Ein Film wie ein netter Aktivist: Das Herz sitzt am rechten Fleck, doch der Weg zur Lösung ist etwas link. „The Day After Tomorrow“ kam vor 20 Jahren ins Kino und behandelt Themen, die aktueller denn je scheinen – etwa das Kippen des Golfstroms.
Die Welt in Schutt und Asche legen – das kann Roland Emmerich wie kein Zweiter. Der Stuttgarter lässt Außerirdische die Welt überfallen („Independence Day“, 1996), hetzt ein Riesenmonster auf Millionenstädte („Godzilla“, 1998) und widmet sich später einer angeblichen Maya-Vorhersehung („2012“, 2009). Doch dem größten Feind der Menschheit widmet er sich 2004 auf seinem kreativen Höhepunkt: dem unvernünftigen Menschen. „The Day After Tomorrow“ avanciert weltweit zum sechsterfolgreichsten Film des Jahres an den Kinokassen.
Und schaut man sich den Streifen 20 Jahre später an, wirkt er relativ gut gealtert. Oberflächlich ein Katastrophenfilm, funktioniert er vor allem durch die dramatische Familiengeschichte: Wissenschaftler Jack Hall (Dennis Quaid) wird durch eine überraschend schnell eintretende Eiszeit – es wirkt, als geschehe alles innerhalb eines Tages – von seinem Sohn Sam (Jake Gyllenhaal) getrennt. Während Jacks Frau Lucy (Sela Ward) zu Hause bleiben muss, macht der Forscher sich auf, seinen Sohnemann aus der New Yorker Bibliothek zu retten, wo dieser unter anderem mit seinem Schwarm Laura Chapman (Emily Rossum) festsitzt.
So gut der Film beim Publikum auch ankommt, so kritisch wird er von Fachleuten gesehen. Stellvertretend für viele ähnlich gelagerte Meinungen sei diese von Daniel P. Schrag genannt, seinerzeit Paläoklimatologe an der Harvard University: „Auf der einen Seite bin ich froh, dass es einen Film mit großem Budget über etwas so Kritisches wie den Klimawandel gibt. Auf der anderen Seite mache ich mir Sorgen, dass die Leute diese übertriebenen Effekte sehen und das Ganze für einen Witz halten ... Wir experimentieren in der Tat auf eine Art und Weise mit der Erde, wie es seit Millionen von Jahren nicht mehr getan wurde. Aber eine Eiszeit wird es nicht noch einmal geben – zumindest nicht so.“
Ein ungewöhnlich weitsichtiger Blockbuster
Glaubt man Mit-Produzent Mark Gordon, dann ist es vorrangiger Sinn des Films, das Publikum für Klimawandel zu sensibilisieren und es zu motivieren, sich stärker für den Planeten zu engagieren. Ein Argument, das sogar Ex-US-Vizepräsident und Umweltschützer Al Gore überzeugte – schließlich könne der Film dazu beitragen, die öffentliche Debatte zum Klimawandel zu beleben. Sprach’s und stieg in den Flieger zum nächsten Klimaschutz-Vortrag in Amerika, Europa, Asien oder Afrika.
Jedenfalls gibt es Studien, nach denen ein der Ausgangslage des Films entsprechendes Szenario nicht abwegig ist. In einem Artikel von 2023 auf swr.de heißt es: „Der Golfstrom führt wärmeres Meerwasser vom Süden in den Norden an uns vorbei. Deswegen ist er für uns in Europa wie eine Art Warmwasserheizung.“ Aber das Golfstrom-System wackelt und das könnte erhebliche Auswirkungen auf die westliche Welt haben. Eine Studie aus Dänemark prognostiziert den Kollaps des Golfstroms oder von Teilen davon im schlimmsten Fall schon in 20 Jahren, spätestens aber bis 2095. Kommt diese Umwälzung zum Erliegen, so die Prognose, könnte das in Europa zu mehr extremen Wetterereignissen führen.
Dass dies erheblichen Einfluss auf das Leben auf dem nach derzeitigem Kenntnisstand einzig bewohnbaren Planeten in unmittelbarer Erreichbarkeit der Menschheit haben wird, zeigt der Film auf drastische Weise. Menschen erfrieren in Sekundenschnelle, Dutzende Meter hohe Wellen zerlegen die Landmarken der großen Metropolen, Familien werden auseinandergerissen, Überlebende leiden Hunger, Fluchtbewegungen starten.
„The Day After Tomorrow“ zeigt sich neben dem Spektakel aber vor allem als ungewöhnlich weitsichtig und regt zum Nachdenken an. So sollte man sich die Frage stellen, ob man wirklich Leute wie Trump, Putin oder Chrupalla wählen und ihnen somit überlassen sollte, welche Hälfte der Bevölkerung man überleben lässt. Der Film weist bereits darauf hin, dass eine Flüchtlingskrise auch umgekehrt stattfinden könnte, im Hollywood-Fall findet die Hälfte der US-Bevölkerung Schutz im sonst so gefürchteten Mexiko – dies aber natürlich zu einem hohen politischen Preis. Künstlerische Freiheiten müssen ebenso sein: Den Konsens der Wissenschaft, nachdem etwa 97 Prozent aller seriösen Forscher den vom Menschen gemachten Klimawandel nicht leugnen, dreht er so um, dass nur ein einziger Forscher (Jack Hall) mit seinen Vorsagen ziemlich exakt Recht behält.