Es ist dunkel, es weht kein Wind: und jetzt? Deutschlands Kraftwerksstrategie im Hinblick auf sogenannte Dunkelflauten steht, die Stromkonzerne sind zufrieden. Kritik aber gibt es aus der Wissenschaft.
Der Ausstieg aus der Atomkraft, der Ausbau der Erneuerbaren Energien – auf Deutschlands Energiemarkt blickt die ganze Welt. Der Kraftakt, einen Hightech-Standort, eine Exportnation und ihre Stromerzeugung grundlegend zu verändern, ist bislang einzigartig. Und er bedarf massiver Investitionen, beispielsweise in Technologien, für die Zeiten, in denen die Sonne nicht scheint und kein Lüftchen weht. Welche Kraftwerke dann einspringen, steht nun fest: Gaskraftwerke, die später mit Wasserstoff betrieben werden, sollen künftig zur Absicherung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien aus Wind und Sonne als „Backups“ bereitstehen – zu möglichst niedrigen Kosten für die Stromkunden. Nach langen Verhandlungen einigten sich Kanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) auf diese Kraftwerksstrategie. Dies ist allerdings nur ein Teil des politischen Rahmens, der festgelegt werden muss. Bis spätestens Sommer soll es außerdem eine Einigung über das künftige Design des Strommarkts geben.
Subventionen für Gaskraftwerke
Die Energiebranche wartet seit Langem auf eine Strategie für neue Gaskraftwerke, denn die Zeit drängt. Ihr Bau dauert mehrere Jahre, mehrere Konzerne stehen in den Startlöchern. Aber auch Umbauten bestehender Kraftwerke sind denkbar. Ersetzen sollen sie klimaschädliche Kohlekraftwerke, um die Stromnachfrage zu decken und die sogenannte Grundlast, den niedrigsten Verbrauch in einem Versorgungsnetz, nachts und bei Flauten stabil zu halten. Energieunternehmen scheuen aber Investitionen, weil sich die neuen Kraftwerke nicht ohne Weiteres rechnen.
Das soll sich mit der politischen Einigung nun ändern. Stromkonzerne zeigen sich zufrieden. Denn ihre Investitionen, sowohl Bau als auch Betrieb, sollen nach dem Willen der Ampel gefördert werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob ein Kraftwerk gerade am Netz produziert oder nur einsatzbereit vorgehalten wird. Dieser Kapazitätsmechanismus ist neu und muss zunächst mit der EU abgestimmt werden. Wie genau er funktionieren soll, ist noch unklar.
Kurzfristig werden nun erst einmal Kraftwerkskapazitäten im Umfang von 10 Gigawatt wasserstofffähiger Gaskraftwerke ausgeschrieben werden. 2032 soll dann festgelegt werden, wann zwischen 2035 und 2040 die Kraftwerke vollständig auf Wasserstoff umgestellt werden sollen. Bis 2032 soll auch ein erstes Transportnetz für den neuen Energieträger fertig sein. Gefördert werden auch Speichertechnologien, Kernfusion und die CO2-Speicherung – ein Zugeständnis an die FDP, die auf „Technologieoffenheit“ drängte.
Auch der Standort der Kraftwerke soll künftig entscheidend sein, um den Strompreis in den Griff zu bekommen: Je regionaler die Energieversorgung, desto geringer die Transportkosten für die Verbraucher. Der Ausbau der Netze wird derzeit vor allem von den Verbrauchern über die Netzentgelte bezahlt.
Die neue Kraftwerksstrategie bedeutet auch das vorzeitige Aus für die Energie aus Kohle. Den Ausstieg will die Ampel auf 2030 vorziehen. Bislang ist ein um acht Jahre vorgezogener Ausstieg aber nur im rheinischen Revier beschlossen. In den Revieren in Ostdeutschland ist er umstritten.
Der Bau der neuen, wasserstofffähigen Gaskraftwerke soll eine Übergangslösung sein. Denn von spätestens 2028 an soll ein Kapazitätsmechanismus gelten, der „technologieneutral“ sein soll. Ein solcher Kapazitätsmarkt ist ein Kurswechsel, dem Brüssel zustimmen muss. Konkret geht um einen Mechanismus, mit dem Kraftwerksbetreiber dafür vergütet werden, dass ihre Kraftwerke jederzeit einsatzbereit sind und bei Bedarf einspringen können – sodass sie damit auch in den Zeiten Geld verdienen, in denen sie keinen Strom produzieren.
Wette auf die Zukunft
Der Energiekonzern RWE bekräftigte sein Interesse am Bau wasserstofffähiger Gaskraftwerke. RWE plane, sich an den Ausschreibungen zu beteiligen, erklärte das Unternehmen. RWE will nach früheren Angaben bis 2030 in Deutschland vor allem an eigenen Kohlekraftwerks-Standorten mindestens drei Gigawatt Kapazität errichten. Der in Cottbus ansässige Energiekonzern Leag kündigte an, die Auswirkungen auf die Möglichkeit von Investitionen zu analysieren. Es sei für die Zukunft des Unternehmens von großer Bedeutung, dass die Strategie sowohl die klimapolitischen Ziele sowie die wirtschaftlichen und sozialen Aspekte der mitteldeutschen Braunkohlereviere berücksichtige. Gefordert wird die Errichtung wasserstofffähiger Gaskraftwerke an Standorten mit vorhandener Infrastruktur sowie „eine faire Verteilung der Standorte ohne Bevorzugung bestimmter Regionen“. Dadurch könne die vorhandene Kraftwerks- und Netzinfrastruktur effizient weitergenutzt werden. Auch der Düsseldorfer Energiekonzern Uniper will Gaskraftwerke bauen, die später mit Wasserstoff laufen können. Hierbei gehe es um drei bis vier Gigawatt. Ein Sprecher des Energiekonzerns Steag sprach anlässlich der Eckpunkte von einem wichtigen Schritt. Allerdings stehe die beihilferechtliche Absprache mit der EU ebenso wie eine Konsultation einer breiteren Öffentlichkeit noch aus. Die Steag-Tochter Iqony will ihre Kraftwerksstandorte für den Neubau wasserstofffähiger Gaskraftwerke nutzen. Relativ schnell könne Steag an drei Standorten neue Kapazitäten mit einer Leistung von insgesamt rund zwei Gigawatt realisieren.
Dennoch gibt es Kritik. Umweltverbände merken an, dass der Wasserstoff dann künftig auch grün, also rein mithilfe erneuerbarer Energie produziert werden müsste. Zudem wurde auch Erdgas-CCS, das Verpressen von CO2 aus Industrieprozessen in der Erde, als förderwürdige Technik mitaufgenommen – dies sei ein Irrweg. Auch Claudia Kemfert, Energieökonomin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), findet die Fokussierung auf Gas wenig hilfreich und plädiert weiterhin für eine weitreichende Dezentralisierung der Stromversorgung und mehr Tempo beim Ausbau der Erneuerbaren. Die Kraftwerksstrategie hält sie in einem ARD-Podcast für teuer und ineffizient. Schon jetzt gebe es drei Sicherheitsmechanismen: Kapazitätsreserven, Netzreserve und Sicherheitsbereitschaft. Diese arbeiten jedoch teilweise mit Kohlekraftwerken, die zur Abschaltung anstehen. Wasserstofffähige Gaskraftwerke seien eine unsichere Wette auf die Zukunft, vor allem, weil sie zunächst in der Erprobung seien. Günstiger für den Verbraucher seien schon jetzt bestehende Biogasanlagen, mehr Speicher und ein digitales Energie- und Lastenmanagement. Der heutige Kunde sei als sein eigener Stromproduzent Teil der Lösung, nicht teuer subventionierte Gaskraftwerke. Ob diese innovativen Lösungsvorschläge der sicherheitsliebenden deutschen Wirtschaft jedoch schmecken, darf bezweifelt werden.