Er war kein Profi, hat studiert, wollte eigentlich nie Coach werden und liebt Literatur. Daniel Farke ist wahrlich nicht wie andere Trainer. Und genau das macht ihn so spannend.

Daniel Farke ist der Fußball im wahrsten Sinne des Wortes in die Wiege gelegt worden. Sein Großvater war Franz Farke, in den 50er-Jahren einer der besten Spieler von Borussia Dortmund. „Opa war Fußballer durch und durch“, erzählte Daniel Farke in einem Interview mit dem Magazin „11 Freunde“: „Meine Mutter erzählte immer gern die Geschichte, dass er zu meiner Geburt, der seines ersten Enkels, nicht mit einem Blumenstrauß kam, sondern mit einem Fußball.“ Er habe „auch kurz vor der Nationalmannschaft“ gestanden: „Ich kann mich noch an die Überschriften der Zeitungsausschnitte erinnern, die mein Großvater gesammelt hat: ‚Farke ein Mann für Herberger.‘“ Wegen eines beruflichen Wechsels wurde daraus nichts. So war das noch in den 50ern.
Das Talent des Großvaters als Spieler hat Daniel Farke augenscheinlich nicht ganz geerbt. Er sei „eine klassische Nummer Neun“ gewesen, sagte er, „bei aller Bescheidenheit technisch gut, und das Spiel hatte ich auch verstanden. Aber es gab ein Thema, das mich komplett limitiert hat: Ich war der langsamste Stürmer in Westeuropa. Dadurch war die dritte Liga meine Glasdecke.“ Farke spielte beim SV Lippstadt (gleich dreimal), beim Bonner SC und beim SV Meppen. Eine glamouröse Spieler-Karriere sieht anders aus.

Und dennoch ist der neue Trainer von Borussia Mönchengladbach ein Typ, der was zu erzählen hat. Und ein Typ, über den es etwas zu erzählen gibt. In dem mehrseitigen Titel-Interview mit „11 Freunde“ gab er schon sehr vieles preis, auch in anderen Gesprächen. Aber nie wichtigtuerisch oder aufschneiderisch, sondern bei aller Eigenheit seines Typs authentisch, bodenständig. So weiß man nach nur wenigen Monaten in der Bundesliga über Daniel Farke schon mehr Persönliches als über die meisten seiner Trainer-Kollegen.
Und die Medien werden kreativ, wenn sie ihn beschreiben sollen: „Daniel Farke, der studierte Betriebswirt, Marke verwegener Typ, längliches Haar, ein paar Narben, und vielseitig interessiert, hat ein sehr einnehmendes Wesen, und spricht leise, ja, fast bedächtig“, schrieb das Magazin „Rund“. Die Stimme fiel auch dem „Express“ auf, der schrieb: „Der gebürtige Ost-Westfale ist ein Kommunikator, ein Leader, ein kräftig wirkender Typ mit einer eher sanft klingenden Stimme.“
Über seine Familie und sein engstes Privatleben mag Farke gar nicht reden. Aber seine Geschichte gibt genug her. Und er redet auch über Macken und Eigenheiten. „Ich stehe auf Kaffee. Das ist mein größter Fehler, ich trinke den ganzen Tag Kaffee. Schwarz! Ich kann nachts um zwölf Uhr Kaffee trinken und um zwei Minuten nach zwölf einschlafen. Wenn du in diesem Geschäft erfolgreich sein willst, dann musst du Workaholic sein, dann musst du versessen sein, Tag und Nacht zu arbeiten. Deshalb auch der Kaffee“, sagte er. Bei aller Versessenheit brauche er aber auch Auszeiten. „Ansonsten kannst du nicht auf Topniveau arbeiten. Diese Freiräume sind extrem wichtig, und das versuche ich auch. Ich kann nicht nur über Fußball reden. Ich bin Diplom-Betriebswirt, ich habe studiert. Ich habe mich immer für Literatur, Filme, Geschichte und Politik interessiert. Ich lese gern.“
Farke ist ein Kommunikator
Dazu wurde er dann häufiger befragt. Doch zu ausführlich will er da auch nicht werden. „Ich will halt nicht pseudo-intellektuell daherkommen, auch wenn mich andere Dinge als Fußball interessieren.“ Und dann erzählte er: „Ich bin mal gefragt worden, was ich gern geworden wäre, wenn ich kein Fußballtrainer geworden wäre, und habe ‚Schriftsteller‘ geantwortet. Das gibt einem die Möglichkeit, sich mit den ganz großen Fragen auseinanderzusetzen: Wer sind wir? Warum sind wir hier? Wie wollen und können wir leben? Aber ich will auch ehrlich sein: Im Moment fröne ich meinen Leidenschaften Literatur und Film viel weniger als früher.“

Trainer zu werden sei auch „weder Wunsch noch Ziel“ für ihn gewesen, sagte Farke. Das sei letztlich vielleicht sein Vorteil gewesen. „Ich war nie getrieben karrieresüchtig, das hat mir eine Position der Unabhängigkeit und Stärke verliehen.“ In Lippstadt wollte er eigentlich Sportdirektor werden. Weil er aber auch den Trainerschein mitgemacht hatte, um über die Trainer fachlich entscheiden zu können, wurden ihm 2009, direkt nach dem Karriereende mit 32, gleich beide Jobs angeboten. Trainer wolle er nur interimsmäßig sein, sagte er beim Start noch. Doch dann stellte er fest, „dass es viel mehr Spaß macht, mit den Jungs auf dem Platz zu arbeiten, als mit dem Aufsichtsrat über Budgets zu diskutieren oder mich um die Beiträge zur Berufsgenossenschaft zu kümmern.“ Und weil er mit dem abstiegsbedrohten Club neun von zehn Spielen bis zum Saisonende gewann, kam Farke nicht mehr aus der Nummer raus.
Er stieg zweimal auf, blieb aber immer auch Sportdirektor und kümmerte sich auch um den Stadionbau. Weil er mit Lippstadt irgendwann in der 4. Liga spielte, wurde Borussia Dortmund auf ihn aufmerksam. Deren Zweite Mannschaft spielte ebenfalls in der Regionalliga, und die übernahm Farke dann. Obwohl er eigentlich ein Sabbatjahr machen wollte und erst drei Monate rum waren. Aber diese Chance, sagte er in einem „Spox“-Interview, habe er nicht verstreichen lassen wollen. Auch in Dortmund war er schnell erfolgreich. Erst rettete er das abstiegsbedrohte Team, im Jahr darauf wurden sie Vize-Meister. Trainer der Profis war damals Thomas Tuchel, dem er sich sehr verbunden fühlte. „Thomas und ich sind inhaltlich sehr deckungsgleich, wir haben eine sehr ähnliche Vorstellung vom Fußball und liegen in ganz vielen Bereichen auf einer Wellenlänge“, sagte er: „Wir haben auf Anhieb eine gute Chemie miteinander gefunden.“
2017 bekam er die Chance, nach England zu wechseln, zum Zweitligisten Norwich City. Er habe zu diesem Zeitpunkt schon Angebote aus der Bundesliga und der 2. Liga gehabt, sagte er später. England sei ein Risiko, doch genau deshalb habe er es gemacht. „Es war die größte Herausforderung.“ Norwich führte er in der zweiten Saison fast sensationell in die Premier League. Er stieg ab, doch weil das Team nicht mehr hergab, durfte er bleiben und stieg direkt wieder auf. Die Fans liebten ihn. In einem Auswärtsspiel beim FC Arsenal trugen Tausende Fans Farke-Masken. Nach elf Spielen der neuen Saison wurde er im Herbst 2021 beurlaubt. Im Januar übernahm er den FK Krasnodar in Russland. Doch wegen des russischen Angriffskrieges löste er seinen Vertrag im März wieder auf, ohne ein einziges Pflichtspiel absolviert zu haben. Farke ist eben konsequent.
Farkes Vorbild ist Ottmar Hitzfeld

Sein Vorbild als Trainer ist Ottmar Hitzfeld, vor allem wegen dessen Teamführung. Er frage sich oft, was dieser in der aktuellen Situation tun würde, erzählte Farke einmal. Gleichzeitig aber bewundere er den Komponisten Herbert Karajan, „der seine Musiker fest im Griff hatte und alles zu einem perfekten Gesamtbild gefügt hat“. Zu seinen Spielern habe er zwar „ein gutes und enges Verhältnis“, aber mit einer gewissen Distanz: „Sie sind nicht meine Bros oder meine Buddies.“ Im Umgang mit ihnen halte er „nichts von psychologischen Spielchen. Ich lobe das, was zu loben ist, und kritisiere, was zu kritisieren ist.“ Das nennt man authentisch.
Und nun also Gladbach. Auch dort passe er genau hin, versichern alle. „Nach den ersten Gesprächen mit Daniel war ich angefixt, ich hatte Gänsehaut und habe gesagt: Meine Güte, der passt genau zur Philosophie dieses Clubs“, sagte Sportdirektor Roland Virkus sogar. Dabei hatte der eigentlich zunächst unbedingt Lucien Favre zu einer Rückkehr bewegen wollen. Ob er nun also die 1B-Lösung sei, wurde Farke bei seiner Vorstellung gefragt. „Das sind Kategorien, die mich gar nicht interessieren. 1A, 1B, 1C?“, sagte er. Und fügte grinsend an: „Vielleicht werde ich ja 1D – D wie Dauerlösung.“
Selbstvertrauen hat Farke also genug. Aber er verfügt auch über Selbstironie. Wie er bei einer Geschichte über Jürgen Klopp bewies. Der habe mal gesagt: „Wenn er zwei Trainer auf eine einsame Insel mitnehmen dürfte, wären das Pep Guardiola und meine Wenigkeit.“ Man müsse aber „immer vorsichtig sein bei Komplimenten von Jürgen“, sagte Farke lachend: „Wahrscheinlich bräuchte er mich zum Rudern.“