Vor wenigen Wochen übernahm Dr. Marcus Faber (FDP) den Vorsitz im Verteidigungsausschuss des Bundestages. Die Zeiten könnten dafür kaum herausfordernder sein. Denn neben der Bedrohung aus Russland hat die Bundeswehr genug eigene Baustellen auf ihrem Weg in Richtung Krisenfestigkeit.

Herr Dr. Faber, die Rolle Deutschlands und die der Bundeswehr haben sich angesichts der internationalen Sicherheitspolitik nicht zuletzt aufgrund des Krieges in der Ukraine verändert. Ist Deutschland dem gewachsen?
Deutschland muss dem gewachsen sein. Unsere Partner zählen auf uns. Deutschland wird hier auch von den Nachbarländern wie Polen und den Niederlanden als Rückgrat der Landstreitkräfte gesehen, als Drehscheibe. Und da geht es nicht darum, ob wir das wollen oder nicht, sondern das ist in der EU und in der Nato, unseren beiden Bündnissen für die Verteidigung, dann auch eine Pflicht.
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hatte es jüngst erst wieder gesagt: Es ist davon auszugehen, dass Russland ab 2029 militärisch in der Lage sein wird, einen Nato-Staat anzugreifen. Ist die Bundeswehr in ihrer jetzigen Verfassung verteidigungsfähig?
Ja, wir gehen von 2029 aus. Ich war vor zwei Wochen in den baltischen Staaten: Estland, Lettland, Litauen. Die gehen von 2027 aus. Die Bundeswehr ist derzeit alleine nicht verteidigungsfähig. Aber wir sind ja zum Glück 32 Staaten in der Nato. Und in der Summe kann die Bundeswehr dann doch einiges beisteuern. Mit dem, was wir jetzt auf den Weg gebracht haben – Sondervermögen, steigender Verteidigungshaushalt, jetzt auch der Auswahlwehrdienst – wird die Bundeswehr 2027 schon fitter sein als heute und 2029 nochmal fitter. Das heißt: Die Richtung stimmt. Wir justieren jetzt noch die Geschwindigkeit.
Sie sprechen das Sondervermögen an. Was ist mit den 100 Milliarden passiert?
Das Sondervermögen ist jetzt komplett verausgabt. Also wir haben alles vertraglich gebunden. Wir bezahlen natürlich erst, wenn die Produkte dann auch zulaufen. Vieles wurde auch schon geliefert. Wenn ich an die persönliche Ausrüstung der Soldatinnen und Soldaten denke – da geht es um Nachtsichtbrillen, um Regenbekleidung, um Stiefel – da ist schon viel passiert. Das geht auch weiter, größeres Gerät. Wir haben jetzt diese Woche 105 zusätzliche Kampfpanzer auf den Weg gebracht. Wir haben diese Woche vier zusätzliche Patriot-Systeme auf den Weg gebracht. Das kommt dann erst in den folgenden Jahren, aber es ist schon so, dass das Sondervermögen jetzt von der gesetzgeberischen Seite her ausgegeben ist.
Aber hat es auch gereicht?
Der Investitionsstau lag bei 300 Milliarden. Wir haben also 100 Milliarden Sondervermögen dagegengesetzt. Wir haben im normalen Verteidigungshaushalt eine Investitionsquote von, wenn es gut läuft, zehn Milliarden. Das kann auch mal weniger sein. Aber ich sage mal, wir kriegen in dieser Legislatur von den 300 Milliarden Investitionsstau knapp die Hälfte abgearbeitet. Das ist schon mal etwas. Aber da sieht man auch: Es ist noch viel zu tun.
Nun ist nicht nur Russland eine Bedrohung. Generell ist die sicherheitspolitische Situation durchaus angespannt. Wo ist die

Bundeswehr zurzeit im Einsatz – oder wo wird sie in der nahen Zukunft gebraucht werden?
Wir sind derzeit noch in Missionen im Einsatz, die wir so noch aus der Vergangenheit kennen. Also wir haben in Niamey, in Niger noch mal einen Luftwaffenstützpunkt, auch in Jordanien. Wir haben einige Soldaten bei den Vereinten Nationen im Einsatz, die im Südsudan dabei sind, die Konfliktparteien auseinanderzuhalten. Das sind teilweise recht kleinteilige Einsätze. Auch im Kosovo haben wir vor einem Jahr noch mal aufgestockt, weil die verschiedenen Bevölkerungsgruppen dort höheres Spannungspotenzial abgebildet haben. Das, was jetzt neu auf uns zukommt, geht mehr in Richtung Bündnisverteidigung. Das wird ganz, ganz massiv die Brigade Litauen sein. Die Zielstellung ist am Ende, knapp 5.000 Soldatinnen und Soldaten in einer Brigade in Litauen zu haben, mit einer Kaserneninfrastruktur, einer Logistikinfrastruktur, entsprechenden Unterkunftsmöglichkeiten und eben auch zusätzlicher Ausrüstung. Das heißt: Von den 105 Kampfpanzern, die wir diese Woche auf den Weg gebracht haben, gehen zum Beispiel 44 in diese Brigade nach Litauen.
Dann gibt es auch noch den Marine-Einsatz auf dem Roten Meer …
Genau. Also in der Mission „Aspides“ waren wir in der Vergangenheit mit der Fregatte „Hessen“ unterwegs und werden es auch in der Zukunft wieder sein, mit der Fregatte „Hamburg“. Derzeit ist dort zwar kein Schiff der Marine im Einsatz, aber wir werden uns dort immer wieder einmelden. Da sind verschiedene Staaten mit dabei, insbesondere Staaten, die Interesse haben, dass der internationale Handel nicht zusammenbricht. Also dass der Suezkanal weiterhin befahren wird. Die Huthi-Milizen im Jemen bedrohen dort Handelsschiffe, und die Kriegsschiffe der verschiedenen Nationen versuchen, diese Handelsschiffe zu schützen. Das ist also eine wichtige Mission, gerade für eine Handelsnation wie Deutschland. Für die Marine ist das natürlich schon eine Herausforderung, weil es tatsächlich ein scharfer Einsatz ist. Die Huthi sind nicht zu unterschätzen, und die Luftverteidigungsfähigkeiten der deutschen Marine sind auch auf wenige Schiffe spezialisiert. Das heißt: Auch nur die kommen da infrage. Und die haben dann auch eine höhere Belastung.
Bleiben wir beim Thema Auslandseinsätze. In Sachen Afghanistan-Abzug gibt es seit fast zwei Jahren einen Untersuchungsausschuss im Bundestag. Mit jetzigem Wissensstand: Welche Konsequenzen für kommende Einsätze müssen nach Afghanistan gezogen werden?
Mit jetzigem Wissensstand muss man sagen, dass die Zusammenarbeit der Ministerien unter der Großen Koalition eine Katastrophe war und dass man hier sieht, dass in den Abstimmungsprozessen zwischen Auswärtigem Amt, Verteidigungsministerium sowie dem Ministerium für Entwicklung- und Zusammenarbeit echte Missstände aufgetreten sind. Hier haben Koordinierungsprozesse deutlich zu lange gedauert. Das ist ein Punkt, den muss man für die Zukunft abstellen. Individuelle Verantwortlichkeiten habe ich hier bisher nicht wahrgenommen. Natürlich, die damaligen Minister müssen sich fragen, warum sie das nicht schneller abgestellt haben. Aber das ist tatsächlich auch ein Blick in die Vergangenheit und das ist nichts, was mit den aktuellen Bedrohungsszenarien zu tun hat.

Ein Riesenproblem bei der Bundeswehr ist aber auch die Personalnot. Minister Pistorius hat daher den Vorschlag zu einem von ihm genannten „Neuen Wehrdienst“ eingebracht. Wie sehen Sie das?
Die Idee des Auswahl-Wehrdiensts, die er vorgeschlagen hat, finde ich eigentlich sehr charmant, weil sie eben sehr schnell umsetzbar ist. Es bedarf da wenig Gesetzgebung. Ein wenig, ja, aber nicht zu viel. Und es sorgt eben dafür, dass man dann in kleinen Schritten aufbaut, die Kapazitäten der Bundeswehr zum Umgang mit Freiwilligen erweitert und dann eben auch die Motivierten bei der Bundeswehr hat und nicht wie im letzten Jahrtausend einfach so ziemlich jeden. Das ist, glaube ich, genau der richtige Weg.
5.000 Freiwillige sollen es im ersten Jahr sein – reicht das aus?
Es sind ja dann in der Endausbaustufe 30.000 Freiwillige pro Jahr. Es sind nur im ersten Jahr 5.000. Man wächst dann quasi langsam. Mit den 30.000 Freiwilligen pro Jahr hat man dann am Ende auch eine Bundeswehr, die schnell von 200.000 Soldatinnen und Soldaten auf 500.000 aufwachsen kann, weil Menschen eben bereits eine Grundausbildung haben. Diese Zahlen sind dann schon mal eine Ansage innerhalb der Nato, was auch die Abschreckung gegenüber Putin glaubwürdig macht.
Braucht es also keine Rückkehr zur Wehrpflicht, wie es beispielsweise die Union gefordert hat?
Glücklicherweise hat ja sogar die Union nicht die klassische Wehrpflicht aus den letzten Jahrtausenden auf einem Parteitag beschlossen, sondern ein abgestuftes Modell genutzt. Da ist jetzt, glaube ich, ein bisschen Konsens, dass man das, was der Minister vorgeschlagen hat, jetzt erst mal macht. Die Frage ist dann: wie? Da werden wir im Bundestag noch drüber sprechen. Stichwort Altersdiskriminierung, Stichwort Geschlechterdiskriminierung. Dass man es also nur für einige verpflichtend macht, die Fragebögen auszufüllen, halte ich nicht mehr für zeitgemäß, wenn jeder sein Geschlecht frei wählen kann. Das sind Diskussionen, die man auch führen muss. Aber dass man erst mal sagt: „Wir nehmen die Geeignetsten und Motiviertesten“, da besteht weite Einigkeit.
Durch das Aussetzen der Wehrpflicht und somit auch des Zivildienstes fehlen auch in sozialen Bereichen Leute. Könnte – oder müsste – der „neue Wehrdienst“ auch hier eine Chance sein?

Das glaube ich eigentlich nicht. Es gibt ja Freiwilligendienste, auch im sozialen Bereich oder im Gesundheitsbereich. Die kann man natürlich noch attraktiver machen, aber die sollten eben auch freiwillig bleiben. Wie der Auswahl-Wehrdienst ja jetzt auch. Um – ich nenne es mal so – Verwerfungen am Arbeitsmarkt zu klären, muss man Menschen attraktivere Jobs anbieten, muss man zum Beispiel im Pflegebereich Leute auch besser bezahlen. Aber jetzt zu sagen, ich mache Zwangsarbeit in dem Bereich und reiße dann Lücken beim Handwerksbetrieb, verschiebt das Problem ja nur von einer Stelle auf die andere. Wir haben gerade ein sicherheitspolitisches Problem. Da geht es um die Bundeswehr, da geht es nicht um die Pflegestation.
Ihre Amtsvorgängerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann zog unter anderem auch mit dem Wunsch nach einer Europäischen Armee ins EU-Parlament ein. Wie stehen Sie denn dazu? Brauchen wir eine europäische Lösung?
Absolut. Wir als Freie Demokraten setzen uns für europäische Streitkräfte ein, auch für einen europäischen Bundesstaat. In Deutschland vergleichen wir uns ja immer gerne mit China, aber wir haben weniger Einwohner als Vietnam. Man muss sehen, dass die europäischen Nationen im internationalen Vergleich häufig die Größe von Großstädten haben. Wenn ich an Staaten wie Kroatien, Portugal oder Dänemark denke, dann sind viele chinesische Städte größer, haben mehr Einwohner. Und dann ist es natürlich wichtig, dass man gemeinsame Beschaffungsprozesse aufsetzt, dass man gemeinsam trainiert. Wir sind alle in den gemeinsamen Bündnissen. EU und Nato gehen ohnehin nur zusammen in Einsätze. Dementsprechend gibt es da viele Effizienzreserven, die man nehmen kann.