Dicke Schneehauben auf den Dächern, uralte Häuser und kaum Verkehr – so sieht das Idealbild eines Winterdorfes aus. Wir haben uns auf die Suche nach besonders schönen gemacht, in Tirol, Südtirol und im Engadin.
Ein Alpgasthof aus dem 17. Jahrhundert, ein Bergsteigerdorf ohne Touristenmassen und ein Elvisbild in der Schweiz – eine spannende Entdeckungsreise.
Alpbach, Tirol, Österreich
Wollte man ein typisches Tiroler Dorf malen, es würde aussehen wie Alpbach: Um die Pfarrkirche St. Oswald scharen sich uralte Holzhäuser mit von der Sonne geschwärzten Fassaden, auf den Dächern gekrönt von den Glockenstühlen, einem Holztürmchen, deren Glocke den Bauer auf dem Feld zur Brotzeit rief und bei Feuer Alarm schlug. Ein typisch traditionsreiches Dorf also. Jedoch: Spaziert man den Hang hinauf, steht man vor einer ultramodernen Glasfassade, versteckt in eine Wiese eingelassen – das 1999 erbaute Congress Centrum Alpbach. Genau genommen prägt das Dorf also ein Gestern-heute-Dualismus, oder um es in der Art Erwin Schrödingers zu sagen: „Alpbach ist gleichzeitig Tradition und Moderne.“ Dem Nobelpreisträger für Physik und Begründer der Quantenmechanik gefiel es in Alpbach so gut, dass er sich hier auch beerdigen ließ.
Im Congress Centrum tagt seit 1945 das Europäische Forum. Kluge Menschen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik, Kunst und Kultur diskutieren Fragen der Zeit. Auch Schrödinger nahm daran teil. Alpbach ist ein mittelgroßes Dorf geblieben, mit zweieinhalb Tausend Einwohnern und etwa genauso vielen Gästebetten. Schon 1953 erließ der Gemeinderat eine Bauordnung. Wer hier baut, darf nur den Sockel als Mauerwerk zeigen, ab dem ersten Stock muss mindestens mit Holz verschalt werden, wenn man nicht gleich mit Holz baut. Ein Höhenweg auf der Sonnenseite führt in Richtung Inneralpbach zum Alpengasthof „Roßmoos“, er steht schon seit 1676 so prächtig da. Der Erbhof ist seit über 200 Jahren in Familienbesitz. Die junge Wirtin Linda Moser sagt, es mache einen „stolz, so etwas weiterführen zu dürfen“.
Zurück im Ortszentrum von Alpbach ist ein Geräusch zu hören: der knurrende Magen. Nichts wie rein in den Gasthof „Jakober“, die Traditionsgaststätte wurde schon um 1218 urkundlich erwähnt. Da kann man in der Stube weiter traditionelle Architektur erkunden und sich deftige Speisen auftischen lassen. Etwa ein Tiroler Knödel-Trio aus Spinat-, Kaspress- und Rote-Rüben-Knödel mit brauner Butter und Parmesan.
Campill/Lungiarü, Gadertal, Südtirol, Italien
Als würde der Ort die Ankommenden mit offenen Armen empfangen: Campill liegt im Talschluss, umgeben von den rötlich-gelben Dolomitenwänden. Von hier geht es nicht mehr weiter – außer zu Fuß oder im Winter mit Schneeschuhen oder Tourenski. Da das Dorf auf 1.400 Metern liegt, kann man zuverlässig mit Schnee rechnen. Das freut Besucher, für die Bewohner war es früher eine arge Last. Man war lange abgeschnitten von der Welt, so hat sich aber die Sprache erhalten. „Die italienischen Gäste meinen, wir reden einen deutschen Dialekt. Und die Deutschen halten es für Italienisch“, erklärt eine Einheimische das Ladinische. Und so heißt das Dorf bei den Einheimischen eben auch Lungiarü. Die Sonne strahlt, nichts wie raus aus dem Dorf und seinen Viles. Diese Ansammlungen von Höfen, die sich die Zufahrtsstraße und den Backofen teilten, wirken wie Wagenburgen. Bergführer Simon Kehrer verteilt Schneeschuhe, und schon schnüren wir los, vom Weiler Laguscel über beste Panoramaterrassen. Unterhalb des Peitlerkofels geht es vorbei, an einem Heustadel packen wir die Brotzeit aus. Ein fantastischer Tag – an dem wir niemanden treffen. Campill gehört zu den „Bergsteigerdörfern“, eine Initiative der Alpenvereine. Hier gibt es Tourismus, aber keine Massen, keine Skilifte, keine riesigen Hotels. Wer Ruhe schätzt, findet ein weitläufiges Winterparadies. Wer Ski fahren möchte, zieht mit Tourenski los oder setzt sich in den Skibus und klinkt sich in die Sellaronda ein. Weil die ladinischen Täler so abgelegen waren, wurde fast nur das gegessen, was vor Ort erwirtschaftet werden konnte. Die Tutres sollte man sich nicht entgehen lassen, es sind Teigblätter gefüllt mit Spinat und Topfen, Kraut oder Mohnsamen.
Bever, Engadin, Schweiz
Bever liegt nicht verborgen in den Bergen, sondern offen, im weiten Hochtal. Es hat einen Bahnhof der Unesco-prämierten Albulalinie, 700 Einwohner und ist eines dieser typischen Engadiner Dörfer mit prächtigen, dicken Engadinerhäusern.
Die Ruhe genießen kann man etwa beim Spaziergang ins Bevertal. Flach hinein geht es am Bach entlang, hin und wieder fährt die schmucke, rote Albulabahn vorbei. Bei Bedarf hält sie am „Gasthaus Spinas“, weil dessen Geschichte eng verbunden ist mit der Bahn: Zur Bauzeit des Albulatunnels vor über 100 Jahren war Spinas ein Barackendorf der Arbeiter. Bis zu 400 Menschen lebten hier. Übrig geblieben sind auf 1.818 Metern überm Meer nur das Gasthaus, der Bahnhof und wenige weitere Gebäude.
In der Gaststube tummeln sich Spaziergänger und Langläufer, Wirt Roland Gruber kommt kaum hinterher mit dem Servieren von Hirschsalsiz, Bündnerfleisch, Capuns und Rösti. Und Hugo. Das Sommergetränk wird zuhauf ausgeschenkt – weil Gruber als Erfinder dessen gilt. Der Südtiroler erzählt, 2005 habe er in seiner Bar in Naturns nach einem leichten Drink „für die Damen“ gesucht, Basis war Zitronenmelissesirup, „Holunder kam bei mir nie ins Glas“, sagt er und stellt ein Glas auf den Holztisch. Tatsächlich schmeckt sein Original weniger klebrig. In Bever selbst fallen die prächtigen Häuser auf, wie kamen die Bauern nur zu so viel Geld? „Sie waren Zuckerbäcker“, sagt Renato Roffler, Gemeindeverwalter von Bever und Ortsführer. Sie emigrierten, machten in der Fremde ihr Glück und kehrten wohlhabend zurück. Dabei sind die Häuser nicht so massiv, wie sie scheinen. „Das sind alles Holzhäuser“, sagt Roffler. Die Häuser wurden ummantelt und dick gekalkt. Weiter geht die Führung zur Kirche San Giachem aus dem 14. Jahrhundert mit ihren gotischen Wandmalereien – und hier zieht Roffler ein Foto aus der Mappe. Es zeigt Elvis. Elvis??? Auf dem Plattencover „Christmas with Elvis“ steht der King of Rock’n’Roll tatsächlich neben dem markanten Bever Kirchturm. Also scheinbar, es ist eine frühe Fotomontage. Roffler lacht. „Nein, er war nie hier. Das hat wohl ein Grafiker so zusammengebastelt.“