Bennet Schwerd kam wenige Jahre nach der Jahrtausendwende als drittes Kind einer Kölner Familie auf die Welt. In diesen Tagen wird der Jugendliche mit Down-Syndrom volljährig.

Bennet Schwerd ist schnell zu begeistern. Er tanzt für sein Leben gern, und spricht man den Siebzehnjährigen auf seinen Musikgeschmack an, sprudelt es nur so aus ihm heraus. „Ich mag gerne Cover-Musik, Bandmusik, Hip-Hop, Coldplay, BTS…“, erzählt der Kölner. Er spricht wie ein Wasserfall und auch ein bisschen undeutlich, so dass die Reporterin Beatles statt des englisch ausgesprochenen BTS versteht. Beatles? Echt jetzt? „BTS, das ist eine K-Pop-Band“, erklärt Bennets Mutter Tina Schwerd, die bei dem Gespräch mit dabei ist. Der Jugendliche nickt aufgeregt: „Ja, Beatles mag ich auch. Beatles ist eine wunderschöne Band.“ Und damit ist der junge Kölner mit der Aufzählung seiner musikalischen Favoriten noch lange nicht am Ende angekommen. „Elvis Presley mag ich auch“, sagt er. „Und Michael Jackson. Ich mag gerne auch Rihanna, Lady Gaga, Beyoncé. Alles.“ Auch seine Berufung als künftiger Rapper, Sänger oder Schauspieler steht für ihn außer Frage, und sein Optimismus ist unerschütterlich. Er sei ein besonderes Kind, sagt seine Mutter.
Verdacht bereits in der Schwangerschaft
Dass sie ein besonderes Kind haben würden, das ahnten Tina und ihr Mann Mark Schwerd zu Beginn der Schwangerschaft noch nicht. Das änderte sich nach einer Routineuntersuchung in der 28. Schwangerschaftswoche. Der behandelnden Frauenärztin fiel auf, dass sich in der Gebärmutter sehr viel Fruchtwasser gesammelt hatte. Die werdende Mutter wurde zur weiteren Abklärung an eine Kollegin überwiesen, die ein besonders hochauflösendes Ultraschallgerät besaß. Dabei kam heraus, dass der Fötus eine so genannte Stenose hatte — eine Fehlbildung des Darms, die häufiger bei Kindern mit Down-Syndrom vorkommt. Der Verdacht, dass auch Bennet davon betroffen sein könnte, stand im Raum. Eine Abtreibung stand für die werdende Mutter aber nicht zur Debatte. Bennet kam sieben Wochen zu früh zur Welt, und aus dem Verdacht auf Trisomie 21 wurde Gewissheit. Das Frühchen kam in die Kölner Kinderklinik. Es musste vier Wochen auf der Intensivstation bleiben und am Darm operiert werden.
Der kleine Junge hat das Leben der bislang vierköpfigen Familie mit zwei Töchtern zunächst heftig auf den Kopf gestellt. Doch die Familie lernte dazu, nahm Hilfsangebote in Anspruch und baute sich ein Netzwerk mit anderen betroffenen Eltern auf. Seitdem helfen sich die Familien untereinander. Dazu zählen mitunter auch mal gemeinsame Urlaube und Fahrdienste. Auch die beiden älteren Töchter haben viel mitgeholfen, ihren kleinen Bruder abends betreut, so dass die Eltern hin und wieder ausgehen konnten. „Mit einem behinderten Bruder aufzuwachsen, hat beide auf besondere Weise sensibilisiert“, erinnert sich die 55-Jährige.
Der Alltag mit einem behinderten Kind verlangt Bennets Eltern viel ab, zumal beide voll berufstätig sind. Tina Schwerd pendelt nach Wuppertal, wo sie einen Kurierdienst leitet. Zudem betreibt sie gemeinsam mit ihrem Mann einen Schallplattenladen in der Kölner Innenstadt. Bennet besucht die nahe gelegene Förderschule. Seine Entwicklung ist in vielen Dingen verzögert. Er hat länger als andere Kinder Windeln tragen müssen. Auch spricht er undeutlich und macht öfter Grammatikfehler.
In anderen Dingen ist Bennet relativ selbstständig. Er hilft mit im Haushalt und kann einfache Gerichte zubereiten, er kann Rühreier braten oder Nudeln kochen. „Ich hab’ letztes Mal Pommes gemacht, aber das ist nicht so einfach“, erzählt der Jugendliche. Er kann sich auch allein die Zähne putzen und duschen. Doch mit der Feinmotorik hapert es.
Mit seinen 17 Jahren ist Bennet immer noch ein Teenager. Seine bisherige Pubertät war „relativ harmlos“, konstatiert seine Mutter. „Es gab natürlich auch so aufmüpfige Phasen in der Pubertät. Aber das war nicht besonders ausgeprägt.“ In der Zwischenzeit hätten sie als Eltern „natürlich Dinge wie Körperkontakt und Sexualität“ besprechen müssen, sagt Tina Schwerd. Früher habe er alle möglichen Menschen umarmt und geherzt. „Das geht auch nicht mehr.“ Momentan interessiert Bennet sich sehr für Mädchen. Er hatte schon zwei Freundinnen und auch schon einmal Liebeskummer.
Fragt man Bennet nach seiner Pubertät, fällt ihm als Erstes seine Akne ein. Ihn stören vor allen die Pickel und Pusteln auf seinem Rücken. „Das finde ich super fies, und ich mag es nicht“, sagt er. Er will attraktiv sein für seine Traumjobs im Rampenlicht. In seiner Freizeit spielt der Jugendliche manchmal auch in inklusiven Theaterprojekten mit und hatte schon einmal einen Auftritt im Kölner Kinder- und Jugendtheater „Comedia“.
Sein Erwachsenwerden ist auch für die Eltern nicht immer leicht. „Die größte Herausforderung ist für uns auch, Bennet die Selbstbestimmung zu lassen, die er altersgemäß auch braucht, so dass es nicht zu stark in die Bevormundung geht“, sagt Tina Schwerd. Auf der anderen Seite brauche ihr Sohn natürlich trotzdem mehr Unterstützung und mehr Anleitung.
Jetzt steht Bennett kurz vor seinem achtzehnten Geburtstag, dem er aufgeregt entgegenfiebert. Wortreich erzählt er von der Party, die er für seinen großen Tag plant. Während andere Jugendliche in dem Alter langsam flügge werden und ausziehen, wird Bennet noch eine Weile zu Hause wohnen bleiben.
Weitere Wohnplätze geplant

Doch die umtriebigen und gut vernetzten Eltern haben sich schon länger Gedanken um die Zukunft ihres Jüngsten gemacht. Gemeinsam mit anderen betroffenen Familien haben die Schwerds 2022 einen Verein für ein inklusives Wohnprojekt namens „Die Mitbewohner e.V.“ ins Leben gerufen. Ziel ihrer Initiative ist es, ihren bereits oder bald erwachsenen Kindern mit unterschiedlichen Einschränkungen ein „möglichst selbstbestimmtes“ Leben zu ermöglichen. „Dort kann Bennet mit seinen Freunden, die er schon sehr lange hat, zusammenwohnen“, sagt Mitbegründerin Tina Schwerd. Es soll zudem weitere Wohnplätze in dem Gebäudekomplex geben, in dem auch Menschen ohne Behinderung wohnen. „Vielleicht Studenten oder Auszubildende, die dann auch unterstützen können. Natürlich wird es auch einen Pflegedienst geben, ganz klar“, erläutert Bennets Mutter.
Weil das Flüggewerden für die jungen Erwachsenen mit Behinderungen nicht ohne Zwischenschritte geht, werden die Heranwachsenden behutsam auf den neuen Lebensabschnitt vorbereitet. Und so gehen Bennet und seine künftigen WG-Mitbewohner gemeinsam in eine Art Wohnschule. „Dort erarbeiten sie unter Anleitung, was ihnen wichtig ist“, erklärt Bennets Mutter. „Weil es auch darum geht, dass wir nicht nur unsere Vorstellung von Zusammenwohnen durchsetzen, sondern dass die jungen Leute mitsprechen können.“
Seit fast zwei Jahrzehnten wissen Tina und ihr Mann Mark Schwerd nun, was es bedeutet, ein Kind mit Trisomie 21 durch das Leben zu begleiten. Hat sich in all diesen Jahren etwas verändert in der Gesellschaft im Umgang mit Behinderungen? Bennets Mutter verneint das. „Gefühlt ist es gleichgeblieben“, resümiert sie. Auf der einen Seite gebe es keine großen Ressentiments, zumindest nicht in Köln, sagt sie. Auf der anderen Seite gebe es eine Gemeinschaft unter den Behinderten, die parallel dazu laufe. „Es ist kein wirkliches Miteinander. Wir sind immer noch eine gespaltene Gesellschaft.“