Brandenburg an der Havel ist eine bescheiden schöne Stadt mit beeindruckender Geschichte. Ihre Lage am Fluss und die sieben umliegenden Seen machen sie zum Eldorado für Freizeitkapitäne und Naturfreunde.
Wer im Umkreis von Berlin ein lohnenswertes Ausflugsziel sucht, der wird solch bekannte und sehenswerte Städte wie Potsdam oder Neuruppin, ganz sicher auch Rheinsberg oder das Kloster Chorin ganz oben auf seine Liste setzen. Merkwürdigerweise führt die bequeme und kurze Reise eher selten nach Brandenburg an der Havel, dieser sorgfältig restaurierten Stadt, die nur 70 Kilometer westlich von der Hauptstadt liegt und mit dem Regionalzug in einer knappen Stunde zu erreichen ist. Brandenburg kann auf eine lange Geschichte zurückblicken und da sie dem ganzen Land auch seinen Namen gab, wird sie als Wiege der Mark bezeichnet.
Die drittgrößte und kreisfreie Stadt des Bundeslandes liegt an der Havel, die sich in Berlin mit der Spree vereinigt und bei Havelberg in die Elbe mündet. Der Fluss ist nicht nur für die Binnenschifffahrt von Bedeutung, er prägt Brandenburg in ganz besonderer Weise. Denn die Havel verzweigt sich im ganzen Stadtgebiet in mehrere Kanäle und Seitenarme, sie war und ist die Lebensader, die die drei historischen Inselstädte miteinander verbindet: die Altstadt, die Neustadt und die Dominsel, die als ältester Siedlungskern eine über 1.000-jährige Geschichte aufweist. Brandenburg ist ganz einfach eine bescheiden schöne Stadt am Wasser und mit sieben Seen, die insgesamt eine Fläche von 30 Quadratkilometern ausmachen, ist sie ein Eldorado für Freizeitkapitäne und Naturfreunde. Wer führerscheinfrei ein kleines Hausboot mieten und durch die Havellandschaft schippern will, ist hier genau richtig.
Hausboot mieten ohne Führerschein
Wer vom Bahnhof aus in die Innenstadt fahren möchte, um einen Stadtrundgang zu machen, sollte unbedingt die Straßenbahn benutzen. Dies ist ein Vergnügen besonderer Art. Denn der Fahrgast wird weniger gefahren, sondern mehr in überaus gemächlichem Tempo ins historische Zentrum geschaukelt und geruckelt, gerade so, als sei dies eine gezielte Maßnahme der Entschleunigung hektischer Touristen. Und sehr schnell wird klar, dass das ruhige Flanieren durch diese Stadt die beste Medizin gegen Stress ist.
Idealer Ausgangspunkt für einen Stadtspaziergang ist der Neustädter Markt, von den Einwohnern liebevoll „Neusi“ genannt. Hier befindet sich nicht nur die Touristeninformation, die den Besucher mit Broschüren, einem Stadtplan und Empfehlungen für die attraktivsten Sehenswürdigkeiten versorgt, sondern auch zahlreiche Cafés und Restaurants laden zum Verweilen ein, um in aller Ruhe den Bummel durch den historischen Kern Brandenburgs zu planen. Und – wo immer man steht oder sitzt – ein Bauwerk ist an diesem Platz nicht zu übersehen: die St. Katharinenkirche, die auf dem höchsten Punkt der Neustadt errichtet wurde und deren Turm 70 Meter in die Höhe ragt. Im Rahmen der Stadtgründung wurde sie ab 1180 als Pfarrkirche errichtet und zum Ende des 14. Jahrhunderts neu gebaut. Heute gilt die Kirche als besonders imposantes Bauwerk nördlicher Backsteingotik. Besonders auffallend sind die zahlreichen, künstlerisch ausgestalteten Figurennischen an den Außenmauern und das gewaltige Dach der Kirche. Neben zahlreichen Kunstwerken befindet sich im Inneren der dreischiffigen Kirche die größte Orgel des Landes Brandenburg.
Der Adel lernte in der Ritterakademie
Das Gebiet um Brandenburg war – so wie viele Gebiete östlich der Elbe – lange umkämpfter Siedlungsraum zwischen Slawen und Germanen, bis 1157 Albrecht der Bär sein Erbe antrat, die letzten Slawen endgültig vertrieb und die Mark Brandenburg begründete. Wenige Jahre später wurde die Stadt zum ersten Mal urkundlich erwähnt. Die heutige Altstadt, die um die St. Gotthardtkirche entstand, und die südlich davon gelegene Neustadt, die sich rund um die St. Katharinenkirche entwickelte, waren von Anfang an (seit dem 12. Jahrhundert) voneinander getrennte Städte, eigenständige und eigenwillige Kommunen. Zwar traten beide Brandenburg-Städte 1431 einem Städtebund mit Berlin, Kölln und Frankfurt (Oder) bei und gehörten bis 1518 der Hanse an, aber sie agierten mitunter sehr unterschiedlich. Zum eigenen Schaden. Während des niedersächsisch-dänischen Krieges 1627 ergab sich der Rat der Altstadt am rechten Ufer der Havel den Invasoren und öffnete den kaiserlichen Truppen ihre Tore, während die Ratsherren der Neustadt am linken Ufer ihr Gebiet verbarrikadierten und Widerstand leisteten. Vergeblich. Alle Stadtteile wurden geplündert und von den Zerstörungen und dem Niedergang im Dreißigjährigen Krieg erholte sich die gespaltene Stadt erst nach 100 Jahren. Der preußische König Friedrich Wilhelm I. beendete schließlich das separatistische Gehabe und befahl 1715 die Vereinigung von Alt- und Neustadt.
Auf dem Weg zur Dominsel, malerisch gelegen zwischen Beetzsee und Havel, passiert man den Neustädtischen Mühlentorturm, ebenso wie die Stadtmauer Teil der Europäischen Route der Backsteingotik. Er ist anders als die anderen. Nicht rund, sondern achteckig, kein blankes Mauerwerk, sondern mit Blenden im gotischen Stil verziert, die an Kirchenfenster erinnern. Nur einen Steinwurf entfernt gelangt der Spaziergänger zum Neustädter Wassertor, wo der Mühlendamm die beiden Inseln Neustadt und Dominsel verbindet. Brandenburg – die Stadt am Wasser, hier eröffnet sich wohl der spektakulärste und romantischste Panoramablick: Die Havel öffnet sich als weiter See, natürliche Sumpflandschaft auf der einen, städtisch bebautes Ufer auf der anderen Seite.
Über den Mühlendamm gelangt man nun zum ältesten Siedlungskern Brandenburgs. Wenn Brandenburg die Wiege der Mark ist, dann ist die Dominsel der Mittelpunkt von alledem. Hier, auf einer sumpfigen Insel, wurde 948 das Bistum Brandenburg von Otto I. gegründet und mit der Grundsteinlegung 1165 begann der Dombau, der erst in der Mitte des 15. Jahrhunderts abgeschlossen wurde. Die dreischiffige Pfeilerbasilika beherbergt zahlreiche Kunstschätze, mittelalterliche liturgische Textilien und die Gründungsurkunde Berlins. An seiner Nordseite wird er von einer Domklausur umschlossen, in der die Domherren in mönchischer Gemeinschaft bis zur Reformation gemeinsam lebten. Auch eine Ritterakademie war hier von 1705 bis 1937 untergebracht, in der zunächst der Adel gebildet und später der bürgerliche Nachwuchs gymnasial gefördert wurde. Diese elitären Zeiten sind vorbei. Die Schultradition wird nun von einer evangelischen Grundschule fortgesetzt.
Die Dominsel verlassend wenden wir uns bei diesem Stadtspaziergang nun der Altstadt zu. Verwinkelte Gassen, schmale Straßen, liebevoll sanierte, mittelalterliche Wohnhäuser zieren diesen Distrikt, der in seiner Stille und Beschaulichkeit der Hektik der Moderne vollkommen entrückt zu sein scheint. Der Gotthardtkirchplatz ist hier eine wahre Oase der Stille, der Besuch der Kirche schon wegen des bronzenen Taufbeckens aus dem 13. Jahrhundert und des Hochaltars überaus lohnend. Und ja, auf Nachfrage kann auch der Turm bestiegen werden, eine besondere Herausforderung. Die Holzstufen steil, der Aufstieg schummrig und ganz oben ist die Aussicht dann leider doch begrenzt, die Fenster bleiben nun mal verschlossen.
Auf dem Vorplatz der St. Gotthardtkirche jedoch eine überraschende Entdeckung. Auf der Wiese, fast versteckt, steht die kleine Skulptur eines Mops. Zu Ehren von Victor von Bülow, besser bekannt als Loriot, der 1923 in Brandenburg geboren und in dieser Kirche getauft wurde. Er hat mit seiner Stiftung maßgeblich zur Restaurierung der Kirche beigetragen, ihm zum Angedenken sind in der ganzen Stadt die von ihm entdeckten Waldmöpse ausgewildert worden. Und auf einer speziellen Mopsführung kann dann die Antwort auf Loriots tiefsinnige Frage gesucht und gefunden werden: Warum ist ein Leben ohne Mops möglich, aber sinnlos?
Hoher Freizeit- und Erholungswert
Zum Ende dieses Stadtspaziergangs, der sich vielfältig variieren und ausdehnen lässt, kreuzen wir den altstädtischen Markt, über den sich stolz das Rathaus erhebt. Es repräsentiert ein weiteres, herausragendes Beispiel der Backstein-Gotik des 15. Jahrhunderts. Als Zeichen des städtisch-bürgerlichen Selbstbewusstseins steht auch hier, wie in vielen anderen Hansestädten des Nordens auch, eine hoch aufragende Rolandfigur. Sie wurde 1474 erschaffen und blieb glücklicherweise vollkommen erhalten, da sie während der Kriegswirren des Zweiten Weltkrieges vorsorglich eingelagert wurde.
Brandenburg blickt auch auf eine bewegte, jüngere Geschichte zurück. Nachdem 1848 der König die Preußische Nationalversammlung aus Berlin vertrieben hatte, tagte diese im Brandenburger Dom. Mit dem rasanten industriellen Aufstieg zum Ende des 19. Jahrhunderts explodierte die Bevölkerungszahl durch Zuzug aus der Umgebung, aus dem Ruhrgebiet, aus Ostpreußen, Pommern und Schlesien. Schon bald prägte die Stahl-, Metall-, Textil- und Spielwarenindustrie und später die Flugzeugindustrie die Stadt. Die NS-Zeit gehört zum dunkelsten Kapitel der Stadtgeschichte. Das Zuchthaus Brandenburg-Görden war Hinrichtungsstätte für zahlreiche Widerstandskämpfer, die Landesklinik für Psychiatrie war zentraler Ort der Krankenmorde im Rahmen der sogenannten Aktion T4, Euthanasie-Morde durch Ärzte.
Was diese Stadt sympathisch macht, ist eben auch das: Sie stellt sich ihrer Vergangenheit. Die Gedenkstätte für die Opfer der Euthanasie-Morde setzt hier ein klares, öffentliches Zeichen. Was Brandenburg attraktiv macht, ist ihr Geschichtsbewusstsein und ihr hoher Freizeit- und Erholungswert, eingebettet in die liebliche Havellandschaft. Mit Sorgfalt bewahrt Brandenburg Vergangenes und Behütenswertes. Und deshalb, so die Hoffnung, mögen die ruckelnden und schunkelnden Straßenbahnen noch eine Ewigkeit ihre Runden durch Brandenburg drehen.