Auf der dänischen Insel Fanø bekommen Urlauber den Kopf richtig frei. Dafür sorgen der Nationalpark Wattenmeer, bezaubernde Ortschaften sowie das weltgrößte Drachenfestival, das im Juni an einem Strand stattfindet.

An der Nordseeküste gehört ergiebiger Westwind rund ums Jahr zum Standardstrandprogramm, so wie Ebbe und Flut. Kein Wunder also, dass an den breiten Sandstränden Dänemarks regelmäßig jede Menge Einleinen- und Lenkdrachen in die Luft steigen. Massenhaft „Leinen los!“ heißt es schließlich beim jährlichen „International Kite Fliers Meeting Fanø“, das vom 19. bis zum 22. Juni stattfindet. Dann flattern auf der etwa 50 Kilometer nördlich von Sylt gelegenen Insel mehr als 5.000 selbst gebaute (oder gekaufte) Drachen in allen Farben, Formen und Größen über den 15 Kilometer langen Rindby-Strand. „Das Besondere an diesem Festival ist, dass es weder Sponsoren noch geladene Gäste gibt und alle gleich sind. Jeder darf kommen, mitmachen und mitorganisieren – ohne Voranmeldung und Kosten. Das Festival ist zu 99 Prozent selbst organisiert“, erklärt Wolfgang Schimmelpfennig, der laut dieser Rechnung für den verbleibenden Rest-Prozentpunkt zuständig ist. „Ich schaffe nur die Rahmenbedingungen.“
„Jeder darf kommen und mitmachen“
Das nennt man wohl nordisch-nobles Understatement. Schließlich brachte der Hamburger den Stein 1985 überhaupt erst ins Rollen, oder besser gesagt: die Sache zum Fliegen. Der passionierte Drachenbauer, der bereits mehrere Bücher zum Thema verfasste, war nämlich bei seinem ersten Aufenthalt auf Fanø derart begeistert, dass er fortan jedes Jahr wiederkam – mit immer mehr Gleichgesinnten im Schlepptau. Mittlerweile sind es rund 40.000 bis 50.000 aktive wie passive Besucher (und das bei gerade einmal 3.500 Inselbewohnern), weshalb Schimmelpfennig und Co. selbstbewusst vom größten Lenkdrachenfest der Welt sprechen. Diesen Rekord beanspruchen zwar auch andere, etwa das Internationale Drachenfest auf der Nachbarinsel Rømø (im September), doch um Konkurrenz und Wettbewerb geht es ohnehin nicht, sondern um den gemeinsamen Spaß. Das merkt man den Teilnehmern an, wenn sie mitunter übermannsgroße Schweine, Einhörner, Pokémons und andere fabelhafte Wesen bis zu 250 Meter hochsteigen lassen. Manche lassen sich auch von Fluggeräten über den Strand ziehen. Ein sogenannter Megatrain von 107 verbundenen Buggys, angetrieben von Dutzenden Drachen, schaffte es gar ins Guinness-Buch.
Impulse zu weiteren technischen und kreativen Meisterwerken vermitteln während der Festivaltage Lesungen, Ausstellungen, Workshops. Insgesamt stehen rund 20 Veranstaltungen, darunter eine Drachenversteigerung zugunsten der Kinderhilfe, auf dem Programm. Ungezählt sind die familiären Sit-Ins, Sing- und Grillabende. „Es ist nicht nur der irre lange Strand, der Fanø zum perfekten Drachenfestivalplatz macht“, resümiert der mittlerweile 73-jährige Schimmelpfennig, der auch beim diesjährigen 41. Mal wieder mitwirbelt. „Es ist das Inselleben und das ganze Drumherum, das die Herzen von Drachenfliegern hochfliegen lässt.“ Konkret: die Lage im von der Unesco zum Welterbe (mit-)geadelten Nationalpark Vadehavet sprich: Wattenmeer. Die mit gerade mal 16 Kilometern Länge und fünf Kilometern Breite überschaubare Inselgröße. Die gute Verfügbarkeit von Ferienhäusern, Hotels und Campinglätzen. Die entspannte Grundstimmung, die eine genussvolle Auszeit verspricht. Alles ist irgendwie gemütlich, oder wie die Dänen sagen: hygge.
Baden, Bummeln, Bernsteine sammeln

Das Inselsetting samt Dünen, Salzwiesen, Schlick und Heideland kam schon vor ein, zwei Jahrhunderten gut an, unter anderem bei Adligen und Künstlern. Exponate der „Fanø-Malerei“ lassen sich im Kunstmuseum der wunderschönen, kleinen Ortschaft Sønderho – das mit seinen authentischen Häusern fast selbst wie ein Museum daherkommt – begutachten. Sie sind im „Kromanns Hus“ untergebracht, einem restaurierten Kaufmannsladen aus dem Jahre 1868. Einen umfassenderen Einblick in die bewegte Geschichte der Insel, die zeitweilig gar zu den Großmächten der Segelschifffahrt zählte, gewährt das Fanø-Museum im deutlich größeren – nicht großen! – Hauptort Nordby. Die vielseitige Sammlung von Möbeln, Werkzeugen und Geräten vermittelt einen Eindruck, wie es hier vor 150 bis 200 Jahren zuging. Heute leben die Insulaner hauptsächlich vom (sanften) Tourismus. Die Lieblingsbeschäftigungen der großteils deutschen Gäste: Baden, Bummeln, Bernsteine sammeln, wenngleich Letzteres eher etwas für den Herbst ist, so wie das Beobachten millionenfacher Zugvögel. Schimmelpfennigs Ganzjahrestipp: „Ein Ausflug zum Pjerleberg mit seinen urwüchsigen Kiefern und seiner Sumpflandschaft ist einmalig!“ Und leicht zu schaffen: Die höchste Inselerhebung misst gerade einmal 21 Meter – ein Hygge-Hügel. Wem es auf Fanø auf Dauer zu ruhig wird, setzt von Nordby zum nahen Festland über. Mit der Fähre sind es keine 15 Minuten nach Esbjerg, der mit rund 70.000 Einwohnern größten Stadt an der dänischen Nordseeküste. Groß sind auch der Anteil von Studierenden sowie das Kulturprogramm, insbesondere im Frühsommer. Auch wer sich mit der dänischen Sprache schwertut: Allein manche Kulissen lohnen den Veranstaltungsbesuch. Das gilt insbesondere für den zentralen Torvet-Platz sowie das futuristische „Musikhuset Esbjerg“, dessen Architekt Jørn Utzon auch am Bau der Oper von Sydney beteiligt war. Den Status „Stadtwahrzeichen“ nehmen jedoch die neun Meter hohen Skulpturen „Der Mensch am Meer“ ein – vier sitzende Männer aus weißem Beton, die sphinxartig aufs Meer blicken und dabei von einer mystischen Aura umgeben sind. Eine gewisse Mystik haftet auch Ribe an, wurde Dänemarks älteste Stadt doch von den Wikingern gegründet. Ein alter Stadtkern mit verwinkelten Gassen, schmucken Fachwerkhäusern und dem Wikingermuseum lohnen den Abstecher. Was sich ebenfalls lohnt: der Aufstieg auf die älteste Domkirche des Landes. Allein wegen des Blicks hinüber nach Fanø.