Das deutsche Herren-Tennis hat zwei Top-Talente, denen viel zugetraut wird – und einer davon kommt aus Berlin. Diego Dedura hat große Ziele, ein Kämpferherz, aber auch eine kaum abzustellende Schwäche.
Diego Dedura weiß ganz genau, was er will – und wie er es erreichen kann. Der 17-Jährige will ein großer Tennisstar werden, dafür braucht es bekanntermaßen nicht nur gute Leistungen mit dem Schläger. Das Gesamtpaket müsse stimmen, und dazu zähle auch der Name – glaubt er zumindest. Deshalb kürzte der Berliner inzwischen seinen Doppelnamen „Dedura-Palomero“ auf „Dedura“. „Ohne den zweiten Namen klingt es irgendwie klarer, ist für alle einfacher zu merken, und ich habe mir sagen lassen, den Medien macht es das auch irgendwie leichter“, begründete der Teenager. Dass der Nachname seines chilenischen Vaters gestrichen wurde, sei für diesen „in Ordnung“, versicherte Dedura.
Doppelname abgelegt
Den bislang größten Erfolg seiner Karriere verbuchte er aber noch unter seinem alten Namen, als er beim Sandplatzturnier in München als Qualifikant gegen den früheren Wimbledon-Halbfinalisten Denis Shapovalov siegte und damit kleine Tennisgeschichte schrieb. Er ist der erste Spieler, der 2008 oder später geboren ist und auf der ATP-Tour ein Match gewinnen konnte. Dieser Meilenstein sorgte für reichlich Schlagzeilen – genau wie sein Jubel. Der Blondschopf formte mit seinem rechten Fuß ein großes Kreuz in die rote Asche und ließ sich mit ausgebreiteten Armen darauf fallen. „Ich bin ziemlich gläubig“, erklärte er hinterher und verriet, dass er vor dem Match fünf Minuten gebetet habe und nach dem Triumph einfach seine Dankbarkeit gegenüber Gott zum Ausdruck bringen wollte.
In jedem Fall machte der Linkshänder durch den Sieg und seine Art auf sich aufmerksam, auch durch sein Aussehen. Die blondierten Haare sind ein Hingucker – und das Resultat einer verlorenen Wette, verriet Dedura. Alles in allem sieht die renommierte Berateragentur IMG großes Potenzial in dem aufstrebenden Tennisprofi, den sie unter Vertrag nahm. „Diego ist kein Mainstream-Typ, er ist ein echter Charakterkopf“, sagte IMG-Vertreter Mats Merkel über den eigenen Klienten. Er muss es wissen, schließlich arbeitete Merkel bei der Firma auch mit Top-Stars wie Andy Murray und Dominic Thiem zusammen. Auf dem Platz sei er „ein Kämpfer bis zum Ende“, sagte Dedura über sich selbst. Und auch ein Entertainer: „Ich mag’s gerne, auszuflippen, die Leute mitzunehmen.“ Das Temperament dürfte er vom südamerikanischen Vater geerbt haben, seine Mutter ist aus Litauen. Die Eltern lernten sich in Berlin kennen. Hier wurde Sohn Diego geboren, hier ist er aufgewachsen, hier ist er beim SC Charlottenburg im Verein gemeldet. Die Eltern haben beide früher ebenfalls ambitioniert Tennis gespielt, Vater Cesar ist zudem Trainer von Diego und dessen zwei Jahre älterem Bruder Mariano. „Bei uns dreht sich alles um Tennis“, sagte Diego Dedura. Bei ihm mittlerweile noch mehr als früher.

Sportlich war der Sieg gegen den angeschlagenen Kanadier Shapovalov für die Karriere Gold wert. Dedura sprang in der Weltrangliste um fast 200 Plätze nach oben in die Top 400, eine Wildcard für die Teilnahme an der Qualifikation zum ATP-Masters in Madrid war eine Folge davon. Er setzt nun alles auf die Karte Profitennis: „Als ich Top 600 war, habe ich entschieden, den Fokus ganz auf Tennis zu legen und mein Leben dem Sport zu widmen.“ Das private Sportgymnasium in Mannheim hat er nach der zehnten Klasse verlassen, bei den Junioren will Dedura nicht mehr antreten. Seine Ziele bei den Profis sind maximal ambitioniert. „Ich will ganz nach oben“, sagte er ohne den Anflug eines Zweifels: „Ich weiß, was ich kann. Mein Ego ist auch sicherlich ziemlich groß.“
Aber was kann Diego Dedura? „Er hat großes Spielverständnis, ein beeindruckendes Repertoire“, sagte Ex-Profi Markus Zoecke, der heute als Eurosport-Experte Tennisspiele kommentiert: „Er hat zudem viel von dem, was man nicht lernen kann.“ Auch der frühere Doppel-Experte und heutige Jugendtrainer im Deutschen Tennis-Bund, Philipp Petzschner, ist begeistert vom Youngster: „Diego ist ein guter Junge, von der Grundlinie überragend.“ Noch wichtiger als das sei jedoch der Lernwille des Berliners. Das sei im Profitennis noch wichtiger als Talent. Was Dedura aber auch mit dem größten Trainingseifer nicht aktiv verändern kann, ist seine Körpergröße. Die liegt bei zuletzt gemessenen 1,78 Metern, im Vergleich zu den anderen Spielern auf der Profitour ist er damit klein. Die Größe ist jedoch beim Aufschlag, dem wohl wichtigsten Schlag im Tennis, von entscheidender Bedeutung. Kein Wunder, dass es hier bei Dedura noch Luft nach oben gibt. „Am Aufschlag muss ich noch arbeiten“, gab er zu.
Auch Engel werden Chancen eingeräumt
Weil ihm vielleicht ein paar Zentimeter zum Gardemaß fehlen, wird er sein Ziel aber nicht aus den Augen verlieren. Das Kämpferherz hat er sich bei seinem großen Vorbild abgeschaut: Rafael Nadal. Als Kind schaute er sich bei Youtube immer wieder Videoschnipsel des spanischen Sandplatzkönigs an, um dessen Beinarbeit, Taktik und Verhaltensweisen zu studieren. Auch trug er eines dieser typischen Nadal-Stirnbänder, wenn er selbst den Schläger schwang. Später trainierte er auch in Nadals Tennis-Academy auf Mallorca – und das einmal sogar mit dem 22-maligen Grand-Slam-Turniersieger höchstpersönlich. „Das war unfassbar. Da fühlte man diese unglaubliche Präsenz, schon als er auf den Platz kam“, berichtete der junge Deutsche. Hinterher tauschten sich beide auch aus, und Dedura bekam ein paar wichtige Tipps vom Meister: „Er sagte mir dann, was meine Stärken und Schwächen sind und woran ich noch mehr arbeiten könnte. Der weiß schon nach 15 Minuten, wie sein Gegner aussieht und sieht direkt alles. Eine super Erfahrung.“ Besonders beeindruckt war er aber von der Persönlichkeit des spanischen Superstars: „Rafa ist immer nett und respektvoll.“
Nadal ist vor einem Jahr zurückgetreten, genau wie davor Roger Federer. Die neuen Tennishelden heißen jetzt Jannik Sinner aus Italien und Carlos Alcaraz aus Spanien. Sie sind deutlich weiter als Dedura, allerdings auch schon ein paar Jahre älter. Wie weit weg der Youngster selbst von eher durchschnittlichen Profis auf der Tour ist, zeigten seine klare Zweitrundenniederlage in München gegen den Belgier Zizou Bergs (1:6, 1:6) und sein Erstrundenaus in Hamburg gegen den Italiener Luciano Darderi (1:6, 4:6). Ist Diego Dedura also überhaupt ein Name, den sich die Tennisfans merken sollten? Schließlich gab es in der jüngeren Vergangenheit einige hochgehandelte Top-Talente, denen zugetraut wurde, irgendwann in die Fußstapfen von Alexander Zverev oder gar Boris Becker zu treten. Doch durchgesetzt hat sich davon niemand.
Dedura ist nicht der einzige Nachwuchsspieler, auf dem die deutschen Hoffnungen ruhen. Auch dem ebenfalls 17-jährigen Justin Engel werden Chancen eingeräumt, irgendwann in die Top 100 und noch weiter nach vorne zu rücken. An Selbstvertrauen mangelt es ihm genau wie Dedura nicht: „Mein Ziel ist es, die Nummer eins der Welt zu sein.“ Die Hoffnungen im deutschen Tennis sind, dass Dedura und Engel hart um die Nachfolge von Olympiasieger Zverev kämpfen und sich gegenseitig zu Höchstleistungen antreiben. Das Verhältnis der beiden ist trotz aller Konkurrenz freundschaftlich. Doch als Tennisspieler ist man immer ein Einzelkämpfer – und das gefällt Diego Dedura besonders gut.