Spannende Kultur, bunte Städte und weite Strände: Die Kapverden vor der Nordwestküste Afrikas tauchen immer häufiger als Seereiseziel auf. Ein Besuch auf den Inseln Santiago und São Vicente.
Ein perfektes Wochenende sieht für die Kapverdierin so aus: Am Samstag arbeiten bis 13 Uhr, auf dem Markt einkaufen, dann drei Stunden lang den Eintopf Cachupe kochen und dabei den neusten Klatsch mit den Nachbarinnen austauschen. Am Abend wird das Essen ausgiebig zelebriert und geht mit Musik und Gesang in eine Party über. Am Sonntagmorgen sind die katholischen Kirchen übervoll mit Menschen. Verwandtenbesuche zum Mittagessen oder ein gemeinsames Picknick von drei bis vier Generationen am Strand – das ist der Lebensstil auf den kapverdischen Inseln. „Wir leben jeden Tag, wie er kommt, und hoffen, dass der nächste besser wird“, sagt Nilza Barros, eine Gästeführerin auf der Insel Santiago. Ihre Heimat ist Praia, die Hauptstadt der Kapverden. Mit 140.000 Einwohnern lebt dort fast ein Drittel der Landesbevölkerung. Der Hafen bringt vielen Leuten Arbeit, immer häufiger ist es jedoch der Tourismus. Rund 21 Prozent tragen Urlauber zum Bruttosozialprodukt bei, und gerade mit Kreuzfahrten soll in den kommenden Jahren mehr Umsatz generiert werden. Praia auf Santiago und Mindelo auf der Insel São Vicente sind die beiden Häfen, die auch von deutschsprachigen Kreuzfahrtschiffen angelaufen werden.
Quirliges Treiben in der Markthalle
Bei einem Landgang auf der größten und abwechslungsreichsten Insel des Archipels lernen Besucher die kolonial geprägte Innenstadt von Praia kennen. Bunte Häuser mit weißen Verzierungen und kleine grüne Parks bestätigen das Bild, das der Reisende von den Kapverden hat. Erwähnenswert sind der alte Präsidentenpalast, zwei schlichte Kirchen, Rathaus und Justizpalast sowie das ethnografische Museum. Auf dem „Plato“ über dem Atlantik befindet sich das Denkmal des portugiesischen Inselentdeckers Diego Gomes. „Wir wurden nicht entdeckt, wir wurden zufällig gefunden“, sagt Nilza. Das war, als die Seefahrernationen die Welt erkundeten und Wege nach Indien suchten. Später war Praia der Proviant- und Kohlehafen für Dampfschiffe nach Südamerika.
Das quirlige Treiben in der seit über 100 Jahren existierenden rudimentären Markthalle ist für viele Besucher ein Höhepunkt. Hier wird alles gehandelt: Obst, Gemüse, Kräuter, Fische, Geflügel. Und: Das Geschäft ist fest in weiblicher Hand, sowohl bei den Verkäuferinnen als auch bei den Hausfrauen mit ihren prall gefüllten Einkaufstaschen. „Diese Frauen wissen alles“, sagt Nilza, „sie kommen von allen Teilen der Insel, sie sind die Seele und das Herz des Landes und halten alles zusammen.“
In einer ruhigen Minute spricht sie – deutlich ernsthafter – über typische weibliche Schicksale: Schon früh bekommen die Frauen Kinder, der Mann wandert aus, um Geld zu verdienen – und lässt nichts mehr von sich hören. Jahre des Wartens, Hoffens und Bangens vergehen; die Frauen müssen ihre Familie durchbringen. Manchmal gehen sie eine neue Beziehung ein, es kommen weitere Kinder. Fakt ist, es leben mindestens so viele Kapverdier im Ausland wie auf den Inseln.
Diejenigen, die zurückkehren, haben es in der Regel zu Wohlstand gebracht, in Europa oder in den USA. Sie bauen repräsentative Steinhäuser, oft sind es auch nur selbstgenutzte Ferienhäuser. Die grünen Autokennzeichen verraten die Emigranten, die ihre Fahrzeuge nur temporär angemeldet haben.
Steuern sind ein schwieriges Thema, nur Staatsbedienstete haben Abzüge auf dem Lohnausweis. Die meisten Einkommen versickern in einer Schattenwirtschaft. Es wird bar auf die Hand bezahlt. So verwundert es kaum, dass der Staat für seine Bürger nur geringe Leistungen zur Verfügung stellt und Armut sehr weit verbreitet ist. Die Lebensgrundlage sind für viele die Geldtransfers ihrer ausgewanderten Familienangehörigen.
Sklavenhandel wurde 1852 abgeschafft
Elf Kilometer von Praia entfernt liegt das Unesco Welterbe Cidade Velha. Seine düstere Geschichte begann 1462, als dort unter dem Namen Ribera Grande das größte natürliche Gefängnis der Menschheitsgeschichte errichtet wurde. Abertausende von Sklaven, gefangen genommen auf dem afrikanischen Kontinent, wurden von den herrschenden Portugiesen in dem Tal zusammengetrieben und warteten auf den Abtransport in die Neue Welt. Wem es gelang zu fliehen, der kämpfte sich entlang des heute ausgetrockneten Flusslaufs in die schwer zugängliche Berglandschaft. Am Strand, wo der Sklavenhandel abgewickelt wurde, erinnert ein Pranger an den Auktionsplatz. Das Geschäft mit den Sklaven wurde 1852 abgeschafft, noch 6.000 Menschen erhielten endlich ihre Freiheit. Leider wird weder in Cidade Velha noch in der darüber thronenden Festungsanlage Fortaleza Real de São Felipe angemessen über dieses schreckliche Kapitel der kapverdischen Geschichte informiert. Beeindruckend ist es dennoch, diesen historischen Ort zu besuchen.
In der Kirche an der pittoresken Rua Banana in Ribeira Grande wurden die Menschen vor dem Verkauf noch schnell zwangsgetauft, damit sie einen höheren Preis erzielten. Nilza Barros zeigt auf einen Grabstein aus dem Jahr 1933. „Padre Nicolau Gomes Ferreira“ steht darauf. Der Priester soll schätzungsweise 55 Kinder gehabt haben. Die Katholische Kirche habe Gutes gebracht, indem sie die Menschen lesen und schreiben gelehrt habe, bemerkt Nilza. Sie sieht aber auch den Missbrauch, der bis heute anhalte. Mit Blick auf die Missionare sagt sie: „Es ist doch kein Wunder, wenn ein 19-jähriger Geistlicher nach einer wochenlangen Überfahrt an Land kam, unseren 43-prozentigen Grogue trank, das gute Essen aß und die Schönheiten sah – dann passierte es.“
Viele Häuser haben eine Bar zum Feiern
Nilza ist Kreolin, also eine Nachfahrin von Europäern und Afrikanern. Vor der portugiesischen Entdeckung waren die Inseln unbewohnt. Heute strömen Migranten vom Festland auf die Inseln. Sie tragen zum lebendigen Treiben bei, insbesondere mit ihren panafrikanischen Souvenirständen. Sobald sie zu etwas Wohlstand gekommen sind, bauen sie ihr Elternhaus aus der Heimat, oft Guinea-Bissao oder Senegal, nach. Einige Besitzer sind so stolz, dass sie ihr Porträt auf die Fassade malen lassen. So sind die Siedlungen bunt und abwechslungsreich – und in vielen Häusern befindet sich im Erdgeschoss eine Bar zum Feiern.
Die Touristen fragen meist nach der charismatischen Sängerin Cesária Évora (1941 – 2011), und es gibt ein kleines Museum, allerdings in Mindelo. Die Reiseleiterin singt Évoras bekanntestes Lied „,Sodade‘“. „Sodade heißt, ich vermisse dich“, erklärt sie. „Wenn du mir schreibst, schreibe ich dir; wenn du mich vergisst, vergesse ich dich“, intoniert sie weiter zu der wehmütigen Fado-Melodie. Nilza weiß, dass die Gäste dieses Lebensgefühl suchen. Es ist etwas anachronistisch, denn die Kapverdier hören inzwischen lieber Elektro-Pop. Auf der Insel São Vicente findet jeweils am ersten Wochenende nach Vollmond im August ein populäres Musikfestival statt. Der Strand Baía das Gatas ist dann mit Zelten übersät, die zum Übernachten vermietet werden. Eine Open-Air-Bühne sorgt für die Beschallung. „Gatas“ sind übrigens Welse – oder „heiße Mädchen“. Der geschützte Strand mit seinen schwarzen Lavafeldern, die wie natürliche Wellenbrecher ins Meer hinauslaufen, ist auch bei Familien beliebt. Surfen und Kite-Surfing gehören zu den beliebtesten Freizeitbeschäftigungen auf den kapverdischen Inseln.
Aussichtsturm mit Meeresmuseum
Ein Aufenthalt ist allerdings nicht komplett, ohne der kulturellen Hauptstadt Mindelo einen Besuch abgestattet zu haben. In Laufweite des Cruise-Anlegers befindet sich das Casa do Cultura, das ehemalige Zollamt. Dort werden ein paar zeitgenössische Bilder gezeigt und gehobenes Kunsthandwerk angeboten. Das neue Nationale Zentrum für Kunst und Design (CNAD) fehlt allerdings in den Reiseführern. Es verfügt auch über ein Café und einen Shop und liegt am Platz Praça Nova mit seinem Jugendstilkiosk. Dieses ruhige Wohnviertel war vor einem Jahrhundert bei Europäern beliebt. Heute stehen dort Mittelklasse-Hotels und private Villen.
Touristen zieht es vor allem zur Torre de Belém, einem bescheidenen Nachbau des Wahrzeichens von Lissabon. Der Aussichtsturm steht genau an der Uferstraße Avenida Marginal und beherbergt auch das sehenswerte kleine Meeresmuseum. Es zeigt erstaunliche Exponate, die aus den vielen in der windgeplagten Region untergegangenen Schiffen geborgen wurden: Navigationsinstrumente seit dem 15. Jahrhundert, Utensilien für den Sklavenhandel, aber auch Accessoires nobler Damen, die in die Kolonien reisen wollten – bis hin zu der Spritze eines Schiffsarztes, der Matrosen behandelte, die mit einer Geschlechtskrankheit vom Landgang zurückkamen.
Noch heute liegt das Hauptkrankenhaus der Kapverden in Praia, deshalb gibt es in der Stadt mit rund 76.000 Einwohnern auch die meisten Begräbnisse. Verstorbene werden meist 24 Stunden in ihrem Haus aufgebahrt. Die Kondolenzbesuche der Nachbarn und Verwandtschaft dauern jedoch sieben Tage; während dieser Zeit muss jeder beköstigt werden, erzählt Nilza. Das sei eine enorme finanzielle Belastung für die Hinterbliebenen, weshalb Geld- und Sachgeschenke bei der Aufwartung durchaus zum guten Ton gehören. Die Nutzungszeit der Grabfelder sei zudem von sieben auf fünf Jahre gesenkt worden – aus Platzmangel.
Leben und Sterben auf den Kapverden, beides lag in den vergangenen gut 500 Jahren seit ihrer Besiedlung immer sehr nahe beieinander. Vielleicht befeuert gerade das die besondere Stimmung und Feierlaune bei der freundlichen Bevölkerung: Wir lassen es uns gut gehen, so lange es geht. Gäste sind dabei herzlich willkommen.