Kleider, die sich nicht tragen lassen. Schuhe, die niemals den Boden berühren. Trotzdem sind immer mehr Modefans bereit, Unsummen für virtuelle Kleidung auszugeben. Natürlich nicht in Euro, sondern in Kryptowährung.
Die perfekte Abendrobe. Sie sieht aus wie auf den Leib geschneidert, passt sich mit dem hochglänzenden Seidenstoff der eigenen Silhouette nahezu perfekt an. Dazu extra hohe High Heels mit Pfennigabsatz und eine elegante Goldkette mit kleinen Blumenranken verziert. Der Haken daran: All das trägt die Person auf dem Bild nicht wirklich. Alles ist individuell angepasst auf ein eingeschicktes Foto. Das Abbild von einem selbst, ein Avatar. Teuer ist das Ganze trotzdem, neben dem Kleid und sämtlichen Accessoires müssen Modefreunde hier auch noch die Bildbearbeitung bezahlen. Natürlich nur für ein ausgewähltes Fotomaß, ohne jemals in Kontakt mit Stoff gekommen zu sein. Doch warum das Ganze? Was nützt einem die wunderschönste Kleidung, egal ob Luxusware oder Fast-Fashion-Label, wenn man sie nie fühlt, trägt, erlebt?
Michaela Larosse, Head of Content and Strategy beim Digital Fashion-Label „The Fabricant", weiß die Antwort: „Physische Kleidung wird massiv überproduziert, mit toxischen Praktiken hergestellt und trägt zu einem enormen Abfallproblem bei. Digital Fashion präsentiert eine kreative, innovative und nachhaltige Lösung." Das niederländische Unternehmen zählt zu den Vorreitern in diesem neuen Segment und ist seit 2018 am Markt vertreten. Schon ein Jahr später sorgte das Label für Furore, weil es ein Kleid auf dem Bildschirm für knapp 9.000 Euro verkaufte.
9.000 Euro für ein digitales Kleid
Digital Fashion ist ein riesiger Wachstumsmarkt, und immer mehr reale Modelabel wollen ein Stück vom großen Kuchen abhaben. Die bekannte Investmentbank Morgan Stanley wagte sich kürzlich an erste Schätzungen und prognostizierte den Luxus-Modemarken allein für das Jahr 2030 einen Umsatz von 50 Milliarden US-Dollar in der virtuellen Modewelt, dem Metaverse. Der Verkauf läuft dabei meistens über einen sogenannten NFT-Token. NFT ist die Abkürzung für Non-fungible Token, eine Art Lizenz die den Eigentümer als solchen benennt und seine Rechte schützt.
Umsatz von 3,1 Millionen Dollar
Ähnliche Systeme gibt es nicht nur für Mode, sondern auch für digitale Kunstwerke, Schmuckstücke und vieles mehr. Für die virtuelle Kundschaft ist der Kauf einfach. Sie können sich bei bekannten Labeln wie Gucci oder Adidas durch das Angebot klicken. Die gesamten Kollektionen sind dort in Form von Daten hinterlegt. Ersteht ein Kunde ein Kleidungsstück durch einen Kauf oder eine Versteigerung und legt es in den Warenkorb, muss er zunächst einen Avatar hochladen, ehe es an die Bezahlung geht. Das gewünschte Produkt wird dann digital dem eigenen Ich angezogen. Viele große Namen in der Modewelt sind bereits auf den virtuellen Zug aufgesprungen und erhoffen sich einen hohen Profit von Kollektionen, die ganz ohne weltliche Ressourcen auskommen. Das macht sie nicht nur absolut flexibel in der Herstellung, es eröffnet auch einen komplett eigenen Kundenkreis. Zu dem zählen nicht ausschließlich Influencer, die sich ihre neuesten Stücke für hippe Instagram-Bilder nicht mehr alle wirklich kaufen müssen, sondern auch Gamer. Die können dadurch ihre Avatare in Community-Games wie „Sims" oder „Fortnite" richtig schick einkleiden. Wer das nicht tut, ist bei seinen Gamingfreunden inzwischen schnell unten durch. Experten warnen in diesem Zusammenhang sogar vor einer neuen Form von Cybermobbing. Doch zurück zum Engagement der Firmen. Der Sportgigant Nike hat erst 2021 RTFKT gekauft, ein französisches Start-up. Das hatte es im Februar des gleichen Jahres geschafft, binnen Minuten einen Umsatz von 3,1 Millionen Dollar zu erwirtschaften. Und das allein durch den Verkauf von gleich 621 Paar Turnschuhen, natürlich keines davon zum wirklichen Tragen entworfen. Jedes ist mit einer speziellen Technik verschlüsselt, der sogenannten NFT-Technologie. Dabei bilden Design und Datei Einzelstücke, um sicherzustellen, dass jeder auch stolzer Besitzer tatsächlich individueller Modestücke ist. Dahinter verbirgt sich ein „Megatrend der Individualisierung", weiß Marina Baum von der Hochschule Albstadt-Sigmaringen, die auf diesem Gebiet forscht. Und sie ist nicht die einzige. Die Plattform „The Business of Fashion" hat im November 2021 einen 107 Seiten langen Bericht zum Thema „Digitale Mode" herausgebracht, inklusive Zukunftsprognosen und Ideen dazu, wie Label ihre Online-Präsenz ausbauen können. Einigen ist dies schon auf vorrangig ungewöhnlichen Wegen gelungen. So hat sich Moschino mit dem beliebten PC-Spiel „Sims" zusammengetan und designt exklusive Mode für Ingame-Charaktere. Das italienische Luxushaus Balenciaga tut es ihm gleich und will künftig Mode für „Fortnite" entwerfen. Warum auch nicht, wenn sich mit Einzelstücken viele Tausend Dollar erwirtschaften lassen? Ein exklusives Beispiel für den perfekten Deal ist „The Impossible Tiara" von Dolce & Gabbana. Sie war nicht der erste digitale Entwurf eines edlen Schmuckstücks des Luxuslabels, trotzdem wohl einer der einträglichsten, denn eine Kundin kaufte den Kopfschmuck für stolze 300.000 Dollar. Tragen wird sie ihn natürlich nicht, denn die Tiara besteht aus Pixeln. Bezahlt wird das Ganze selten mit echtem Geld, meist kommt Cyberwährung zum Einsatz, als Kryptowährung bekannt. Bei speziellen virtuellen Geldinstituten können Kunden ihr Bares umtauschen und dann auf große Shoppingtour gehen. Eine gute Anlaufstelle ist zum Beispiel Tribute Brand, die High-End-Mode anbieten und seit 2020 auf dem Markt sind. Günstiger geht das Ganze bei Zara. Das Fashion-Label hat sich mit Ader Error zusammengetan, einem südkoreanischen Modehersteller, und unter dem Namen „AZ Collection" eine neue Kollektion gelauncht. Die Besonderheit hier: Die Mode lässt sich nicht nur in den echten Geschäften und Online-Stores kaufen, sie steht auch virtuell zur Verfügung. Die Kunden können nach dem Kauf die Zepeto-App nutzen, die einfache Selfies in Avatare umwandelt und es so möglich macht, diese entsprechend den eigenen Wünschen einzukleiden. Wer sich vorab Inspirationen suchen möchte, der findet bei zahlreichen Influencern schöne Beispiele für eine ganz neue Modewelt. Sogar virtuelle Influencer hat dieser Markt bereits hervorgebracht. Solche wie Lil Miquela, mit einer Reichweite von mehr als drei Millionen Instagram-Followern keine kleine Nummer im Geschäft. Die als digitale Persönlichkeit 19 Jahre alte Halbbrasilianerin schafft es, durch coole Modefotos die Nutzer zu begeistern und das, obwohl diese wissen, dass nichts davon real ist. Konsumfreude ohne echten Konsum. Coole Kleidung ohne Ressourcenverschwendung. Eigentlich ja eine gute Idee angesichts der Klimakrise und steigender Umweltverschmutzung. Zu diesem Thema hat Ericsson eine Studie veröffentlicht, wonach digitale Artikel einen 95 Prozent geringeren CO2-Ausstoß verursachen als echte Kleidungsstücke. Der Haken an der Sache: Um das Internet zum Laufen zu bringen und virtuelle Mode für jeden zugänglich zu machen, ist immer neue Technologie notwendig, die wiederum Energie verbraucht. Trotzdem ist das nach wie vor der bessere Weg des Kaufvergnügens. Erste chinesische Produktionsstätten verwenden schon jetzt digitale 3D-Designs, die sie dann in die ganze Welt verschicken. Das ist schneller und ressourcenschonender, als physische Muster von Fabrikaten zu versenden. Es hilft auf alle Fälle dabei, nachhaltiger zu werden und das in einer Branche, die nach wie vor große Imageprobleme hat, da sie als zu verschwenderisch und nicht ausreichend recyclingfähig gilt. Ob virtuelle Shoppingtouren tatsächlich ausreichen, die Lust nach neuen Lieblingsstücken zu stillen, bleibt dahingestellt. Für Nutzer, die ohnehin einen großen Teil ihrer Arbeit oder Freizeit im Internet verbringen, ist dies sicherlich eine tolle Möglichkeit, sich coole Styles zuzulegen. Für Otto Normalverbraucher bringen diese Gadgets natürlich nichts, denn in der realen Welt ist ja trotzdem normale Kleidung notwendig und nicht nur welche, die in Form von Datensammlungen existiert.