Experten debattieren schon lange über Strompreiszonen in Deutschland. Eine Studie untermauert die Hinweise auf mehr Effizienz und günstigere Preise – wenn alle Bundesländer mitziehen.
Experten für Strommärkte und -systeme diskutieren seit Jahrzehnten über mehr Effizienz, intelligentere Stromsysteme und auch Strompreiszonen. Für einige Strommarktexperten ist klar: ein einheitlicher Strompreis, wie er derzeit in Deutschland gilt, ist angesichts einer zunehmend dezentraleren Stromversorgung nicht mehr zeitgemäß. Mit der Veröffentlichung des sogenannten „Bidding Zone Review“ hat der europäische Verband der Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E) eine Diskussion neu angestoßen, die schon länger unter Fachleuten geführt wird: Soll Deutschland künftig in mehrere Strompreiszonen unterteilt werden? Eine solche Aufteilung würde bedeuten, dass beispielsweise Nord- und Süddeutschland an der Strombörse unterschiedliche Preise hätten. Ziel wäre es, Engpässe im Stromnetz transparenter zu machen und teure Eingriffe in das Netz – sogenannter Redispatch, also An- oder Abschaltungen von Anlagen – zu reduzieren. Die Kosten für den Umgang mit Engpässen sind zwischen 2019 und 2023 von 1,3 auf über drei Milliarden Euro gestiegen, so die Hans-Böckler-Stiftung in einer Studie.
Üblicherweise orientieren sich Strompreiszonen an den Landesgrenzen, im Falle von Deutschland bildet das Land zusammen mit Luxemburg eine einheitliche Zone. Die Studie empfiehlt nun, Deutschland in bis zu fünf Strompreiszonen einzuteilen. Dies könne Kosten einsparen, die Studie spricht von 339 Millionen Euro. Derzeit gilt in ganz Deutschland derselbe Großhandelsstrompreis, obwohl billiger Strom aus Windanlagen im Norden mangels Netzkapazitäten häufig nicht bis in den Süden transportiert werden kann, wo er gebraucht wird. In solchen Fällen muss der Windstrom aus Norddeutschland abgeregelt und gleichzeitig teurerer Strom – etwa aus Kohle- oder Gaskraftwerken – im Süden produziert werden. Der Strompreis in ganz Deutschland orientiert sich immer am teuersten Anbieter, meist Gaskraftwerken. Diese Maßnahmen kosten laut ENTSO-E jährlich mehrere Hundert Millionen Euro. Eine Aufteilung der Zone könnte diese Kosten nach Modellrechnungen um bis zu 50 Prozent senken. Heißt: Engpässe im Netz würden sich nicht in einem höheren gesamtdeutschen Preis niederschlagen, so wie es aktuell geschieht.
Drei Experten bewerteten nun laut „Science Media Center“ die Ergebnisse des Berichts und ordneten sie ein: die Professoren Karsten Neuhoff vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, Lion Hirth von der Hertie School und Martin Bichler von der Technischen Universität München. Ihre Aussagen zeigen ein weitgehendes fachliches Einvernehmen: Eine Reform sei aus systemischer Sicht überfällig, unter anderem, weil das deutsche System flexibler und dezentraler wird.
Ohne drohe ein Systemkollaps, regionale Besonderheiten finden bei der Preisgestaltung noch gar keine Berücksichtigung. „Wir haben jetzt in der Zwischenzeit PV-Anlagen, wir haben Speicher in den Häusern, wir haben Flexibilität in Unternehmen, wir haben E-Mobilität. Alle können und wollen dazu beitragen und brauchen dafür ein klares Preissignal“, erklärt Neuhoff. Bei zunehmend lokal hergestelltem Strom stellen sich Fragen: „Was ist der Wert von Strom jetzt gerade in meiner Stadt?“, sagt Neuhoff. „Das möchte ich kommuniziert bekommen. Wie kann ich also ein System darauf aufbauen? Was brauche ich, damit Endkunden sich beteiligen, ihre Flexibilität einbringen und damit selbst profitieren und dem System insgesamt nützen? Das geht eben mit lokalen Marktplätzen.“
„Anreize setzen und Verlierer schützen“

Ein häufig genanntes Argument gegen eine Zonenteilung ist die Unsicherheit über künftige Preisentwicklungen. Aus Sicht von Martin Bichler ist das Argument nur bedingt tragfähig. Die derzeitige Einheitszone sei ebenfalls nicht robust, da sie häufig kurzfristig durch Eingriffe korrigiert werden müsse. Zudem zeigen Modellrechnungen, dass kleine Preiszonen deutlich stabilere Ergebnisse liefern. Dagegen sei „der Versuch, große Preiszonen stabil festzulegen, sehr schwierig und aus meiner Sicht fast nicht umsetzbar“, so Bichler. Eine mögliche Aufteilung der Strompreiszone in zwei bis fünf Regionen ließe sich laut den Experten innerhalb von drei Jahren realisieren – ausreichend Zeit, um Systeme anzupassen, Verträge zu prüfen und Regelprozesse umzubauen. Damit wäre eine Umsetzung innerhalb einer Legislaturperiode möglich.
Der entscheidende Punkt: Politisch ist dies derzeit nicht umsetzbar. Vor allem im energieintensiven und hochindustrialisierten Süden Deutschlands gibt es Befürchtungen, jene Industrien könnten sich in günstigere Strompreiszonen verlagern, sprich nach Norden. Laut Martin Bichler liegen die simulierten Preisunterschiede – je nach Szenario – zwischen etwa vier und acht Euro pro Megawattstunde. Das entspricht 0,4 bis 0,8 Cent pro Kilowattstunde. Das sei deutlich weniger als die bestehenden Unterschiede bei den Netzentgelten, die heute zwischen Netzregionen mehrere Cent betragen können, so Hirth. Trotzdem sei klar: Für stromintensive Industrieunternehmen würden auch kleine Differenzen spürbar sein. Hirth und Bichler betonen, dass sich mögliche Nachteile für betroffene Industrien durch bewährte Kompensationsmodelle auffangen ließen. Hirth verweist auf sogenannte „Glattstellungszahlungen“, mit denen energieintensive Betriebe für regionale Preisnachteile ausgeglichen werden könnten – finanziert aus den eingesparten Redispatch-Kosten und zusätzlichen Engpasserlösen. „Man kann die richtigen Anreize setzen und gleichzeitig die Verlierer schützen“, so Hirth. In der Debatte würde dennoch der Eindruck entstehen, einer nähme dem anderen etwas weg, sagt Hirth. Darum gehe es jedoch nicht, sondern „darum, das Stromsystem intelligenter und damit günstiger und sicherer zu machen“. Kleinere Strompreiszonen, die an Effizienz gewinnen und Kosten sparen, könnten dafür sorgen, dass Ausgleichszahlungen an die betroffenen Betriebe ausgeschüttet würden.
Um den Markt für jene Preiszonen neu aufzustellen, seien jedoch Investitionen von rund 2,4 Milliarden Euro nötig. Zum Vergleich: Das Hans-Böckler-Institut errechnete Kosten von rund 650 Milliarden Euro alleine für den jetzt schon stattfindenden, zukunftsfähigen Netzausbau Deutschlands bis ins Jahr 2045. Prof. Dr. Karsten Neuhoff geht sogar noch weiter: Denkbar seien noch kleinteiligere, lokale Preiszonen, wenn die Netze noch flexibler und intelligenter seien. „Mit lokalen Preissignalen kommen wir dazu, dass wir die Flexibilität nutzen können. Ohne die Signale vergrößert sie die Redispatch-Kosten“, so Karsten Neuhoff. Er geht sogar noch weiter und sieht sogenannte „nodale“ Preiszonen, also Preiszonen für einzelne Städte oder Umspannstationen, als zukunftsfähigste Lösung an. Dies existiere etwa in den USA. „Sobald ein Land umgestiegen ist auf nodale Preise, ist es nie wieder davon weggegangen“, so Neuhoff.
Prominenteste Kritik am derzeit einheitlichen Preissystem kam im vergangenen Dezember aus Schweden, dessen Stromnetz mit dem deutschen verbunden ist. Eine Dunkelflaute bescherte dem schwedischen nationalen Markt plötzlich hohe Strompreise, als Deutschland dort kurzfristig mehr Strom einkaufte. Schwedens Energieministerin forderte daher eine nördliche Strompreiszone in Deutschland und einen Ausbau der Atomkraft, um solche exorbitanten Schwankungen in Nachbarstaaten künftig zu vermeiden. Mit einem beschleunigten Netzausbau in Gesamtdeutschland, wie im Koalitionsvertrag festgehalten, wären solche Schwankungen künftig besser vermeidbar. Im Koalitionsvertrag von Schwarz-Rot findet sich über Strompreiszonen jedoch nichts. Vor allem bayerische, baden-württembergische, aber auch saarländische und nordrhein-westfälische Interessen, genauer die Furcht vor Industrieverlagerungen und Abwanderungen angesichts ohnehin schwieriger wirtschaftlicher Lagen stehen der deutschen Preiszonenteilung entgegen. Sie sind in Deutschland chancenlos. Noch.