„Der letzte linke Kleingärtner“ und seine veritable Geschäftsidee
Es ist eine Geißel der Menschheit geworden. Außerhalb meines Safe Space, des Hühnerstalls, treffe ich zunehmend auf die Spezies Mitmenschen, der jede Form von Manieren und Ordnung fehlt. Ich rede mit meinem Gegenüber, und plötzlich piept es. Und dieser unterbricht das Gespräch mit mir und beginnt, digital via Handy herumzugackern. Zu mir gewandt heißt es, es sei nur ganz kurz und dann sei alles erledigt. Seit wann ist eine Sucht beendet, wenn man sich wieder ein bisschen von dem Zeug zuführt? Ein Konsument von Bier, Alkohol und sonstigen berauschenden Substanzen zieht sich immer nur den letzten Schuss rein und dann sei alles gut.
So wie die Spezies der Drogenkonsumenten aus der analogen Welt, so tickt auch die allgegenwärtige Spezies aus dem digitalen Hühnerstall. Wie soll mit solch gackernden Hühnern im Menschenkleid jemals die Rettung der Welt gelingen? Gott, was bin ich froh, dass meine Hühner nicht so ticken. So bleibt der Hühnerstall mein Rückzugsort, um dem gackernden Einerlei der ansonsten recht eindimensionalen Zweibeiner zu entkommen und in ein Meer von analoger Ruhe wie gleichmäßig rhythmischem Gegackere abzutauchen.
Hier entspricht die Welt der aus den Yoga- und Achtsamkeitsseminaren bekannten Entspannung und Energieströme. Wenn ich mir das so überlege – dies wäre eine veritable Geschäftsidee. Achtsamkeitsseminare gehen quantitativ und kostenmäßig durch die Decke. Auf diesem Marktplatz wäre Platz für mich. Ich müsste nur zehn Prozent billiger sein, was bei der überteuerten Entspannungssause eh kein Problem ist. Und die Ersparnis würde ich meinen Kunden gleich wieder durch den überteuerten Verkauf frisch gelegter Hühnereier abknöpfen. So hätten meine Gäste und meine anderen Hühner ein gutes Gefühl, und mein Bankkonto würde sich ebenfalls positiv auf mein Gefühl auswirken. Das wäre eine dreifach gefühlsverstärkte Wand im kalten digitalen Gegenwartsetwas. Eine klassische Win-win-Situation. So sprach der Herr der Hühner, so soll es geschehen, und dann wird der Frieden Einzug halten bei den Menschen.
Und zwischendurch hätte ich meinen Hühnern noch die nimmermüden und ständig piependen Handys ausgewählter Mitmenschen unter ihren Hühnerarsch gelegt. Der zum Teil ins Flüssige übergehende Hühnerkot würde sich geschmeidig um die Handys legen und sich fein säuberlich ihrer Innereien annehmen. Und schwupps, könnte man wieder normal mit seinen Mitmenschen reden, ohne Unterbrechungen durch die gottverdammte Pieperei. Früher hieß die Zauberformel, um wieder Luft zum Atmen zu bekommen: „Wenn dein starker Arm es will, stehen alle Räder still.“ Heute erledigt dies der Hühnerkot. Wenn man ihn nur lässt.
Und es gibt mehr Anknüpfungspunkte zu der schweißtreibenden Gartenarbeit und der sonstigen Arbeit auf dem Lande, als sich die Städter so vorstellen. Holzspalten beispielsweise. Gemäß einfältiger Metropolenbewohner sagen sich auf dem Land Fuchs und Hase gute Nacht, und jeder Eingeborene spaltet sein Holz selbst. Das stimmt zwar nicht, aber das interessiert jetzt kein Huhn. Auch aus der Holzspalterei lässt sich ein brummender Geschäftszweig entwickeln. Denn eigentlich ist Holzspalten eine Art Klangschalen-Vibration, die von deinem Körper Besitz ergreift und jedes zu viel angefutterte Kilo auf deinen Rippen in scheinbar niemals endende Schwingungen versetzt, bis es zu Boden plumpst.
Wenn es mir gelingt, landhungrige Metropolenbewohner mit diesem schwingenden Unfug zu ködern, kann ich ihnen kostengünstige Seminare in meinem Hühnerstall vermitteln, und in den Pausen würden sie meine Holzscheite, die jetzt Klangschalen hießen, mit der Axt verkleinern. Das wäre ein Gaudi. Die dummen Stadtbewohner würden mir die Arbeit „schaffen“ und dafür noch ordentlich bezahlen. Und nach der Arbeit würde ich sie einladen in meinen Hühnerstall zu einer kostenlosen Lesung aus dieser Gartenkolumne.