Ein suffizienter Lebensstil bedeutet nicht per se Verzicht, sagt die Umweltpsychologin Dr. Sonja Geiger von der Murdoch University in Perth. Sie spricht über eine „nachhaltige Gesellschaft“, CO2-Emissionsungleichheit und Klimaangst.
Frau Dr. Geiger, was ist Suffizienz?
Der Begriff geht meiner Meinung nach unverdienterweise oft einher mit einer Debatte um Verzicht. Der Begriff meint oft, dass wir den Ressourcenbedarf, unseren Konsum, das Material, das wir verbrauchen, zurückfahren. Aber die ursprüngliche Wortbedeutung ist, dass wir genügend zum Leben haben. In den philosophischen Debatten um diese Thematik wird sehr deutlich, dass es darum geht, ein gutes Leben ohne Überfluss zu führen. Der deutsche Volkswirt Niko Paech hat das einmal treffend „Befreiung vom Überfluss“ genannt. Dabei geht es nicht darum, auf ein asketisches, freudloses Leben umzustellen, sondern nur das zu verbrauchen, was notwendig ist für ein gutes Leben.
Das heißt, Suffizienz ist nicht das Gegenteil von Effizienz?
Nein, das würde ich nicht sagen. Effizienz, Konsistenz und Suffizienz sind drei alternative Wege, die zur Nachhaltigkeit führen. Effizienz meint, möglichst viel zu erreichen – mit möglichst wenig Input. Ein klassisches Beispiel dafür ist die LED-Lampe, die mit geringerem Wattverbrauch die gleiche Helligkeit erreicht. Suffizienz würde bedeuten, zum Beispiel weniger oft das Licht einzuschalten. Das sind zwei Beispiele, wie man mit dem Thema Licht umgehen kann.
Was bedeutet Konsistenz als dritte mögliche Nachhaltigkeitsstrategie?
Der Begriff ist an die Produktion von Gütern gekoppelt. Die Grundidee ist, dass eine konsistente Industrieproduktion umweltverträglich ist. Wenn ich noch einmal auf das Licht-Beispiel zurückkomme, würde das bedeuten, auf erneuerbare Stromversorgung umzustellen. Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Effizienz- und Konsistenzstrategien sind eher an Forschung, Wissenschaft und Produktion gerichtet. Wenn wir von einer suffizienten Strategie sprechen, ist eher die Änderung des Lebensstils gemeint. Genauer gesagt würde ich sie als Komplementärstrategie bezeichnen in Bezug darauf, wie Lebensweisen nachhaltiger werden. Dafür halte ich sie für unerlässlich.
Was untersucht die Umweltpsychologie?
Ein Forschungsgebiet sind Einflussfaktoren auf das persönliche Verhalten. Dazu gehören individuelle Einstellungen, Werte und soziale Normen. Zum Beispiel ist es sehr hilfreich, wenn wir Nachhaltigkeit als Gemeinschaftsprojekt verstehen. Der Effekt von kollektiver Wirksamkeit, also festzustellen, dass man gemeinsam etwas verändern kann, ist stark motivierend. Natürlich befinden sich noch nicht alle auf dem gleichen Weg der Nachhaltigkeit. Die Grundidee wäre jedoch eher, zu zeigen, dass wir ein Gemeinschaftsprojekt verfolgen wollen, das vor allem dann gelingt, wenn möglichst viele mitmachen.
Können Sie uns ein Beispiel dafür geben?
Gut ist zu unterscheiden zwischen nach außen sichtbaren und nicht-sichtbaren Verhaltensweisen. Es gibt Nachhaltigkeitsverhaltensweisen, die öffentlich sichtbar sind, zum Beispiel welches Auto sie fahren oder ob sie eine Photovoltaikanlage auf ihrem Dach installiert haben. Dann gibt es wiederum welche, die weniger sichtbar sind, zum Beispiel, was sie an einem Freitagabend zu Hause essen. Es ist total wichtig, um eine soziale Norm zu etablieren, dass man einen nachhaltigen Lebensstil nach außen zeigt. Weniger, um dadurch Anerkennung zu bekommen, sondern um zu zeigen: „Ich bin Teil eines größeren Projektes und damit schaffen wir eine neue Norm.“ Zum Beispiel fand ich ganz beeindruckend, als Deutschland von der ersten Photovoltaik-Welle erfasst wurde. Auf jedem Schuppen, jeder Scheune in Süddeutschland hat man gesehen, dass es dazugehört, eine Photovoltaikanlage aufs Dach zu setzen. Das ist eine soziale Norm, die gezeigt wird, weil viele Menschen in Deutschland so handeln. Das hat eine Eigendynamik entwickelt und ist dadurch zu einem Vorbildverhalten geworden.
Wie schätzen Sie das Veränderungspotenzial eines suffizienten Lebensstils ein?
Ich halte das Veränderungspotenzial für enorm und als unerlässlich für eine Transformation zu einer nachhaltigen Gesellschaft. Ich denke, dass manchmal der kumulative Effekt von menschlichem Verhalten unterschätzt wird. Wir werden nicht allein mit technischen Möglichkeiten und immer effizienteren Geräten eine Nachhaltigkeitstransformation innerhalb der planetaren Grenzen schaffen. Deshalb ist es sehr wichtig, diese Lebensstil- und Verhaltensänderung mitzudiskutieren, die man unter Suffizienz fassen kann. Wir denken manchmal irrtümlicherweise, dass Nachhaltigkeit etwas Teures ist, das sich nur wohlhabende Menschen leisten können. Das gilt sicherlich für einige Bereiche, zum Beispiel für die Ernährung. Natürlich kosten Bio-Produkte mehr als konventionelle Produkte. Aber generell gilt: Jeder ausgegebene Euro für Produkte und Dienstleistungen einer Person geht mit einem CO2-Fußabdruck einher. Unterm Strich heißt das: Wer mehr Geld ausgibt, verursacht mehr CO2. Grundsätzlich haben ärmere Menschen über Ländergrenzen hinweg und innerhalb von Ländern einen viel kleineren CO2-Ausstoß als reichere. Grundsätzlich ist sparsames Leben per se nachhaltiger.
Wenn ich merke, dass es Menschen gibt, die nicht teilen, wie ich lebe, kann das eine Form der Spaltung hervorrufen?
Was Sie ansprechen, ist ein grundsätzliches Problem, dass es eine Spaltung gibt zwischen Menschen, denen Nachhaltigkeit am Herzen liegt, und denen, die das nicht teilen. Meine bisherige Einschätzung war, dass in Deutschland der Riss nicht so tief war wie in den USA. Dort sieht man die politische Spaltung ganz extrem daran, wie scheinbar unüberbrückbar die Gräben sind, die zwischen den zwei Parteien, den Republikanern und Demokraten verlaufen. Doch so langsam scheint das politische Klima auch in Deutschland in diese Richtung zu tendieren, dass zum Beispiel die AfD immer mehr infrage stellt, ob eine nachhaltige Lebensweise überhaupt notwendig ist. Mein Eindruck ist, dass die Debatten politisch aufgeladener sind als früher. Trotzdem gilt in Deutschland: Es besteht ein Konsens, dass Klimawandel real ist und auch uns treffen wird, wie zum Beispiel die Umweltbewusstseinsstudie des Umweltbundesamts regelmäßig immer wieder aufzeigt.
Wie kann ich mich von jahrzehntelangen Konsumgewohnheiten und Mobilitätsverhalten lösen?
Gewohnheiten sind ein ganz wichtiger Treiber für Verhaltensweisen und stellen eine Hürde dafür dar, etwas in unserem Leben zu ändern. Das Aufwachsen im Elternhaus stellt gewissermaßen die Weichen für unsere Gewohnheiten. Das gilt nicht nur für Mobilitäts- und Konsumverhalten, auch das Essverhalten ist stark gewohnheitsgetrieben. Die Generation vor uns ist aufgewachsen mit dem Wachstumsversprechen und individueller Mobilität als vermeintlichem Erfolgsgaranten. Das ist sicherlich prägend für die nachkommende Generation. Aber das wird schon weniger. Die wichtigen Werte von der nächsten Jugendgeneration ändern sich. Ein Ergebnis der aktuellen Shell-Jugendstudie ist, dass materielle Werte immer weniger wichtig werden. Das ist allerdings nur ein langsamer Wandel über die Generationen. Einschneidende Lebensereignisse wie etwa der Auszug aus dem Elternhaus, Geburt von Kindern und Umzüge sind wichtig, wenn man sich ernsthaft mit seinen Gewohnheiten auseinandersetzen und sie schneller brechen möchte. Es ist eine Möglichkeit, ganz bewusst mit Gewohnheiten zu brechen, zum Beispiel wenn man sich nach der Geburt eines Kindes entscheidet, seine Ernährung umzustellen.
Was für eine andere Möglichkeit gibt es, um mit Gewohnheiten zu brechen?
Wir selbst haben uns in einem Forschungsprojekt zu Essgewohnheiten mit einer sanfteren Methode auseinandergesetzt, dem sogenannten Achtsamkeitstraining. Dabei lernt man, innezuhalten, sich und seine Gewohnheiten genau zu beobachten und sie im Idealfall zu überdenken. Wir haben in unserem Projekt dieses Training auch auf nachhaltige Verhaltensweisen angewendet. Zum Beispiel haben wir gefragt, ob man Dinge kauft, die man nicht braucht. Für nachhaltiges Konsumverhalten war diese Methode weniger erfolgreich als für Gesundheitsverhaltensweisen, wie zum Beispiel Sport und Alkoholkonsum. Achtsamkeitstraining hat dennoch ein großes Potenzial, um Gewohnheiten zu durchbrechen.
Wie hinderlich oder förderlich ist Klimaangst, wenn wir suffizient leben wollen?
Das ist nicht eindeutig zu beantworten. Es ist ein hochspannendes Forschungsfeld, das sich gerade entwickelt. In den vergangenen zwei, drei Jahren sind dazu sehr viele neue Arbeiten publiziert worden. Grundsätzlich ist Klimaangst eine normale Reaktion auf einen bedrohlichen Zustand. Das heißt, es ergibt durchaus Sinn, dass man auf einen Bedrohungszustand mit Angst reagiert. Klimaangst ist noch nicht überall gleich weit verbreitet. In Deutschland sind wir noch relativ geschützt vor den Folgen des Klimawandels, anders etwa im Vergleich zu jungen Menschen auf den Philippinen und in Indien. Dort befindet sich die Klimaangst bei Jugendlichen auf einem extrem hohen Niveau. Wir sehen in der Forschung, dass Klimaangst wiederkehrende Gedankengänge, Grübelei und Konzentrationsschwierigkeiten auslösen kann. Das wären negative Folgen, die uns eher davon abhalten, aktiv zu werden und wachzurütteln.
Und hat Klimaangst auch etwas Positives?
Andere Forschungsarbeiten zeigen, dass ein gewisses Maß an Klimaangst positiv sein kann, um im Sinne des Klimaschutzes zu handeln und selbst seinen Lebensstil anzupassen. Ein entscheidender Punkt dabei – dem wir gerade in einem aktuellen Forschungsprojekt zusammen mit Marlis Wullenkord von der Universität Lund nachgehen – ist, wie man mit den Emotionen umgeht. Das nennt sich in der Psychologie Emotionsregulation. Es gibt unterschiedliche Strategien: Man kann Emotionen ignorieren, sie versuchen zu unterdrücken oder sich mit ihnen auseinandersetzen. Je nachdem, welche Emotionsregulation man wählt, ist der eine oder andere Ausgang wahrscheinlicher. Klimaangst kann förderlich sein, sich nachhaltiger zu verhalten, wenn man mit Emotionen konstruktiv umgeht. Wenn einem das nicht mehr gelingt, weil man seine Emotionen nicht gut regulieren kann, dann kann das dazu führen, dass man gelähmt ist und darüber grübelt. Das kann zu einem negativen Kreislauf führen.