Erst mit der späten Entdeckung der Ursachen der Chromosomenanomalie 1956 konnte das Schicksal der vom Down-Syndrom Betroffenen ganz entscheidend verbessert werden. Doch gibt es diese genetische Besonderheit wohl schon seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte.

Gemeinhin wird angenommen, dass die angeborene genetische Störung oder Chromosomenvariante, wie sie bei Trisomie 21 oder dem Down-Syndrom vorliegt, so alt ist wie die Menschheitsgeschichte und sich überall auf der Erde in allen Bevölkerungsgruppen, unabhängig von ethnischer Herkunft oder sozialem Status, manifestieren konnte. Wobei man zum Nachweis des Down-Syndroms aus prähistorischer Zeit vor allem auf Skelettfunde angewiesen ist. Und dabei konnte im Sommer 2024 eine Sensationsentdeckung gemacht werden. Denn spanische Wissenschaftler konnten bei Nachuntersuchungen von Knochenfunden, die in einer Höhle am Stadtrand des heutigen Valencia geborgen worden waren, den bislang mit Abstand ältesten Nachweis von Trisomie 21 liefern – im Kosmos des Neandertalers! Die Verstorbene, die von den Forschern auf den Namen „Tina“ getauft wurde, hatte trotz des Down-Syndroms ein für die damalige Zeit ungewöhnlich hohes Alter von sechs Jahren erreichen können. Was laut den Wissenschaftlern nur durch die aufopferungsvolle Unterstützung durch ihre gesamte Gemeinschaft ermöglicht werden konnte. Die exakte Datierung des Tina-Skeletts steht zwar noch aus, doch die Mehrzahl der umfangreichen Knochenfunde rund um das Städtchen Xàtiva konnte auf ein Alter zwischen 273.000 und 146.000 Jahre taxiert werden.
Gleich drei Funde in Alto de la Cruz
Schon Anfang 2024 hatte ein internationales Forschungsteam unter Federführung von Dr. Adam Ben Rohrlach vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie nach genetischer Analyse von bis zu 5000 Jahre alten Überresten von knapp 10.000 Menschen sieben Fälle von Chromosomenanomalien bei früh verstorbenen Babys/Kindern, drei Jungen und vier Mädchen, nachweisen können. In sechs Fällen handelte es sich um Trisomie 21, in einem Fall um die deutlich seltenere Trisomie 18, auch Edwards-Syndrom genannt. Sechs der Kinder, von denen keines viel älter als ein Jahr geworden war, lebten in prähistorischer Zeit vor 5000 bis 2500 Jahren auf dem Gebiet der heutigen Länder Spanien (der Ausgrabungsstätte Alto de la Cruz in der Region Navarra konnten gleich drei Fälle zugewiesen werden), Griechenland und Bulgarien. Fünf der Kinder waren innerhalb ihrer Siedlungen bestattet worden und hatten teils aufwändige Grabbeilagen wie Perlenketten oder Bronze-Ringe erhalten. Woraus die Forscher den Schluss gezogen hatten, dass die Kinder trotz ihres Geburtsdefekts als vollwertige Mitglieder ihrer jeweiligen Gemeinschaft respektiert worden waren. Beim siebten Fall handelte es sich um die auf einem finnischen Kirchenfriedhof sichergestellten Knochenfragmente eines Jungen aus dem 17. oder 18. Jahrhundert.

Diese aktuellen Entdeckungen gesellten sich zu weiteren früheren Skelett-Funden mit Down-Syndrom-Belegen. Beispielsweise dem 1991 aufgefundenen und auf die Zeit von 5200 v. Chr. taxierten Relikt eines indo-amerikanischen Mädchens aus dem kalifornischen Santa Rosa Island oder den 2020 aus einem irischen Megalithgrab bei Poulnabrone geborgenen und rund 5500 Jahre alten Überresten eines sechs Monate alten Babys männlichen Geschlechts. Schwieriger und in der Interpretation nicht unumstritten sind Figurinen, auf denen das Down-Syndrom bildlich dargestellt sein soll, wobei die diesbezüglich älteste neolithische Umsetzung in Griechenland, im westlichen Thessalien, auf die Zeit um 5000 v. Chr. taxiert wurde. Deutlich spätere kunsthandwerkliche Exemplare entstanden um 100 v. Chr. in Ägypten, zwischen 400 und 800 n. Chr. in der sogenannten „Göttin mit dem Perlenturban“ in Mexiko oder in weiteren Terracotta-Figuren aus Mexiko sowie aus dem Grenzland zwischen Ecuador und Kolumbien aus der Zeit um 500 n. Chr. Die sogenannten Olmec-Figuren aus Mexiko nicht zu vergessen, die auch als „Babygesichter“ bekannt sind und in der Zeit zwischen 1500 v. Chr. und 300 n. Chr. entstanden waren. Wobei es keineswegs sicher ist, dass das Down-Syndrom tatsächlich bei den Dargestellten abgelesen werden kann.
Aus dem antiken Griechenland gibt es bislang keinerlei Belege für Trisomie 21, bekannt ist nur, dass die Hellenen jeglicher Form von Behinderung wenig wohlgesonnen begegnet waren. Im Römischen Reich sollte sich dies grundlegend ändern, jeglichen Gebrechen wurde mit moderater Toleranz begegnet. Von daher dürfte es gar nicht so sehr verwundern, dass im einzigen bislang aufgefundenen Down-Syndrom-Zeugnis der Römerzeit, einer auf das späte 2. Jahrhundert n. Chr. datierten kleinen Marmorstatue, die ein schlafendes Kind darstellt, ausgerechnet der Gott der Genesung namens Telesphoros mit recht deutlichen und zahlreichen äußeren Zeichen der genetischen Störung präsentiert wurde. Auch in einem keltischen Gräberfeld auf dem Territorium des heutigen Tauberbischofsheim wurden von Humanbiologen der Universität Tübingen 2003 die auf die Zeit um 550 v. Chr. taxierten Überreste einer 18- bis 20-jährigen Frau geborgen, aus deren für das Down-Syndrom typischen Skelett-Verformungen ein Hinweis auf die Chromosomenanomalie abgeleitet wurde.
Verewigt in Kunst und Malerei

Der mittelalterlichen Mentalität war es hingegen wieder völlig fremd, einen nicht der Norm entsprechenden Menschen ganz unabhängig von der Art seiner Störung oder Behinderung als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft zu akzeptieren. Was allerdings am frühesten mittelalterlichen Trisomie-21-Zeugnis aus dem 5. oder 6. Jahrhundert noch nicht abgelesen werden konnte. Denn das fünf- bis siebenjährige Kind war auf einem kleinen Friedhof des Klosters Saint-Jean-des-Vignes in Chalon-sur-Saône im französischen Nordosten auf dem Rücken liegend und mit dem Kopf nach Westen weisend an der Seite der anderen verstorbenen Gemeindemitglieder beigesetzt worden und dürfte daher laut den für die Grabung zuständigen Forschern auch in seinem kurzen Leben nicht stigmatisiert gewesen sein. Im heutigen Dörfchen Breedon on the Hill im englischen Leicestershire war 1960 in einem spätsächsischen Gräberfeld das Skelett eines neunjährigen, in der Zeit zwischen 700 und 900 n. Chr. verstorbenen Kindes mit eindeutigen Trisomie-21-Merkmalen entdeckt worden. Auch in der Malerei, beginnend mit dem Spätmittelalter bis hin zum 18. Jahrhundert, wollen manche Experten eine bildliche Umsetzung des Down-Syndroms auf ausgewählten Figuren ausfindig gemacht haben. Angeführt werden beispielsweise zwei dem bekannten italienischen Maler Andrea Mantegna (1431-1506) zugeschriebene Madonnenbilder samt Jesuskind mit (mutmaßlichen) Trisomie-21-Attributen, die Darstellung eines zehnjährigen Kindes auf dem Aachener Passionsaltar aus dem Jahr 1505, die Gestaltung eines Engels und eines Anbeters auf dem um 1515 entstandenen Gemälde „Die Anbetung des Jesuskindes“ im New Yorker Metropolitan Museum of Art oder die vom flämischen Maler Pieter Pourbus für ein Triptychon der Brügger Liebfrauenkirche porträtierte Familie de Boodt mit einer (mutmaßlich) Trisomie-21-Merkmale aufweisenden Tochter. Auch der bekannte niederländische Maler Jacob Jordaens soll auf zwei Werken aus den Jahren 1618 und 1635 ein Kind mit Down-Syndrom festgehalten haben. Gleiches wurde dem englischen Malerfürsten Joshua Reynolds bei seinem Gemälde „Lady Cockburn und ihre drei ältesten Söhne“ zugeschrieben.

Erste wissenschaftlichen Beschreibungen der Symptome des Down-Syndroms stammten vom französischen Psychiater Jean Étienne Dominique Esquirol 1838 und schon etwas ausführlicher von dessen als Arzt und Pädagogen tätigen Landsmann Édouard Séguin 1846 und 1866. 1866 war auch das Jahr, in dem der englische Arzt und Hochschuldozent Dr. John Langdon Down (1828-1896) die später nach ihm benannte genetische Abweichung erstmals in einer wissenschaftlichen Publikation präzise mit Nennung von Symptomen und Charaktereigenschaften beschrieben hatte. Diese Symptome und Eigenschaften hatte er als Leiter eines der größten Behindertenheime Englands, dem „Earlswood Asylum for Idiots“, bei einem Teil der von ihm Betreuten, die er in der Gewissheit um ihre Lernfähigkeit mit ungewöhnlichen Maßnahmen förderte, akribisch ermittelt. Der von ihm zur Beschreibung der Gesichtszüge und Augenformen verwendete Begriff „Mongolian Type“, eine damals nicht als anstößig empfundene ethnische Klassifizierung in Anlehnung an den Volksstamm der Mongolen, sollte für fast 100 Jahre unter dem Terminus „Mongolismus“ zur offiziell akzeptierten medizinischen Bezeichnung der Chromosomenanomalie werden (die er ab 1868 auch in seinem eigenen „Normansfield Training Institute“ in Teddington bei London weiter erforschen konnte). Erst 1961 wurde auf Anregung renommierter Genetiker sowie endgültig 1965 als Folge eines WHO-Beschlusses der Begriff „Down-Syndrom“ eingeführt.
Ursache seit 1956 bestätigt

Langdons Methodik und seine Empathie mit den Betroffenen wurden im 20. Jahrhundert zunächst nicht fortgesetzt. Das Wegsperren in Heimen blieb die Ultima Ratio, ohne eine angemessene Behandlung für die häufig mit dem Down-Syndrom verbundenen medizinischen Komplikationen. Weshalb die Lebenserwartung bei Betroffenen Ende der 1920er-Jahre lediglich bei neun Jahren gelegen hatte, weit entfernt vom heutigen Durchschnittswert von 60 Jahren. Im Zuge des schrecklichen Eugenik-Programms wurden ab 1907 in 33 der damals 48 US-Bundesstaaten Zwangssterilisationen an Menschen mit Down-Syndrom durchgeführt. Die Nazis übertrafen diese unmenschlichen Maßnahmen noch durch ihre mörderische Euthanasie. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts war die Ursache des Down-Syndroms unbekannt geblieben, lediglich ein direkter Zusammenhang mit dem zunehmenden Alter der Mutter wurde vermutet. Der Verdacht auf eine grundlegende Chromosomenanomalie wurde erstmals 1932 durch einen niederländischen Augenarzt namens Petrus Johannes Waardenburg und den US-amerikanischen Eugeniker Charles Davenport geäußert. Doch erst mit Aufkommen der sogenannten Karyotypisierung, mit deren Techniken sich die Form und die genaue Zahl der menschlichen Chromosomen ermitteln lässt, konnte ein französisches Forscherteam unter Leitung der Humangenetikerin Marthe Gautier 1956 das dreifache Vorkommen des 21. Chromosoms eindeutig als Ursache des Down-Syndroms belegen. Woraufhin für den klinischen Zustand der Begriff „Trisomie 21“ gebräuchlich werden sollte.
Seit dieser revolutionären Entdeckung konzentriert sich die moderne Forschung darauf, möglichst genau zu bestimmen, wie das zusätzliche Chromosom 21 die Symptome des Down-Syndroms beeinflusst. Sogar eine erfolgreiche Blockade des überschüssigen dritten Chromosoms im Labor wurde von US-Wissenschaftlern 2014 vermeldet, 2021 konnten Forscher der Technischen Universität Braunschweig die Hemmung eines Schlüsselproteins des Down-Syndroms in experimentellen Versuchen mit Zebrafischen verkünden. Ob dies auch bei Menschen funktionieren kann, bleibt abzuwarten. Aktuell wesentlich interessanter dürfte die Identifizierung einer für die Symptome des Down-Syndroms kritischen Region auf dem Chromosom 21 sein. Doch daneben hat ein ganzheitliches Behandlungskonzept mit früher Sprachförderung, Schulung motorischer Fähigkeiten sowie einer frühzeitigen Therapie von Herzfehlern, Muskelschwächen, Fehlbildungen des Magen-Darm-Trakts, Sehstörungen, Fehlfunktionen der Schilddrüse sowie Störungen des Immunsystems oder Gehörs das Leben der Betroffenen deutlich verbessern und die Lebenserwartung erhöhen können. Und auch in der pränatalen Diagnostik konnten mit dem „NIPT“ (Abkürzung für: Nicht-invasiver Pränataltest) Fortschritte gemacht werden, weil der auf einer Blutprobe der werdenden Mutter beruhende NIPT eine ideale und mit einer Aussagegenauigkeit von 99 Prozent treffsichere Alternative zur früher gebräuchlichen invasiven Fruchtwasserpunktion mit anschließender Chromosomenanalyse darstellt. Die Möglichkeiten der modernen Pränataldiagnostik erlauben werdenden Eltern bei einem Down-Syndrom-Befund die Entscheidung über Fortführung oder Abbruch der Schwangerschaft. Der Anteil der Paare, die sich für den Abbruch entscheiden, liegt heute bei rund 90 Prozent.