Endlich dürfen wir dann ungebremst „von früher“ schwadronieren
Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, fordert, die ältere Generation müsse sich „stärker einbringen, beispielsweise im Sozialbereich, aber auch bei der Verteidigung“. Vor allem in den Fähigkeiten ehemaliger Soldaten sieht er großes Potenzial, besonders technische Kompetenzen seien dabei gefragt.
Dazu sage ich: Jawoll! Gefreiter Meyer meldet sich zum Dienst! Immerhin habe ich Anfang der 1980er 15 Monate Wehrdienst geleistet und gehe mal – wie wohl auch DIW-Präsident Fratzscher – davon aus, dass sich die Bundeswehr seitdem technisch nicht wesentlich weiterentwickelt hat. Mit etwas Glück würde ich bei einem weiteren Wehrdienstjahr wieder an denselben Funkgeräten herumhantieren und dieselben Wartungsarbeiten machen wie schon 1982. Außerdem kann ich mir vorstellen, wie dankbar die jungen Kameradinnen und Kameraden wären, wenn haufenweise Boomer auf dem Kasernengelände herumliefen, um gutgemeinte Tipps zu verteilen, wie: „Also wir haben damals die Löcher in so einem Blechteil einfach mit Nato-Band überklebt und kräftig olivgrüne Farbe drübergepinselt.“ Solch technisches Spezialwissen, da stimme ich dem DIW zu, altert nicht, und mit etwas Glück entdecke ich bei meinem zweiten Wehrdienst dieselben Apparate wieder, an denen ich schon als 19-Jähriger herumgewartet habe.
Noch höher einzuschätzen als das technische Wissen der Boomer ist die moralische Unterstützung der jungen, unerfahrenen Soldatinnen und Soldaten, denen ich dann „von früher“ berichten könnte. In meiner Einheit damals (sehen Sie, es geht schon los!) waren wir zu gut zwei Dritteln Abiturienten und haben unsere Ausbilder, meist Zeitsoldaten im Unteroffiziersrang, in ständige Diskussionen zur Sinnhaftigkeit oder besser -losigkeit der Aufrüstung, der fragwürdigen Feindbildvermittlung und anderen Kernfragen der Landesverteidigung verwickelt. Ich kann mir vorstellen, dass sich heutzutage angehende Offiziersanwärter*innen geradezu danach sehnen, dass sich ein Teil der Mannschaft solch ausgedehnten, selbstreflektierenden Diskussionen widmet, statt dem ordentlichen Gewehrreinigen.
Natürlich – das muss leider angesprochen werden, ohne dass ich diese Boomer-zum-Bund-Idee unnötig verkomplizieren will – müsste geklärt werden, wie denn bei einem Wiedereintritt in den Wehrdienst mit den vor fast 50 Jahren erworbenen Dienstgraden umgegangen wird. Ich nahm meinen Dienst damals als Panzerschütze auf, wurde nach der Grundausbildung zum „Kanonier Meyer“ in einer Artillerie-Batterie, wo ich mich – zugegebenermaßen recht mühsam – zum Rang eines Gefreiten hochgedient habe. Würde man mich nun automatisch zum Obergefreiten befördern? Und würde mich das zusätzlich motivieren? Vielleicht gäbe das manchem Boomer die Möglichkeit, noch schwelende Nicht-Beförderungs-Traumata nachträglich aufzuarbeiten. Hat sich das DIW über solche Detailfragen Gedanken gemacht?
Worüber es sich durchaus schon Gedanken gemacht hat, ist die Frage der körperlichen Eignung der Boomer für einen nochmaligen Wehrdienst: Was, wenn bei der zweiten Musterung zur Wehrdiensttauglichkeit herauskommt: „Eieiei, das Herz, der Blutdruck, die Leber“? Keine Bange, das DIW ist ein seriöses Forschungsinstitut und hat natürlich eingeplant, dass etwaige körperliche Einschränkungen beim Boomer-Wehrdienst berücksichtigt würden. Aber was bedeutet das konkret? Dass beeinträchtigungskompatible Sondereinheiten für Wehrdienstleistende mit typischen Rentnerleiden eingerichtet würden, wie zum Beispiel Prostata-Kompanien, Arteriosklerose-Staffeln und Bandscheiben-Batterien?
Wenn ich’s mir recht überlege, sollte ich mich dann diesmal vielleicht lieber für einen Sozialdienst entscheiden, als Zivi für betreutes Forschen beim DIW vielleicht, falls dort jemand Vorschläge macht, als seien sie von einer wildgewordenen KI halluziniert worden.
Im Grunde bin ich dem DIW dankbar, denn immer, wenn’s darum geht, die deutsche Gesellschaft zukunftsfähig zu machen, kommt als Vorschlag: „Lass da mal die Boomer ran, die kennen das ja schon.“ Stimmt irgendwie: Damals bekamen wir dauernd gesagt, der Russe stünde vor der Tür, und so viel steht fest: Während meiner Zeit als Gefreiter hat er sich nicht reingetraut. Also falls die Truppe mich noch mal braucht …