Das Problem ist seit 40 Jahren bekannt: Die Abgaben für Kranken-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung steigen ständig. Eine Studie zeigt die dramatische Entwicklung für die nächsten zehn Jahre.
Das neue Jahr hat für die Millionen Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) mit einem kleinen Beitragsschock begonnen. Die Zusatzbeiträge stiegen durchschnittlich um 2,9 Prozent. Noch im Herbst vergangenen Jahres war der Schätzerkreis von 2,5 Prozent ausgegangen, was auch schon einen erheblichen Sprung gegenüber dem Vorjahr bedeutet hätte. Doch offiziell bleibt der gesetzliche Beitrag zur GKV auch in diesem Jahr bei 17,5 Prozent stabil. Der erhöhte Zusatzbeitrag muss nur von den Arbeitnehmern gezahlt werden. Die Arbeitgeber bleiben in diesem Jahr also noch mal außen vor. Doch die Studie des Berliner Instituts für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES) warnt, bereits im kommenden Jahr müsse der generelle Beitrag auf 18 Prozent steigen, damit Einnahmen und Kosten deckungsgleich bleiben.
Massive Reformen notwendig
Die Daten-Wissenschaftler des IGES haben das Szenario auf die kommenden zehn Jahre hochgerechnet. Wenn es ungünstig läuft, könnten allein die Beiträge für die gesetzlichen Krankenkassen bis 2035 einen Beitragssatz von 22,6 Prozent erreichen, wohlgemerkt: ohne Zusatzbeitrag. Greift die Politik ein, könnte der GKV-Beitrag bei 20 Prozent gedeckelt werden. Das, sagen die Wissenschaftler des IGES um den Studienleiter Dr. Richard Ochmann, würde allerdings massive Reformen voraussetzen, die bereits in diesem Jahr eingeleitet werden müssten. Die deutsche Reformfreudigkeit, nicht nur bei den sozialen Sicherungssystemen, ist hinlänglich bekannt.
Die gesetzliche Krankenversicherung ist nur ein Baustein des Sozialversicherungssystems. Dazu gehören auch die Arbeitslosen-, die Renten- und die Pflegeversicherung, und auch hier ist nicht damit zu rechnen, dass sich die Beiträge in den kommenden zehn Jahren im Sinne der Versicherten und Arbeitgeber nach unten entwickeln werden. Davon ausgehend, dass sich ein entsprechender Umbau dieses Systems noch hinziehen wird, dürfte der Beitragssatz zur Pflegeversicherung von in diesem Jahr durchschnittlich erhobenen 3,8 auf mindestens 4,5 Prozent steigen, so die mittleren Annahme zwischen guten und schlechten Szenarien. Wobei gerade das Feld der Pflegekosten für die Wissenschaftler anhand der verfügbaren Daten schwer einzuordnen ist. Die Pflegeversicherung wurde erst 1995 eingeführt, und ihr wurden obendrein immer mehr Leistungen übertragen. Klar ist: Die Babyboomer fallen als Beitragszahler in den kommenden zehn Jahren nach und nach aus und werden in Zukunft zum Teil selbst Leistungen der Pflege benötigen.
Steigende Rentnerzahl hebt Beiträge
Das gilt auch für das dritte Standbein der Sozialversicherungen, die Rente. Hier liegt aktuell der Beitragssatz seit Jahren stabil bei 18,6 Prozent und soll auch bis 2027 gehalten werden. Doch dann schlägt auch hier der Babyboomer-Effekt endgültig durch, und der Rentenbeitrag müsste mindestens auf 20 Prozent steigen. Die große Unbekannte: Kommt das Rentenpaket II doch noch und bliebe damit der Anspruch der Beitragszahler stabil bei 48 Prozent, dann würden aus den prognostizierten 20 im günstigen Fall für die Beitragszahler wohl eher 22 Prozent Beitragszahlungen. Letzter Pfeiler der deutschen Gesetzgebung für sozialversicherungspflichtige Arbeit ist die Arbeitslosenversicherung, die auf dem Lohnzettel mit 2,6 Prozent zu Buche schlägt. Selbst im allergünstigsten Fall wird sie auf 2,9, eher aber wohl auf 3,1 Prozent steigen.
In der Gesamtschau fällt die Projektion der IGES-Wissenschaftler bei der Entwicklung der Kosten des Gesamtsozialversicherungsbeitrags allein in der mittleren Annahme für die kommenden zehn Jahre mehr als ernüchternd aus. Die Belastung von in diesem Jahr 42,5 Prozent müsste ohne Reformen 2035 bei um die 49 Prozent liegen, will der Staat die Leistungen aufrechterhalten. Damit belegen die IGES-Wissenschaftler in ihrer Studie: Ohne Reformen bei den Sozialversicherungsabgaben wird das Netto vom Brutto in den kommenden zehn Jahren keinesfalls mehr.