Wasserknappheit in Zukunft selbst dort auftreten, wo die Ressource heute noch im Überfluss vorhanden ist, auch durch Probleme bei der Wasserqualität.
„Es ist erschreckend, wie viel Plastikmüll wir im und am Meer finden“, sagte der niedersächsische Umweltminister, Christian Meyer, im Sommer beim „Runden Tisch Meeresmüll“. „Unsere Meere sind keine Müllkippe, insbesondere nicht für lang haltbares Plastik, sondern ein wertvolles Ökosystem.“ Meyer zufolge reduzieren Strandmüllsammlungen oder „Fishing-for-Litter“-Aktionen die Müllbelastung. Doch was, wenn die Kunststoffe winzig klein und die Schadstoffe schwer zu erkennen sind?
Das gemeinnützige Unternehmen Wasser 3.0, das vor drei Jahren von der promovierten Chemikerin Katrin Schuhen gegründet wurde, will ganzheitlich mit Mikroplastik und Mikroschadstoffen wie Pharmazeutika, Pestiziden, PFAS und Schwermetallen in der (Ab-)Wasserreinigung umgehen. Das Karlsruher Non-Profit-Unternehmen hat nach eigenen Angaben das erste filterfreie Verfahren entwickelt, das Mikroplastik und Mikroverunreinigungen aus Wässern entfernt.
Und das geht so: Nachdem Fluoreszenzmarker das Mikroplastik im Wasser nachgewiesen haben, werden ihm anpassungsfähige Hybridkieselgele als eine Art Kleber hinzugegeben, die dafür sorgen, dass sich Mikro- und Nanoplastikpartikel verklumpen. Die Klumpen, die Popcorn ähneln, schließen Mikroschadstoffe ein. Das Plastik-„Popcorn“ sammelt sich an der Wasseroberfläche, wo ein Sieb es herauszieht. Weil das so einfach und flexibel ist, kostet das Verfahren auch nicht viel, zumal Wasser und Klumpen weiterverwertet werden sollen: Erste Forschungsprojekte zeigten Wasser 3.0 zufolge eine sehr gute Eignung als Dämm- und Baumaterial.
Schutz der EU-Gewässer
Auch das 2018 gegründete Start-up Everwave hat sich überlegt, was man mit dem ganzen Plastik anstellen kann. Die Idee: Kreditpunkte sammeln. Die Jungunternehmer aus Aachen setzen auf „Plastic Credits“. Der Plan: Firmen sollen ihren Müll- beziehungsweise Plastik-Fußabdruck kompensieren. Für jeden Euro, den die Wirtschaft als Obolus für ihre ökologische Verantwortung zahlt, holt Everwave ein Kilogramm Müll aus Flüssen. „Wirtschaft und Umweltschutz, die häufig als Gegenspieler bezeichnet werden, arbeiten so Hand in Hand“, sagt CEO Clemens Feigl. Durch das Plastic-Credits-Sammeln soll auch weniger Plastik über die Wasserstraßen in den Ozeanen stranden. Mehr als 820.000 Kilogramm Plastik hat das Unternehmen in Europa und Asien seit 2020 aus Flüssen wie der Donau oder dem Mekong gelesen. Zusätzlich soll Everwaves Plattform HiVex, die 2022 in der Nähe von Venedig erprobt wurde, künftig stationär auf breiten Flüssen liegen und den vorbeikommenden Abfall auffangen.
Beispielsweise in einer eigenen Sortierstation in Kambodscha gibt Everwave wiederverwertbares Plastik an lokale Abnehmer zur Weiternutzung. Mit dem Deutschen Forschungsinstitut für Künstliche Intelligenz (DFKI) analysiert das Start-up Zusammensetzung und Herkunft. Es verwendet Drohnen, um Aufnahmen von seinem Abfall-Fang zu machen. Durch Künstliche Intelligenz erkennt das Unternehmen schneller recycelbares Material, das in einer Kreislaufwirtschaft weiter von Wert sein kann.
Schon beim Entwerfen von Plastikprodukten sollte an Wiederverwertungs- und Aufarbeitungsqualitäten gedacht werden. Jacqueline Piaster vom Forschungs- und Entwicklungsteam von Everwave charakterisiert das als „nachhaltig und intelligent designt“. Plastik sei eine wertvolle Ressource. Auf Konferenzen resümiert Feigl das ökologische und ökonomische Potenzial von Kunststoffmüll: „Es ist ein wenig so, als entstünde aus Müll eine Währung.“
Ein verbesserter Schutz der EU-Gewässer sei äußerst wichtig, „insbesondere vor dem Hintergrund der immer drängenderen Auswirkungen des Klimawandels – in Verbindung mit der industriellen und landwirtschaftlichen Verschmutzung – auf unsere Süßwasserressourcen“, kommentierte Berichterstatter Milan Brglez die Positionierung des Europäischen Parlaments. Sobald der Rat aus Staats- und Regierungschefs der 27 Mitgliedstaaten plus EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen seine Position festgelegt hat, soll über die endgültige Form der Gesetzgebung zur Verbesserung der EU-Wasserqualitätsnormen beraten werden.