Fabian Hürzeler ist gerade mal 31 und führt den FC St. Pauli als Trainer wohl in die Bundesliga. Der ungewöhnliche Coach hat drei Staatsbürgerschaften und auch sonst schon viel erlebt.
Es ist bereits das zweite Mal in seinem Leben, dass Fabian Hürzeler vor einer vielversprechenden Karriere steht. Im März 2012 erschien beim Portal spox.com ein Artikel über den damals 19-Jährigen mit der Überschrift: „Gestatten, Bayerns Zukunft“. Hürzeler war damals Kapitän und laut Spox „Kopf“ der A-Junioren von Rekordmeister FC Bayern München. Er galt als großes Talent, stand mit den Bayern im Finale um die deutsche U19-Meisterschaft, war deutscher Junioren-Nationalspieler und wurde auch zu einem Lehrgang des US-Nachwuchses nominiert? Warum? Dazu später mehr. Doch die große Spieler-Karriere blieb aus – im Gegensatz zum Beispiel vom damaligen Teamkollegen Emre Can. Hürzeler spielte als defensiver Mittelfeldspieler für die Münchener U23 unter Trainer Mehmet Scholl. Der habe eine „sehr spezielle“ Art gehabt: „Mehmet Scholl ist sehr direkt. Was er über dich in gewissen Situationen denkt, sagt er dir ins Gesicht. Damit muss man klarkommen. Aber wenn man sich darauf einlässt, kann er für junge Spieler ein großer Förderer sein.“ Die Bayern wollten nach Hürzelers Aussage mit ihm verlängern, „doch ich wollte das nicht“. Er hatte zwar schon mit den Profis trainiert, mit Franck Ribéry oder Bastian Schweinsteiger, er kam auch in Testspielen zum Einsatz, aber Chancen auf einen Platz im Profi-Kader rechnete er sich nicht aus.
Aufstieg wohl nur noch Formsache
Also ging Hürzeler nach Hoffenheim. Trainer Markus Gisdol nahm ihn in den Profi-Kader auf, zum Einsatz kam er auch dort nur in Testspielen und bei der Zweiten Mannschaft. Also orientierte sich Hürzeler, den auch einige Verletzungen plagten, Schritt für Schritt anders. Erst ging er in die Zweite Mannschaft von 1860 München, 2016 dann zum FC Pippinsried in die Fünfte Liga.
Das war letztlich wohl der entscheidende Schritt, denn Hürzeler fungierte dort als Spielertrainer. „Auf mich wirkte er wie ein verwöhntes Bürschlein, das von seinen Eltern auf Rosen gebettet wurde“, das sei sein erster Eindruck gewesen, sagte der damalige Pressesprecher des Clubs, Hubert Fesl. Doch das stellte sich schnell als falsch heraus. Nicht nur, weil ihm seine Eltern einst eine Playstation verboten. „Die ist ein Zeitkiller“, findet Hürzeler noch heute.
In Pippinsried fiel er schnell als fleißig und offen auf – und er war erfolgreich. Er führte den Club aus dem 500-Einwohner-Dorf
erstmals in die Regionalliga. Und setzte nun voll auf seine Trainer-Laufbahn, die unglaublich schnell voranschritt. 2018 wurde er nebenbei Co-Trainer der deutschen U20-Nationalmannschaft, 2020, mit 27, Co-Trainer beim Zweitligisten FC St. Pauli und im Dezember 2022 schließlich dort Chef-Coach. Als mit Abstand beste Rückrunden-Mannschaft führte er das Team aus der Abstiegszone fast noch bis zum Aufstieg. In der Hinrunde der laufenden Saison blieb er mit St. Pauli ungeschlagen, aktuell ist der Aufstieg in die Bundesliga greifbar nahe. Und Hürzeler ist gerade mal 31. „Es ist gang und gäbe in der Branche, dass du als so junger Trainer mit Vorurteilen zu kämpfen hast“, sagte er: „Aber mir ist wichtig, klarzustellen: Ich bin ein junger Mensch, aber kein junger Trainer. Ich habe schon einige Jahre Erfahrung gesammelt.“
In der Tat hat er bereits ein bewegtes Leben hinter sich. Als Sohn eines Schweizer Professors der Implantologie und Skilehrers sowie einer deutschen Mutter wurde er in Houston/Texas in den USA geboren. Deshalb hat er auch drei Staatsangehörigkeiten. Als er zwei war, zog seine Familie nach Freiburg, drei Jahre später nach München. Zu den USA hat er weiter eine Bindung, wie er in einem Porträt von Hoffenheim 2014 verriet: „Wir waren früher fast jedes Jahr in den USA und haben Städtetouren gemacht. Mir fällt keine der größeren Städte ein, die ich noch nicht gesehen hätte.“ In Houston sei es aber „sehr heiß. Und die Kriminalitätsrate ist sehr hoch.“ Seine Lieblingsstadt in den Staaten ist Miami wegen „Strand, Sonne und freundlicher und offener Menschen.“
Sehr offen über sich sprach Hürzeler im Podcast „Free Hamburg“. Er berichtete, dass er nie Kaffee trinke, gerne Biografien und Bücher über Führung lese, dass er gern Padel-Tennis und Tennis spielt. Dass die Spiele-Abende im Kreise der Familie manchmal so emotional werden, „dass schon das ein oder andere Geschirr geflogen ist“ und dass er „gut feiern kann. Da geht es nicht darum, sich sinnlos zu besaufen“, räumte er ein: „Sondern gemeinsam Zeit zu verbringen.“ In Sachen Alkohol „kenne ich meine Grenzen, aber in der Sommerpause habe ich schon mal zwei, drei Gläser getrunken.“
An der Linie noch zu impulsiv
In Bezug auf Belastung sei er schon „sehr, sehr resilient. Ich brauche nicht viel Abstand vom Fußball, nicht so viel Freizeit.“ Aus dem Modul „Selfcare“ bei der Trainer-Ausbildung habe er aber „sehr viel mitgenommen für mich. Auch wie wichtig Schlaf oder Ernährung sind.“ Zu seinem 31. Geburtstag im Februar organisierte er dennoch einen Foodtruck für seine Mannschaft. „Ich glaube, dass es nicht immer ganz so einfach ist, unter mir Spieler zu sein, weil ich extrem fordernd bin“, sagte er: „Es gehört auch mal dazu, dass sie Burger bekommen oder gewisse Dinge, die nicht so gut sind. Ich glaube, das kann man sich dann an einem Tag auch leisten.“ Wenn er mit Freunden zusammen ist, sei der Fußball auch mal kein Thema, dann bleibe das Handy mal aus. Selbstkritisch sah er sein emotionales Verhalten am Spielfeldrand. „Ich verstehe, dass das unsympathisch rüberkommt. Das ist definitiv ein Faktor, den ich abstellen muss und daran arbeite ich auch“, sagte er: „Es geht darum, eine gewisse Vorbildfunktion zu haben und das versuche ich zu verbessern. Es ist aber in keinstem Fall respektlos gegenüber den Schiedsrichtern oder den Gegnern gemeint.“
Dennoch haben ihn in Zeiten, in denen Vereine langfristig Trainer scouten, längst die großen Clubs auf dem Radar. Angeblich soll er beim VfB Stuttgart und Bayer Leverkusen im Falle eines Abgangs der aktuellen Erfolgs-Trainer Sebastian Hoeneß und Xabi Alonso auf der Liste gestanden haben. Und beim FC Bayern wird man seinen Weg als Eigengewächs auf lange Sicht sicher aufmerksam verfolgen. „Das sind Gedanken, die nicht in meinem Kopf bestehen“, versicherte er.
Ob es an Konkurrenz-Angeboten lag, dass er mit der Vertragsverlängerung auf St. Pauli lange zögerte, ist nicht bekannt. Im März unterschrieb er jedenfalls. Die Dauer des Vertrages wurde nicht bekannt, angeblich läuft der neue Kontrakt bis 2026. „Ich hatte nie Zweifel daran. Gut Ding will Weile haben“, sagte der Coach: „Es ist wichtig, dass beide Seiten ihre Positionen austauschen können und auch dürfen. Das gehört zu Verhandlungen dazu.“ Er habe zuerst die Spieler informiert, und „die haben jetzt nicht gesagt: ‚So’n Mist, dass du jetzt weitermachst.‘ Es war eine positive Rückmeldung.“ Die gewünschte Ausstiegsklausel, die laut Medienberichten der Casus knacktus gewesen sein soll, ist angeblich kein Bestandteil. „Ich freue mich, dass ich jetzt unterschrieben habe und auch in Zukunft hoffentlich viel erfolgreiche Zeit beim FC St. Pauli habe“, sagte Hürzeler: „Es ist Privileg, bei St. Pauli arbeiten zu dürfen. Es ist ein Verein, der für bestimmte Werte steht, mit denen ich mich sehr identifizieren kann.“
Präsident Oke Göttlich erklärte: „Wir sind stolz auf die Entwicklung, die Fabian Hürzeler beim FC St. Pauli genommen hat, deren Basis Geschlossenheit und Vertrauen ist und die hier noch nicht abgeschlossen ist. Wir sind noch nicht fertig!“ Dass das Ausnahme-Talent irgendwann bei größeren Clubs landet, scheint aber sicher. Auch deshalb wird er sich wohl auf Sicht kein Tatoo mit einer Stadt oder einem Verein stechen lassen. „Als Trainer kann es vorkommen, dass Du sehr schnell deine Stadt ändern musst“, sagte er. Grundsätzlich hat er aber gleich mehrere Tätowierungen. „Es sind tatsächlich mehr Körperteile als die Arme“, sagte er lachend: „Da hat sich im Laufe der Jahre eine gewisse Sucht entwickelt.“ Das Stechen tue zwar weh, „und ich muss zugeben, dass ich schon sehr wehleidig bin. Aber die Sucht war größer. Ich weiß nicht, ob noch mehr dazukommen oder es so bleibt. Im Moment habe ich die Sucht im Griff. Aber ich weiß nicht, ob sie wieder ausbricht.“