Hansjörg Stützle ist Geldumgangstrainer und Sachbuchautor. Der ehemalige Unternehmensberater lebt und arbeitet in Uhldingen-Mühlhofen am Bodensee.
Herr Stützle, in deutschen Städten gibt es immer mehr Cafés, Restaurants und andere private Dienstleister, die nur noch Kartenzahlung akzeptieren. Dabei ist Bargeld ein gesetzliches Zahlungsmittel.
Bargeld ist das einzige gesetzliche Zahlungsmittel. Es ist gesetzlich verankert im Bundesbankgesetz, Paragraf 14, in der EZB-Satzung, Artikel 16, und in den EU-Verträgen, Artikel 128 AEUV. Es ist ein Zahlungsmittel, das der Handel annehmen muss, damit der Bürger Zugriff auf die Güter, Waren und Dienstleistungen in der Gesellschaft hat.
Im März 2010 gab es eine EU-Kommissionsempfehlung mit der Aussage, dass die Annahmepflicht gilt, sofern nichts anderweitig vereinbart wurde. Wenn also der Händler in die AGBs schreibt oder an der Kasse ein Schild aufstellt mit dem Hinweis „Nur Kartenzahlung“, ist das zum Beispiel nach Ansicht der Bundesbank eine normale Vertragsbedingung. Der Kunde hat nur zwei Möglichkeiten: Entweder akzeptiert er dies und kommt an die Güter- und Dienstleistungen. Oder er lehnt dies ab und kann dort nicht einkaufen. Der Gesetzgeber muss eine Strafe vorsehen, um die Bargeld-Annahmepflicht wirksam zu machen.
Auch öffentliche Stellen nehmen teilweise kein Bargeld mehr an.
Das einzige rein staatliche Geld, das es gibt, ist Bargeld. Es wird ausgegeben von den Notenbanken. Lehnt der Staat sein eigenes Zahlungsmittel ab, ist das ein No-Go. Menschen ohne Karte werden diskriminiert, wenn sie zum Beispiel nicht mehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren können. Sie werden von der Teilhabe am öffentlichen Leben ausgeschlossen.
Im neuen Koalitionsvertrag steht, dass Bargeld als gängige Zahlungsform erhalten bleiben soll und dass sich die Politik für „echte Wahlfreiheit“ einsetze. Wie sehen Sie das?
Ich interpretiere den Koalitionsvertrag dahingehend, dass die Bürger die Möglichkeit bekommen sollen, überall digital zu bezahlen. Aber nicht so, dass wir eine Wahlfreiheit bekommen, überall mit Bargeld zu bezahlen.
Schon heute nehmen einige Bürgerbüros, Schwimmbäder, Restaurants und Cafés kein Bargeld mehr an. Erst 2021 stimmten CDU/CSU und SPD für eine Gesetzesänderung, die es den Nahverkehrsbetrieben erlaubt, das Bargeld abzuschaffen. Wir Bürger verlieren in immer stärkerem Tempo die Wahlfreiheit, mit Bargeld zu bezahlen. Wenn sich die Koalition wirklich für echte Wahlfreiheit einsetzen wollte, müsste sie erst einmal die Akzeptanz des einzigen gesetzlichen Zahlungsmittels Bargeld sicherstellen.
Die Präferenz im Koalitionsvertrag liegt eindeutig auf digital. Das Wort „digital“ oder „Digitalisierung“ kommt darin 189 mal vor. Es wird sogar von „digital only“ gesprochen. Meine Befürchtung ist, dass der Digital-Only-Gedanke Bargeld keinen Platz mehr lässt.
Die EU hat eine Annahmepflicht für den digitalen Euro definiert, nicht aber für das Bargeld. Welche Folgen ergeben sich aus Ihrer Sicht daraus?
Nach dem aktuellen Verordnungsvorschlag bekommt Bargeld keinen klaren Annahmezwang im Handel und auch nicht bei staatlichen Stellen. Ein Milieu wird geschaffen, in dem Bargeld nicht überleben kann. Die Zukunft des Bargeldes ist aber an seine Nachfrage gekoppelt. Das äußern auch die Notenbanken, zum Beispiel schrieb die EZB (in einem Bericht über den digitalen Euro vom 1. Juli 2022; Anm. d. Red.): „Das Eurosystem wird weiterhin Banknoten anbieten und deren Nutzung ermöglichen, solange die Nachfrage besteht.“
Mit Einführung des E-Euro betritt ein neuer Konkurrent die Bühne. Er wird die Akzeptanz von Bargeld senken, seine Verfügbarkeit reduzieren und die Barzahlungsquote massiv nach unten drücken. Dies wird vom Koalitionsvertrag mit der Digital-Only-Strategie flankiert.
Bargeldzahlungen stehen in der Kritik, Steuerhinterziehungen und Geldwäsche Tür und Tor zu öffnen. Wäre es denn da nicht sinnvoll, Bargeld komplett durch digitale Geldströme zu ersetzen?
Der Nutzen des Bargeldes wird in diesem Zusammenhang nie thematisiert. Die entscheidende Frage ist doch, ob der Nutzen des Bargeldes den Schaden durch Missbrauch überwiegt. Meiner Meinung nach ist es unverhältnismäßig, alle Bürger unter Generalverdacht zu stellen, nur weil es wenige gibt, die das System missbrauchen. Der Nutzen von Bargeld für die Gesellschaft ist viel höher als der Schaden durch Missbrauch. Dieses Prinzip gilt überall. So hat sich zum Beispiel die Kriminalität stark ins Internet verlagert. Ich habe noch nie gehört, dass man deshalb das Internet abschaffen möchte. Denn der Nutzen des Internets überwiegt bei Weitem den Schaden, der dadurch entsteht.
Welche Befürchtungen hegen Sie hinsichtlich einer komplett bargeldfreien Welt?
Mit einer Kartenzahlung bin ich sekundenschnell lokalisierbar, und damit sind meine Freiheitsrechte bereits gefährdet. Wenn ein Whistleblower wie Edward Snowden mit Karte bezahlt hätte, wäre seine Flucht aus Amerika womöglich gescheitert. Wir hätten bis heute nie von ihm gehört, und wir hätten auch nie erfahren, dass Frau Merkel von der NSA abgehört wurde und dass sich die NSA nicht an geltendes Recht hält.
Eine freie Gesellschaft braucht zwingend ein freies, nicht überwachungsfähiges Zahlungssystem. Wenn das nicht gewährleistet ist, kann jeder Austausch in unserer Gesellschaft oder sogar auf dem gesamten Planeten kontrolliert, manipuliert und unterbunden werden.
Ein Beispiel sind die Trucker-Proteste 2022 in Kanada: Die Konten der Demonstranten wurden gesperrt, um die Proteste buchstäblich auszuhungern. Besonders wir in unseren Breitengraden brauchen nur einen Blick in unsere Geschichte zu werfen, um zu realisieren, was es bedeutet hätte, wenn vergangene Regierungen diese Macht über alle Zahlungsströme gehabt hätten. Es gibt keine Garantie dafür, dass wir immer eine wohlwollende Regierung haben werden. Die weltweiten Entwicklungen hierzu sind besorgniserregend. Es wäre naiv zu glauben, dass dies bei uns nicht möglich wäre. Bargeld schützt unsere Freiheit.
Sie haben eine Bargeldpetition mit mittlerweile mehr als 155. 000 Unterschriften initiiert. Worum geht es Ihnen dabei?
Bargeld soll mindestens gleich stark gesetzlich verankert werden wie der geplante E-Euro. Es kann nicht sein, dass der E-Euro privilegiert wird und einen klaren Annahmezwang bekommt und Bargeld, das bislang einzige gesetzliche Zahlungsmittel, nicht.
Wir wollen eine gleiche Behandlung aller gesetzlichen Zahlungsmittel. Daher fordern wir eine wirksame Annahmepflicht von Bargeld im Handel und für alle staatlichen Stellen, wo ein direkter Kontakt mit dem Kunden oder dem Bürger besteht. Wir fordern, dass die Infrastruktur des Bargeldes gesetzlich gesichert ist, dass der Bürger und auch der Händler leicht an Bargeld gelangen und seine Einnahmen problemlos bei der Bank einzahlen kann.
Wer würde von einem rein digitalen Bezahlungssystem profitieren?
Der erste Player ist die Finanzindustrie. Sie verfolgt zwei Ziele: Zum einen ist es ein riesiges Geschäftsmodell, denn mit jeder Transaktion fallen in der Regel nicht unerhebliche Gebühren an, die vor allem der Händler bezahlen muss. Das zweite Ziel sind Daten und Informationen, die von den Finanzunternehmen genutzt werden können.
Der zweite Player ist der Staat, der an der Kontrolle aller Zahlungsflüsse interessiert ist. Vordergründig geht es um Verhinderung von Kriminalität und Steuerhinterziehung, im Endeffekt erhofft man sich also auch mehr Steuereinnahmen. Die Gefahr dabei ist jedoch, dass die staatlichen Institutionen ohne Bargeld unglaublich viel Macht in die Hände bekommen. Dies würde außerordentlich brisant werden, wenn sich der gute Staat zu einem fragwürdigen Staat entwickelte. Dann stünden zum Beispiel einem sehr effektiven Social-Credit-System Tür und Tor offen, und wir würden daraus nicht mehr herauskommen. Die große Gefahr ist, dass wir am Ende in einem Kontrollstaat landen. Wenn man die vielen fragwürdigen Entwicklungen in unserer Welt beobachtet, ist diese Gefahr nicht aus der Luft gegriffen. Wir sollten eine Grundlage schaffen, dass dies nicht passieren kann.