Auf den ersten Blick scheint in Sachen Kuschelmode Fake Fur die einzige akzeptable Lösung zu sein. Doch so einfach ist das nicht, vor allem in Hinblick auf die ökologischen Faktoren und die Frage nach der ethisch-gesellschaftlichen Vertretbarkeit.
Die Ukrainerin Oksana Devoe hat mit ihrer bereits 2008 gegründeten, von Anfang an auf die Verarbeitung von nachhaltigen Hanftextilien spezialisierten Marke Devo Home als erste Designerin weltweit Mäntel oder Jacken aus Hanf-Kunstpelz auf den Markt gebracht. Der global größte Pariser Konzern der Luxusgüterindustrie LVMH, zu dessen 75 Marken Traditionshäuser wie Louis Vuitton, Givenchy, Céline, Kenzo oder Fendi gehören, hat unlängst angekündigt, dass er sich entschlossen habe, Laborpelz auf Keratinbasis entwickeln zu lassen. Bei Keratin handelt es sich um das Hauptprotein von Säugetierhaaren. In Zusammenarbeit mit den renommierten britischen Instituten Imperial College London und der Central Saint Martins University of the Arts sollen im Labor Pelzfasern für die Luxusmode gezüchtet werden, um mit einem nachhaltigen und plastikfreien Grundmaterial den Wünschen der immer stärker durch ökologische Aspekte geprägten Verbraucher entgegenkommen zu können.
Das ist allerdings noch Zukunftsmusik. Denn in der aktuellen Wintersaison 2022/2023 spielte Plastik nicht nur in Gestalt von Polyester, sondern vor allem auch als sogenanntes Polyacryl, bei dem es sich um Kunstfasern auf Erdölbasis handelt, eine zentrale Rolle auf den Laufstegen. Dabei waren besonders die atemberaubenden Mäntel und Jacken aus kuscheligem Kunstfell, bei dem das synthetische Polyacryl-Florgarn in ein meist aus Baumwolle bestehendes stark verzwirntes Grundgewebe eingearbeitet ist, wieder besondere Highlights auf den Catwalks. Die Edelmarken haben inzwischen dank immer aufwendigerer und entsprechend teurerer Verarbeitungstechniken eine solch meisterliche Perfektion beim Material Faux Fur erreichen können, dass insbesondere die Winter-Coats optisch und auch haptisch selbst von Experten kaum mehr von Echtpelz unterschieden werden können.
Polyacryle war auf Catwalks zu sehen
Den Vogel dürfte diesmal fraglos Saint Laurent mit bodenlangen, flauschig-glänzenden Maxi-Mänteln abgeschossen haben. Der verantwortliche Designer Anthony Vaccarello hat sich dabei vom radikalen Elan des Art déco inspirieren lassen und konnte sich den Hinweis nicht verkneifen, dass die Prestigeteile von hoch qualifizierten Kürschnern hergestellt worden seien, die früher für die Echtpelz-Kreationen des Hauses verantwortlich gewesen waren. Auch Dolce & Gabbana hatten Anfang 2022 die Zusammenarbeit mit bewährten Kürschnermeistern bei ihren Fake-Fur-Kreationen zur Bewahrung der traditionsreichen Handwerkerzunft angekündigt. Balmain und Coperni – Model Paloma Elsesser war in einem an einen weißen Bademantel erinnernden Teil zu sehen – präsentierten ebenfalls wunderschöne knöchellange Kunstpelz-Mäntel, während sich Victor Glemaud oder Balenciaga für kürzere Varianten entschieden hatten, auch in strahlendem Winter-Weiß. Knallfarben wie bei Gucci, Blumarine, Michael Kors oder Dolce & Gabbana waren keineswegs die Ausnahme. Dagegen haben Labels wie Alberta Ferretti, Versace, Emporio Armani oder Stella McCartney mehr auf kontrastierende Musterung gesetzt. Und es gab natürlich auch die klassischen Animal-Prints, bei Yuhan Wang in Leo-Optik, bei Christian Sirianos langem Mantel in blauer Zebramusterung.
Der Echtpelz scheint auf den Catwalks mehr oder weniger Geschichte zu sein. Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass natürlich Pelziges als Detail an Kapuzen oder als Bommel an Kopfbedeckungen weiterhin verwendet wird, weil die diesbezügliche EU-Verordnung den Herstellern da einen gewissen Spielraum einräumt. Es reicht schon der textliche Hinweis „enthält nicht-textile Teile tierischen Ursprungs", um die Produzenten auf die sichere Seite zu bringen. Es muss hierbei nicht explizit auf Pelz hingewiesen werden, und der getäuschte Käufer mag daher auch an andere Materialien tierischen Ursprungs wie Knöpfe aus Horn denken. Bei Stichproben hatte die „Stiftung Warentest" schon vor einigen Jahren Echtpelzanteile bei als Kunstfell deklarierten Kleidungsstücken nachweisen können. Denn das in Riesenfarmen, vornehmlich in China, gezüchtete Echtfell ist inzwischen durchaus günstiger herzustellen als sein künstlicher Ersatz.
Kunstpelz-Mäntel wirken wunderschön
Dennoch kann aus der Perspektive des Tierwohls das erfreuliche Fazit gezogen werden, dass Echtpelz zumindest in der Fashion-Industrie keine Zukunft mehr haben dürfte. Auf der 1.572 Namen führenden Liste von Fur Free Retailer, der weltweit führenden Initiative, um Endverbrauchern Infos zu pelzfreien Unternehmen zu geben, sind die meisten bekannten Fashionlabels von Gucci oder Prada bis hin zu Moncler oder Hugo Boss längst vertreten (Chanel wird zwar nicht gelistet, aber das Haus hatte 2018 seinen Verzicht auf Echtpelz verkündet und seit der Sommerkollektion 2020 keine Pelze mehr in seinem Angebot). „Es gibt keinen vernünftigen Grund, ein Tier allein wegen seines Fells zu töten", so der Deutsche Tierschutzbund. Das sieht die überwältigende Mehrheit der Deutschen genauso, wie eine Umfrage der Tierschutzorganisationen Vier Pfoten belegen konnte. Demnach halten 86 Prozent der Bundesbürger das Töten eines Tieres zur Fellgewinnung für falsch und ethisch nicht zu rechtfertigen.
Die Lobbyarbeit zugunsten des Tierwohls von Organisationen wie Peta hat also offensichtlich Früchte getragen. Peta hatte dem Rechnung getragen, indem es seine legendäre Kampagne „Lieber nackt als im Pelz" nach 30 Jahren Laufzeit im Februar 2020 ad acta gelegt hatte. Was allerdings nicht bedeutet, dass die vormals florierende internationale Pelzindustrie, die hierzulande seit 2012 umsatzmäßig kontinuierlich Einbußen zu verzeichnen hatte und 2019 nur noch 35,6 Millionen Euro erzielen konnte, komplett aufs Abstellgleis geraten ist. Speziell im boomenden China und auch in Russland steht dem eine steigende Nachfrage im Sinne eines Statussymbols, ähnlich wie in der Bundesrepublik der 1970er- und 1980er-Jahre, als ein Pelzmantel noch als Schaustück bürgerlichen Wohlstands galt, entgegen. Zusätzlich könnte man noch anmerken, dass gerade auch das Tragen von Fake Fur dem Echtpelz wieder auf die Sprünge helfen kann. Niemand kann nämlich die beiden Varianten noch optisch auseinanderhalten. Die unansehnlichen Fake-Fur-Billigteile früherer Jahre sind heute nicht mehr anzutreffen. Die drei immer wieder genannten Tipps zum Unterscheiden von Fake Fur von Echtpelz dürften eher zur Beruhigung des ethischen Käufergewissens dienen (Erstöbern eines Haut- oder Lederansatzes statt einer gewebten Textilschicht, Pustetest mit mehr Widerstandskraft bei Kunstpelz, Abbrennen einzelner Härchen mit chemischem Geruch versus Horngeruch).
Polyester ist meistproduziertes Material
Allerdings lässt sich die anhaltende Kontroverse um Fake Fur und Echtpelz leider nicht gänzlich im Sinne des Tierwohls für die künstlich-synthetische Alternative entscheiden. „Es könnte so einfach sein: Wer Tiere schützen will, steigt auf Kunstpelz um. Doch der hat eine desaströse Umweltbilanz", so die „FAZ", die das Problem mit dem Fake Fur genau auf den Punkt gebracht hatte. Von daher müsste eigentlich die richtige Antwort auf die Frage Kunst- oder Echtfell lauten: Am besten auf beide verzichten. Was natürlich in der Modewelt niemand hören möchte, weil die Fashionistas nicht auf den heiß geliebten, direkt mit Emotionen verbundenen Flausch verzichten möchten. Allerdings müssten dann konsequenterweise aus ökologischer Sicht auch sämtliche andere synthetische, die Umwelt enorm belastende Fasern mit Polyester an der Spitze mit einem Bann versehen werden. Schließlich ist Polyester das mit Abstand meistproduzierte Material der Textilindustrie. Mit jährlich rund 58 Millionen Tonnen macht Polyester 52 Prozent aller weltweit hergestellten Fasern aus.
Unbestritten ist jedenfalls, dass Polyacryl ein auf Erdöl basiertes Produkt ist und daher als Schadstoff gilt. Bei der Verarbeitung zu Kunstpelz können ebenso wie beim Waschen oder Reinigen des fertigen Stoffes Mikrofasern freigesetzt werden, die nicht biologisch abgebaut werden können. Die Produktion von Kunstpelz gilt als ziemlich energieintensiv, was auch negative Folgen in Sachen CO2-Emissionen hat. Zusätzliche Chemie bringen Kleber mit ein, die zur Fixierung der Plastikfasern in die Stoffe mit eingewebt werden. Die Farben nicht zu vergessen, mit denen viele Kunstpelze verschönert werden. Die häufig, vor allem natürlich von der Pelzindustrie, angestellten Vergleiche mit dem leicht abbaubaren Naturprodukt führen hier nicht weiter, weil es ja allgemeiner Konsens sein dürfte, dass Echtpelz zugunsten des Tierwohls keine Chance mehr haben sollte. Allerdings dürfte der Hinweis interessant sein, dass sich gebrauchter Echtpelz sehr gut als Secondhand-Ware eignet und dabei auch problemlos umgeändert werden kann. Aus diesem Gesichtspunkt ist er immerhin als nachhaltiger anzusehen, während Kunstfell-Produkte, die im Schnitt deutlich kürzer getragen werden, zusätzlich den klaren ökologischen Nachteil haben, dass sie selbst nach Jahrhunderten kaum biologisch verrotten können.
Der deutsche Designer René Storck ging denn auch mit dem Kunstpelz in einem „FAZ"-Interview im April 2020 sehr hart ins Gericht: „Kunstfell ist das Schlimmste, was man verwenden kann", sagte der Modeschöpfer. „Beim Zuschneiden und Vernähen entstehen feinste Mikroplastikpartikel, die von den Arbeiterinnen eingeatmet werden und Lungenkrebs erzeugen können. Diese Pelz-Imitate, die, zugegeben, völlig echt wirken, können Sie im Boden vergraben und nach 150 Jahren wieder rausholen, und diese sehen noch genauso aus. Das ist Sondermüll!"