Deutschland galt lange als gewichtige Stimme, vor allem wegen seiner Wirtschaftskraft. Diese Rolle muss in jenen Zeiten des Umbruchs neu definiert werden – mit Europa.
Die USA
Aus den USA droht für den kommenden deutschen Regierungschef massiver wirtschaftlicher und politischer Druck. Aus ihrer Vorliebe für die extreme Rechte in Deutschland haben Trump-Unterstützer Elon Musk und Vizepräsident JD Vance keinen Hehl gemacht. Trump gratulierte Merz auf seiner Social-Media-Plattform wegen dessen Haltung zu Migration. Während einer Pressekonferenz aber spielte Trump die Bedeutung aus seiner Sicht herunter: „Ich wünsche ihnen Glück. Wir haben unsere eigenen Probleme.“ Dass Europa für die US-Administration in den Ukraine-Verhandlungen keine Rolle spielt sowie die Attacken von Rechtsaußen sprechen dafür, dass der einstige Partner die EU und vor allem Deutschland mittlerweile als unliebsamen Konkurrenten sieht. Trumps Abneigung gegen die deutsche Autoindustrie ist bekannt, Zölle sind angekündigt, konkreter will der US-Präsident Anfang April werden. Merz drückte zwar Hoffnung aus, vernünftig mit Trump zu reden. Am Wahlabend aber sagte er auch: “Absolute Priorität wird sein Europa so schnell wie möglich zu stärken, sodass wir Schritt für Schritt wirkliche Unabhängigkeit von den USA erreichen.“
Frankreich und Großbritannien
Mit Frankreichs Staatspräsident Macron hatte Merz im Vorfeld der Wahl bereits Kontakt, eine seiner ersten Reisen soll nach Paris führen. Eine engere Anbindung beider europäischer Staaten wird schon alleine aus verteidigungspolitischer Sicht notwendig werden. Bereits in der Wahlnacht sagte Friedrich Merz: „Wir müssen mit Großbritannien und Frankreich – den beiden europäischen Atommächten – darüber sprechen, ob die nukleare Teilhabe oder zumindest die nukleare Sicherheit Großbritanniens und Frankreichs auch für uns gelten könnte“, sagte er. Als Teil des Weimarer Dreiecks könnte eine neugestartete deutsch-französische Allianz zusammen mit Polen das Rückgrat der EU stärken. Die Labour-Regierung in Großbritannien war bereits Teil des Notfalltreffens von EU-Staatschefs und der EU-Kommission nach Beginn der US-russischen Verhandlungen, Keir Starmer und Merz haben bereits mehrfach miteinander gesprochen. Dadurch rückt auch der britische Premierminister wieder näher an die EU heran, ohne den Brexit rückgängig zu machen.
Polen
Nach seinem Besuch in der Ukraine reiste Friedrich Merz nach Warschau. Der bürgerlich-liberale Ministerpräsident Donald Tusk könnte eine Vormachtstellung seines Landes im östlichen Teil Europas zementieren, schon alleine wegen des außerordentlichen verteidigungspolitischen Engagements. Polen gibt mittlerweile etwa fünf Prozent seines Haushaltes für das Militär aus, dort entsteht gerade die größte und modernste Armee Europas. Mahnende Worte aus Polen und dem Baltikum werden auch in Deutschland künftig stärkeres Gewicht haben als zuvor, Deutschlands Rüstungsindustrie und wiederangekurbelte Wirtschaftskraft kann diesem Gewicht weiter Bedeutung in Europa verleihen.
Ukraine
Nach all den Attacken aus den USA ist klar: Die Ukraine kann auf die Unterstützung aus Washington nicht mehr zählen. Friedrich Merz aber hat eine andere Haltung, wäre sogar bereit, die Taurus-Langstreckenwaffen zu liefern. Inwieweit die vergleichsweise zurückhaltende SPD-Unterstützung im Wahlkampf auch auf eine mögliche Koalitionsregierung abfärbt, ist schwer vorauszusagen. Dies wird ebenfalls durch Entscheidungen in Frankreich, Polen, Großbritannien, in Brüssel und Washington beeinflusst, von den Realitäten des Krieges und den Verhandlungen zwischen den USA und Russland ganz zu schweigen. Sicherheit bietet hierbei eine schnellere Integration in die EU trotz möglicherweise verweigertem Nato-Beitritt. Auch dies muss eine künftige Koalitionsregierung voranbringen, will sie nicht rasch einen neuen Krieg vor der Haustür erleben. Der künftige Kanzler wird ein Krisenkanzler, auf dem dennoch die Hoffnung vieler ruht – auch international.