Der illegale Organhandel hat sich zu einem gravierenden weltweiten Problem entwickelt. Das meist verbreitete Übel ist dabei der sogenannte Transplantationstourismus, bei dem gut betuchte Patienten zum Einsetzen eines illegal entnommenen Organs ins Ausland reisen.
Die organisierte Kriminalität ist weltweit auf dem Vormarsch. Mit einem Jahresumsatz, den das UN-Büro zur Drogen- und Verbrechensbekämpfung auf rund 870 Milliarden Dollar schätzt, kann das organisierte Verbrechen locker mit dem Bruttoinlandsprodukt so mancher Industriestaaten mithalten. In der Öffentlichkeit und Ende 2022 auch in einem Strategiepapier von Bundesinnenministerin Nancy Faeser werden damit jedoch meist nur Delikte wie mit Menschenhandel verbundene Prostitution, Drogengeschäfte oder Geldwäsche assoziiert. Der illegale Organhandel, der sich längst zu einem globalen Phänomen und Problem entwickelt hat, wird in den Medien vergleichsweise selten thematisiert. Seine blutige Spur wurde in den letzten Jahren nur hin und wieder aufgedeckt, wenn irgendwo auf der Welt schreckliche Geschehnisse rund um obskure Organentnahmen enthüllt wurden. Der Großteil geht allerdings lautlos und ganz im Verborgenen über die Bühne. Dabei treffen Nachfrage und Angebot häufig in der Anonymität des Internets aufeinander. In manchen Ländern, ganz anders als in Deutschland, wird der Organhandel sogar weniger massiv geahndet.
Zwar war 2018 das „Übereinkommen des Europarates gegen den Handel mit menschlichen Organen“ in Kraft getreten und wurde seitdem von 25 Mitgliedsstaates des Europarats sowie von Costa Rica unterzeichnet. Von einem, besonders auch von den Vereinten Nationen immer wieder geforderten, verbindlichen internationalen Abkommen ist man allerdings noch immer weit entfernt. Die Nichtregierungsorganisation Global Financial Integrity (GFI), die es sich zur Aufgabe gemacht hat, illegale Finanzströme zu analysieren, schätzt die Gewinne des illegalen menschlichen Organhandels auf 600 Millionen bis zwei Milliarden US-Dollar. GFI und die Weltgesundheitsorganisation WHO gehen davon aus, dass zehn Prozent aller Organtransplantationen, einschließlich Lunge, Herz und Leber, inzwischen illegal erfolgen. Die Nieren werden mit Abstand am häufigsten gehandelt. Laut Schätzungen der WHO werden jährlich weltweit 10.000 Nieren auf dem Schwarzmarkt, der auch als „Red Market“ bezeichnet wird, verhökert.
In der Bundesrepublik existiert ein illegaler Organhandel nicht. Hierzulande gibt es auch keine „Organmafia“, wie Frank Ulrich Montgomery, der Ehrenpräsident der Bundesärztekammer in Abwehr heftiger medialer Attacken nach Bekanntwerden des sogenannten Organspendeskandals im Jahr 2012 betont hatte. Damals, als Montgomery noch Präsident der Bundesärztekammer war, wurde aufgedeckt, dass einige Ärzte an wichtigen Transplantationszentren in Göttingen, Leipzig, München und Münster Patientendaten zwecks bevorzugter Vergabe von Spenderorganen manipuliert hatten. Danach war das Vertrauen rund um die Organspende bei den Bundesbürgern kurzzeitig tief erschüttert, was sich auch in der Zahl der Organspende-Ausweise niederschlagen sollte. Seit diesem Skandal wurden die ohnehin schon recht strengen Regeln im Zusammenhang mit der Organspende in Deutschland noch weiter verschärft und die Zahl der Kontrollen der hiesigen Transplantationszentren noch deutlich erhöht.
Rund 10.000 Nieren werden jährlich auf dem Schwarzmarkt verkauft
Im Jahr 2019 musste die damalige Bundesregierung auf eine Nachfrage der AfD-Fraktion Stellung zum Stand des illegalen Organhandels und Organtourismus in der Bundesrepublik nehmen. In der Antwort konnte die Bundesregierung das erfreuliche Fazit ziehen, dass Verstöße gegen das Verbot des Organhandels „äußerst selten“ seien. In den Jahren zwischen 2009 und 2017 habe es insgesamt lediglich 26 Fälle gegeben. Größtenteils handelte es sich um versuchte Organvermittlungen im Internet oder um Manipulationen von Patientendaten im Zusammenhang mit der Organvermittlung. Für den Erfolg bei der Bekämpfung des illegalen Organ- und Menschenhandels zum Zwecke der Organentnahme machte die Bundesregierung in ihrer Antwort auch die scharfe strafrechtliche Sanktionierung durch das 1997 in Kraft getretene Transplantationsgesetz (TPG) verantwortlich. Die Anforderungen sowohl betreffs der Lebend-Spende von Organen als auch der postmortalen Organspende seien in Deutschland sehr streng gefasst. So sei die Lebendspende von Organen nur zulässig, wenn die Person volljährig, einwilligungsfähig und aufgeklärt worden sei und in die Entnahme eingewilligt habe. Zusätzlich sei die Entnahme von nicht regenerierungsfähigen Organen bei einer lebenden Person nur zum Zwecke einer Übertragung auf einen engen Kreis von Personen zulässig, „die dem Spender in besonderer persönlicher Verbundenheit nahestehen“. Dazu kommen natürlich noch die Organe, die aufgrund des Spenderausweises post mortem zur Transplantation zur Verfügung stehen.
Bezüglich des Organtourismus blieb die Bundesregierung eine Antwort schuldig, weil offenkundig keine gesicherten Nachweise darüber vorliegen. Was natürlich nicht ausgeschlossen hatte, dass ein schwerkranker deutscher Patient, eventuell frustriert durch die lange Warteliste, sich irgendwo im Ausland ein Spenderorgan einsetzen ließ. Diesbezüglich dürfte es sicherlich eine gewisse Dunkelziffer geben. In Deutschland selbst dürfte es unmöglich sein, ein illegal beschafftes Organ durch einen Chirurgen in dessen Freizeit in einer mit Geld geschmierten Klinik transplantiert zu bekommen, wie das angeblich in verschiedenen Ländern noch immer möglich ist.
Eine weltweit einheitliche Definition für „illegalen Organhandel“ gibt es laut den Wissenschaftlichen Diensten des Deutschen Bundestages nicht. Diese Institution hatte 2017 den Informationsstand zum Thema in einer 14-seitigen Ausarbeitung mit dem Titel „Weltweiter Organhandel und geografische Brennpunkte des Organhandels“ zu Papier gebracht. Mit der Einschränkung, „dass verifizierte Quellen, die Aufschluss über den weltweiten Organhandel geben könnten, kaum vorhanden sind“. Das Ganze spiele sich überwiegend im Verborgenen ab, weshalb eine hohe Dunkelziffer unentdeckter Fälle sehr wahrscheinlich sei. „Die Erkenntnisse fußen daher, zumindest indirekt, auch auf Berichten von Betroffenen, Journalisten oder anderen Beobachtern.“ Ihrer Analyse legten die Wissenschaftlichen Dienste eine Definition des Begriffs „illegaler Organhandel“ als Organ- und Gewebehandel im Sinne des Transplantationsgesetzes, des Menschenhandels zum Zwecke der rechtswidrigen Organentnahme im Sinne des Strafgesetzbuches sowie des sogenannten Transplantationstourismus zugrunde.
Nach WHO-Schätzungen werden bis zu 75 Prozent menschliche Nieren gehandelt, wofür auf dem Schwarzmarkt laut Angaben von Silke Albert vom UN-Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung in Wien bis zu 300.000 US-Dollar vom Empfänger gezahlt werden. Wovon die meist aus ärmlichen Verhältnissen stammenden und von sogenannten Organmaklern ganz gezielt unter Ausnutzung der wirtschaftlichen Zwangslage sowie meist unter Verharmlosung des Eingriffs ausgesuchten Spender nur einen verschwindend kleinen Anteil erhalten. Ganz zu schweigen von einer absolut notwendigen medizinischen Nachsorge. Häufig scheinen die Spender sogar ganz leer auszugehen, da ihnen Formulare in fremder Sprache zum Unterschreiben vorgelegt werden und viele des Lesens nicht mal mächtig sind.
Übereinstimmend mit den Angaben der Bundestags-Dokumentation wies Silke Albert darauf hin, dass von dem verbrecherischen Deal meist mehrere Länder betroffen sind. „Dann stammt der Spender aus einem Land, der Empfänger aus einem zweiten, und die Transplantation wird schließlich in einem dritten Land durchgeführt“, so Albert in einem Interview mit der „Welt“. Der sogenannte Transplantationstourismus ist denn auch heute laut der Analyse der Wissenschaftlichen Dienste die am weitesten verbreitete Form des illegalen internationalen Handels von Organen. Meist handelt es sich um geradezu makabre All-Inclusive-Offerten. In der Regel locken die „Organmakler“ ihre potenziellen Kunden mit Angeboten im Internet an. Nach Kontaktaufnahme und Vorauszahlung des vereinbarten Betrages muss der Empfänger die nötigen Angaben wie Blutgruppe oder Gewebetypus an den Mittelsmann weiterleiten, damit dieser dann den passenden Spender in Slums oder Armutsvierteln aufspüren kann. Die Mittelsmänner verfügen in der Regel auch über die Kontakte zu Kliniken, wo Ärzte und Krankenschwestern für den Eingriff bereitstehen, und wohin der Empfänger dann nur noch anreisen muss.
„Empfänger sind meist wohlhabende Personen aus Indien, China oder dem Nahen Osten, aus Ländern, in denen keine Organspenden von Verstorbenen vorgesehen sind“, so der renommierte US-Bioethiker Prof. Arthur Caplan von der Grossman School of Medicine der New York University. Prof. Caplans Einsichten zum Organhandel hat sich auch der Europarat zu eigen gemacht. Laut Prof. Caplan lassen sich nur wenige Europäer oder Nordamerikaner eine Niere im Ausland verpflanzen. „Sie machen sich zu große Sorgen über die Qualität des Spenderorgans“, so Prof. Caplan in einem Beitrag der Wiener Tageszeitung „Die Presse“. Die Empfänger sind laut Prof. Caplan nicht nur wohlhabend, sondern meist männlichen Geschlechts, weil Frauen die Dienste von Organhändlern nur selten in Anspruch nehmen würden. „Das Angebot an Spendern ist dort zu finden“, so Prof. Caplan, „wo auch Frauen- und Kinderhandel zum Zweck der Prostitution passiert“. Sprich in Entwicklungs- und Schwellenländern wie Indien, Pakistan, Brasilien oder auf den Philippinen. In Europa werden laut Prof. Caplan immer wieder Länder wie die Ukraine, Rumänien, der Kosovo oder Moldau genannt.
65 Prozent aller in China transplantierten Organe stammten von hingerichteten Häftlingen
„Die Route des Organhandels folgt generell dem modernen Kapitalfluss von Entwicklungsländern zu Industriestaaten“, so das Resümee der Bundestags-Dokumentation. Diese ordnet den Großteil der Organ-Empfänger den Ländern Australien, Kanada, Israel, Japan, Oman, Saudi-Arabien und den USA zu, wobei reiche Bürger aus Saudi-Arabien die illegalen Dienste am häufigsten in Anspruch nehmen. Zu den wesentlichen „Organ-exportierenden“-Staaten zählte die Dokumentation noch immer Indien hinzu, obwohl es dort schon seit 1994 Bestrebungen gebe, den illegalen Organhandel offiziell zu verbieten. Dennoch sollen weiterhin jährlich mehr als 1.000 Nieren ins Ausland gelangen, der Transplantationstourismus floriere inzwischen aber auch in Pakistan und auf den Philippinen. „Aber auch Länder wie Costa Rica, Kolumbien, Ägypten, Vietnam und der Libanon scheinen neue Organ-Exporteure zu sein. Ebenso sollen in Israel, Moldawien, der Türkei, dem Irak, Peru, Bolivien und Brasilien Nieren verkauft werden“, so die Bundestags-Analyse. Ein Sonderfall ist der Iran, wo seit 1988 die Lebend-Nierenspende auch unter Nicht-Verwandten offiziell gestattet ist und seit 1997 durch Geldzuwendungen und andere Vergünstigungen staatlicherseits unterstützt wird. Spender und Empfänger müssen allerdings iranische Staatsbürger sein, eine Bestimmung, die angeblich inzwischen von betuchten Arabern durch Passfälschungen unterlaufen wird.
Ein weiterer, ganz krasser Sonderfall ist China, dessen Organtransplantations-Praxis seit vielen Jahren international heftig kritisiert wird. Zwar wurde den öffentlichen Krankenhäusern ein Mitwirken am Organhandel verboten, aber dennoch werden weiterhin offiziell jährlich rund 10.000 Nieren-Transplantationen bei einer Spenderorgan-Warteliste von 1,5 Millionen vorgenommen, obwohl es in China keine Kultur der Organspende mit Rücksicht auf die konfuzianische Tradition gibt. Lange Zeit stammten 65 Prozent aller in China transplantierten Organe von hingerichteten Häftlingen. Was von offizieller chinesischer Seite gar nicht abgestritten wurde, aber mit dem Versprechen verbunden wurde, ab 2014 diese Praxis durch Aufbau eines Spendenregisters zu minimieren. Diese Zusage scheint China aber nicht eingehalten zu haben. Denn in der Bundestags-Dokumentation wurde mit Bezug auf einen kanadischen Untersuchungs- und Enthüllungsbericht aus dem Jahr 2016 eine Nieren-Transplantationszahl von 150.000 bis 200.000 genannt. Laut diesem Bericht lasse sich der enorme Anstieg nur dadurch erklären, „dass die Organe hauptsächlich von gefangenen Falun-Gong-Anhängern sowie ferner von Uiguren, Tibetern und von Hauschristen stammen, die allein für die Organentnahme getötet würden. Sogar von noch lebenden Opfern sollen Organe entnommen worden sein.“ Sowohl Europarat als auch das US-Repräsentantenhaus hatten die Vorwürfe als glaubwürdig eingestuft, UN-Menschenrechts-Experten hatten auch im Sommer 2021 noch heftige Kritik an Organentnahmen bei inhaftierten Minderheiten geübt.
Ermöglicht wurde der Organhandel erst nach der ersten erfolgreichen Nierentransplantation im Jahr 1954. Frühe Berichte über einen kommerziellen Organhandel tauchten in den 1980er-Jahren auf, als verarmte Inder ihre Nieren an ausländische Patienten verkauften. Zeitgleich gingen Gerüchte über gewaltsame Organentnahmen im Rahmen von Menschenverschleppungen durch diktatorische Militärregime in Brasilien, Argentinien oder Chile um die Welt. Auch im Zusammenhang mit dem Kosovo-Konflikt konnten Organentnahmen von Gefangenen in albanischen Kliniken zu Transplantationszwecken im Ausland nachgewiesen werden. Später sollte der IS-Terrormiliz der illegale Handel mit Organen zur Eigenfinanzierung vorgeworfen werden. Seit 2010 häufen sich die Berichte über afrikanische Flüchtlinge, vorwiegend aus Eritrea, die von Verbrecherbanden im Nordsinai zum Verkauf ihrer Organe getötet werden. Angesichts des eklatanten weltweiten Mangels an legalen Spenderorganen ist es nicht weiter verwunderlich, dass inzwischen eine breite, sehr kontrovers geführte Diskussion darüber begonnen hat, ob ein regulierter, offizieller Organmarkt eine Lösung des Problems sein könnte.