Darja Nikolajewna Saltykowa zählt zu den schlimmsten Serienmörderinnen der Geschichte. Die Adlige tötete auf ihrem Landgut südlich von Moskau im 18. Jahrhundert auf grausamste Art 140 Menschen – meist weibliche Leibeigene.
Das Martyrium der Frauen und jungen Mädchen begann meistens mit Bestrafungen, weil ihre Herrin mit deren Arbeit nicht zufrieden war. Diese prügelte mittels Holzbalken oder einem heißen Bügeleisen auf die Opfer ein und forderte diese danach auf, ihre häuslichen Aufgaben in besserer Manier wieder aufzunehmen. Da die Misshandelten dazu nicht mehr in der Lage waren, ließ Darja Nikolajewna Saltykowa die Frauen und Mädchen von bediensteten Komplizen fesseln, um sie foltern zu können. Zu den verbürgten Rechten der adligen Grund- und Gutsbesitzerin im damaligen Russland gehörte nämlich die körperliche Züchtigung ihrer Leibeigenen. Diese Art, ihre wehrlosen Opfer nicht direkt zu töten, sondern sie qualvoll an den Folgen der massiven Folterungen und Verletzungen sterben zu lassen, lässt sehr wahrscheinlich auf eine sadistische Veranlagung der Gutsherrin schließen.
Ohren wurden abgerissen
Zu ihren bevorzugten Methoden gehörten das Verbrennen der Haare, das Übergießen von Kopf oder Gesicht mit kochendem Wasser oder das Abreißen der Ohren mittels einer glühenden Zange. Tritte in den Bauch von Hochschwangeren standen im Landgut Troizkoje nahe der südlich von Moskau gelegenen Stadt Podolsk ebenso auf der Tagesordnung wie das Festbinden unbekleideter Opfer bei eisigem Frost im Freien oder das Hinsiechenlassen von Gefolterten durch Nahrungs- und Flüssigkeitsentzug. Die Leichen wurden anschließend ohne viel Aufhebens auf Kutschen gut versteckt abtransportiert und irgendwo verscharrt. Verantwortlich für bis zu 140 Morde war die hochwohlgeborene Darja Nikolajewna Saltykowa, die unter ihrem Spitznamen „Saltytschina“ sehr bekannt werden sollte. Dass eine mächtige adlige Großgrundbesitzerin zur Massenmörderin an ihren Leibeigenen werden konnte, war in der Geschichte aber keineswegs beispiellos.
Zu Beginn des 16. Jahrhunderts – also sogar noch vor der hinlänglich als „Blutgräfin“ zur historischen Berühmtheit aufgestiegenen Ungarin Elisabeth Báthory – hatte in Böhmen die Gräfin Kateřina von Komárow ihr mörderisches Unwesen mit häufig zum Tode der Betroffenen führenden Folterungen getrieben. Sie wurde für ihre Verbrechen mit mindestens 14, aber wahrscheinlich bis zu 30 Opfern zur Haft im Mihulka-Turm auf der Prager Burg verurteilt, wo sie am 15. März 1534 infolge von Verhungern verstarb. Etwa 100 Jahre später stieg im fernen Chile der Kolonialzeit die Großgrundbesitzerin Catalina de los Rios y Lisperguer (1604–1665), besser bekannt unter ihrem Spitznamen „La Quintrala“, zur am meisten gefürchteten Frau in der Historie des Landes und zum Synonym für weibliche Perversität auf. Der Legende nach wurden ihr Verbrechen von Giftanschlägen und Messerattacken im privaten Umfeld bis zum Quälen und Foltern von Sklaven und dem dadurch verursachten Tod auf ihren riesigen Plantagen vorgeworfen.
Darja Nikolajewna Iwanova hatte am 11. März 1730 als dritte Tochter einer reichen und alten russischen Adelsfamilie das Licht der Welt erblickt. Über ihre Kindheit ist nichts bekannt, sie scheint aber schon recht früh eine für sie vorteilhafte Ehe mit dem adligen Offizier Gleb Alexejewitsch Saltykow eingegangen zu sein. Die Familie Saltykow gehörte zu den mächtigsten Familien Russlands mit reichlich Landbesitz, Vermögen und direkten Verbindungen zum Zarenthron. Darja gebar zwei Söhne, Theodor (1750–1801) und Nikolaus (1751–1775), wurde 1755 jedoch schon im Alter von 26 Jahren Witwe. Zu ihrem beträchtlichen Besitz gehörte eine repräsentative Villa in Moskau, daneben standen ihr auch große Besitztümer auf dem Lande zur Verfügung, wobei sie sich meist auf ihrem Gut Troizkoje, nahe der ehemaligen russischen Hauptstadt, aufgehalten hatte. Dort sollte auch bald ihre Verbrechensserie ihren Anfang nehmen.
Dafür gab es zunächst keinerlei Anzeichen, galt Darja doch als fromme und gottesfürchtige Frau, die Kirchen und Klöster mit Spenden geradezu fürstlich bedacht hatte. Und auch die Affäre mit dem Ingenieur Nikolai Tjuttschew hatte ihrer persönlichen Verfassung nach dem Tod des Ehemannes offenbar sehr gut getan. Doch dann wurde sie plötzlich von ihrem Liebhaber im Stich gelassen, weil sich Nikolai mit einer jüngeren, angeblich rothaarigen Dame im Mädchenalter eingelassen und diese auch noch heimlich geheiratet hatte. Das wurde häufig als mögliche Ursache für die Mordgelüste der Saltykowa interpretiert. Wobei sich deren Hass nach dem Motto „je jünger, desto besser“ vor allem auf Frauen konzentriert haben soll – die beiden einzigen männlichen Opfer waren wahrscheinlich nur ein „Kollateralschaden“. Die Frauen, darunter auch einige elf- bis zwölfjährige Mädchen, seien gewissermaßen in Sippenhaft genommen worden als Vergeltung für die Rivalin. Selbst wenn diese Einschätzung stimmen sollte, so kann sie eigentlich nur als Beleg für eine schwere Persönlichkeitsstörung von Darja Saltykowa angesehen werden.
Zarin setzte ein Zeichen
Bis heute ist unklar, wann genau die Verbrechensserie anfing. Gerüchte über die schrecklichen Geschehnisse auf dem Gut sollen jedenfalls recht schnell die Runde in den benachbarten Dörfern gemacht haben. Zumal die Leichentransporte mithilfe der Kutschen offenbar nicht gänzlich vertuscht werden konnten und die dabei enthüllten Verstümmelungen oder Schwerstverletzungen die Verursacherin unter einen erheblichen Erklärungsdruck setzten. Doch dank ihrer exzellenten Beziehungen und Geldzuweisungen an korrupte Mitarbeiter in Justiz und Polizeiwesen konnte Saltykowa jahrelang jegliche Strafverfolgung vermeiden. Selbst diverse Beschwerden, die sogar Leibeigene im damaligen Russland kollektiv oder auch individuell an oberste Stellen bis hin zum Zarenthron einreichen durften, konnten daher einfach unter den Tisch gekehrt oder sogar zur einschüchternden Bestrafung des Einreichenden genutzt werden. Erst als im Sommer 1762 eine, von zwei durch Darjas Taten persönlich betroffenen Leibeigenen verfasste Petition, direkt in die Hände der Zarin Katharina die Große in St. Petersburg gelangt war, begann es brenzlig für die Serienmörderin zu werden. Saltykowa wurde in Haft genommen, und es wurden umfangreiche Ermittlungen eingeleitet, die im Mai 1764 die Basis für eine Anklageerhebung bildeten.
Für Katharina die Große, die 1862 als landesfremde Fürstin und durch einen Staatsstreich zur Macht gekommen war, stellte die etwaige Verurteilung einer renommierten russischen Adligen ein gehöriges Problem da. Denn mit dem heimischen Adelsstand wollte sie es sich keinesfalls verscherzen. Da die Todesstrafe im russischen Reich 1754 abgeschafft worden war, musste sie sich über dieses drakonische Urteil schon mal keine Gedanken machen. Dennoch war die Zarin bereit, ein Zeichen gegen die Grausamkeit im Rahmen der von ihr wenig geschätzten Leibeigenschaft zu setzen. Daher sprach sie gegen Darja Saltykowa ein (später wieder zurückgenommenes) Todesurteil aus und stellte sie dazu noch am 17. November 1768 in Moskau in Ketten und mit einem die Aufschrift „Peinigerin und Mörderin“ tragenden Schild um den Hals an den Pranger. Zwar hatten die Ermittlungsbeamten 138 verdächtige Todesfälle ausmachen können, doch nur in 38 Fällen konnten sie Saltykowa eine direkte Schuld nachweisen. Das aber reichte aus, um der Verbrecherin ihren Adelstitel und ihr gesamtes Vermögen zu entziehen. Und sie darüber hinaus zu einer lebenslangen Haft im Moskauer Iwanowski-Kloster zu verurteilen. Dort wurde sie zunächst für lange elf Jahre in einem stockdunklen Holzkerker untergebracht. Um danach die weiteren von insgesamt 33 Jahren in Gewahrsam in einer etwas angenehmeren Zelle mit Fensteröffnung bis zu ihrem Tod im Alter von 71 Jahren am 9. Dezember 1801 zu verbringen.