Hertha BSC verliert beim 1:1 in Mainz in letzter Sekunde zwei Punkte – und kommt so vor der anstehenden Liga-Pause nicht wirklich von der Stelle.
Von „bitter" (Kapitän Marvin Plattenhardt) bis „brutal" (Trainer Sandro Schwarz) reichte das Spektrum der Einschätzungen über den Verlauf der Partie von Hertha BSC bei Mainz 05 am Freitag vergangener Woche. Und Jean-Paul Boëtius ärgerte sich an alter Wirkungsstätte einfach nur: „In der zweiten Halbzeit hatten wir überhaupt keine Ruhe mehr im Spiel – das ist dumm." Kein Wunder, musste Hertha BSC doch in der Nachspielzeit noch den knappen 1:0-Vorsprung und damit zwei Punkte hergeben, die dem Team tabellarisch und stimmungsmäßig vor der länderspielbedingten Bundesligapause extrem gutgetan hätten. So blieben sich die Blau-Weißen jedoch treu in ihrer Präsentation der bisherigen Saison, die immer wieder zwar gute Ansätze hervorbrachte, das ganz große Aha-Erlebnis am Ende aber vermissen ließen. Der 2:0-Sieg in Augsburg vor drei Wochen bildete da zwar die Ausnahme – ausgebaut werden konnte der Dreier allerdings „nur" zu einer Serie von drei ungeschlagenen Partien in Folge, die zuletzt durch zwei Unentschieden erreicht wurde. Gegen Leverkusen drehte Hertha erstmals in diesem Kalenderjahr einen Rückstand, kassierte aber noch den Ausgleich – und in Mainz, wo in sieben Spielen zuvor kein Sieg gelungen war, erzielte der Kontrahent in der 94. Minute noch das 1:1. Für ein Team, das bislang nur einen Saisonerfolg feiern durfte, wirkt ein solcher Spielverlauf dann gerade in einer Pause besonders nach.
Von „bitter" bis „brutal"
In einem insgesamt wenig attraktiven Bundesligaspiel war Hertha BSC dabei zunächst das bessere Team und zeigte durch den Kopfballtreffer von Lucas Tousart nach feiner Vorarbeit von Chidera Ejuke obendrein eine ausgezeichnete Chancenverwertung. „Wir haben in der ersten Halbzeit eine sehr gute Leistung gezeigt, waren sehr mutig und sehr konsequent in der Verteidigungshaltung", fasste Sandro Schwarz das Geschehen vor der Pause aus Sicht von Hertha BSC knapp und korrekt zusammen. Die Gastgeber waren bis zur Pause nicht dazu gekommen, auch nur einen Schuss auf das Tor von Oliver Christensen abzugeben. Die Hauptstädter konnten aber auch nicht nachlegen, reagierte doch 05-Torwart Robin Zentner glänzend bei Ejukes Abschluss kurz vor dem Pausenpfiff. Nach dem Seitenwechsel aber zwängten die Mainzer den Blau-Weißen mehr und mehr ihr Spiel auf – oder wie Trainer Schwarz formulierte: „Da war das große Problem, dass wir uns auf den Ringkampf eingelassen haben." Durch das Last-Minute-Gegentor bekam das Erreichen des Berliner Minimalziels, ein drittes Mal in Folge ungeschlagen zu bleiben, dann aber eher einen faden Beigeschmack. Fünf Punkte aus drei Partien sind nach dem schwachen Start zwar ein Aufwärtstrend – auf so etwas wie ein Erweckungserlebnis muss man an der Spree aber weiter warten. Die gute Leistung der ersten Halbzeit nicht durchgesetzt zu haben, ist dabei eher als Rückschritt im Vergleich zu den beiden vorangegangenen Partien zu bewerten. Und der „ewige Konjunktiv" – der voraussetzt, dass sich die Belohnung für hartnäckiges Arbeiten irgendwann zwangsläufig einstellen muss – hilft auch nur bedingt weiter. Marc Kempf drückte es so aus: „Wenn dir so etwas zu oft passiert, fehlen dir am Ende ganz wichtige Punkte: Es wird unser nächster Step sein, in solchen Situationen eine Führung über die Zeit zu bekommen."
Es gab aber auch keinen gewichtigen Grund für den Trainer, die Aufstellung im Vergleich zum Leverkusen-Spiel zu ändern – mit der Ausnahme, dass Suat Serdar wegen eines Infekts passen musste. Für den 25-Jährigen rückte mit Boëtius ein anderer Ex-Mainzer von Beginn an in Herthas Mittelfeld. Fredi Bobic hatte den Neuzugang trotz anfänglicher Schwierigkeiten zuvor gelobt: „Er wird von Woche zu Woche besser: Er belebt unser Spiel, bringt klare Struktur rein und ist ballsicher." Das „Starkreden" vor der Partie schien dabei überhaupt eine gewisse Strategie zu sein – denn auch andere Spieler, die bislang gewisse Fragezeichen aufgeworfen hatten, bekamen ein ausdrückliches Sonderlob. Wilfried Kanga zum Beispiel, der für drei Millionen Euro von Young Boys Bern verpflichtet wurde, als „günstige Lösung" für das Personalproblem in der Sturmzentrale aber bis dahin in sechs Einsätzen (und nun auch im siebten) ohne Torerfolg geblieben war. Doch der 24-Jährige wurde von Fredi Bobic – früher ja einmal selbst Angreifer – in Schutz genommen: „Er reißt sich wirklich den Hintern auf für die Truppe und für seine Außenspieler", strich Herthas Sportvorstand extra vor der Partie in Mainz heraus, „das brauchen wir, er ist ein verlässlicher Spieler, der immer abliefert." Kurios dabei Kangas Bilanz: In seinen ersten sechs Einsätzen im blau-weißen Trikot hatte der Franzose nur neunmal auf das Tor geschossen – andererseits aber seinen Mitspielern auch schon 13 Abschlüsse vorgelegt.
Kanga in der Top Ten der Liga
Damit gehört er zu den Top Ten in der Bundesliga – Kanga ist als Mittelstürmer also quasi erster Vorbereiter seiner Mannschaft. So macht er auch Bälle mit Körpereinsatz in der Spitze fest, bis die offensiven Außenbahnspieler nachgerückt sind, bindet Gegenspieler. Und auch Filip Uremović erfuhr zuletzt „Streicheleinheiten", obwohl der Neuzugang um ein Haar bereits im vierten Einsatz den zweiten Platzverweis kassiert hätte und für einen Innenverteidiger noch verbesserungswürdige Zweikampfwerte besitzt. Das Zusammenspiel mit Marc Kempf in der Defensivzentrale zeigte schon gegen Leverkusen jedoch Verbesserungen, sodass mit Agustín Rogel ein weiterer neuer Abwehrspieler auch in Mainz nicht im Kader stand. „Wir müssen berücksichtigen, dass er erst seit acht Tagen im Trainingsprozess ist und hier eine andere Intensität stattfindet als in Südamerika – das braucht ein bisschen Zeit", erklärte Sandro Schwarz zur Personalie des Uruguayers. Allerdings wird in dieser Hinsicht in der Bundesliga-Pause nicht viel passieren können, da Rogel erstmals zu Partien der Auswahl seines Heimatlands eingeladen wurde.
Alldieweil geht es nach der Ligapause für Hertha BSC ab dem 2. Oktober weiter mit den Heimspielen gegen Hoffenheim und Freiburg (9. Oktober), darauf folgt das Auswärtsspiel bei RB Leipzig (15. Oktober). Aus diesen Begegnungen holten die Berliner in der Vorsaison einen Sieg – bei identischer Punkteausbeute hätten sie dann nach dem zehnten Spieltag drei Zähler weniger als zum gleichen Zeitpunkt 2021/22.