Das Grundsatzprogramm der CDU steht. Doch eine Frage ist auch auf dem Bundesparteitag nicht geklärt worden: mit wem als Kanzlerkandidat die Union in gut einem Jahr in den Bundestagswahlkampf zieht.
Vielleicht war der Ort für den Bundesparteitag der CDU mit Absicht gewählt worden: die Multifunktionshalle eines der größten Hotels Berlins in Neukölln. Im Umfeld leben mehrheitlich Menschen, die sich zum muslimischen Glauben bekennen. Auf dem Bundesparteitag der Christdemokraten wurde das neue Grundsatzprogramm verabschiedet, welches die Partei über Monate hinweg beschäftigt hat. Über einen Punkt stritt die Antragskommission lange: Gehört der Islam zu Deutschland und wenn ja, in welcher Form?
Es war der christdemokratische Bundespräsident Christian Wulf, der genau diesen Satz auf dem Evangelischen Kirchentag 2011 formulierte. Und dieser Satz spaltet seitdem die Partei. Nun, im neuen Grundsatzprogramm der CDU, wurde nach vielen Diskussionen eine Formulierung gefunden, wonach „der Islam, der die freiheitliche Grundordnung ablehnt, nicht zu Deutschland gehört“. Die inklusive Sprache Wulfs weicht einem Satz, der die Strömungen des Islam differenziert. Fundamentalistische, islamistische Strömungen, die die Gesetze in unserem Land nicht akzeptieren, ja den Staat an sich ablehnen wie jüngst bei einer Demonstration „für ein Kalifat“ in Hamburg, werden auch von der CDU zukünftig nicht geduldet.
Gegen den politischen Islam
Für eine entsprechende sicherheitspolitische Haltung brauchte es allerdings keinen Parteitagsbeschluss der CDU, denn für die Sicherheitsbehörden, Landeskriminalämter oder Verfassungsschützer ist diese Haltung gelebter Alltag. Der ehemalige Chef der CDU-Grundwertekommission, Prof. Andreas Rödder, verteidigt am Rande des Bundesparteitages die Formulierung: „Dies ist eine klare Absage an Extremisten, aber zeigt auch eine Offenheit der CDU für diese multiplurale Gesellschaft.“
Dennoch sitzt die CDU weiterhin zwischen den Stühlen. Zum einen will sie thematisch die AfD stellen, wie es Parteichef Friedrich Merz immer wieder formuliert. Da hilft es, klare Abgrenzung gegen den – politischen – Islam zu setzen. Andererseits dürfen die Christdemokraten nicht ihre muslimischen Wähler mit dem neuen Grundsatzprogramm brüskieren. Bei der vergangenen Bundestagswahl im September 2021 hatten gut 1,5 Millionen der Wahlberechtigten muslimische Wurzeln. Mehr als die Hälfte von ihnen sollen ihr Kreuz bei der CDU gemacht haben, so die Wahlanalysen. Ein Wählerpotenzial, mit dem es sich die Christdemokraten bei der anstehenden Bundestagswahl nicht verderben wollen. Gut 700.000 potenzielle Wähler können spätestens im September kommenden Jahres wahlentscheidend sein.
Doch ist dieses Beispiel für die CDU nur eine von mehreren Baustellen auf dem Weg zur Bundestagswahl im nächsten Jahr. Da ist unter anderem auch noch die Wirtschafts- oder Sozialpolitik. Hier gilt erneut, wie schon unter dem SPD-Kanzler Gerhard Schröder, „fördern und fordern“.
Viel entscheidender aber für viele in der CDU ist die Frage, die die Partei bei aller Geschlossenheit rund um das neue Grundsatzprogramm in den vergangenen Monaten elegant umschiffte: Wer wird Kanzlerkandidat?
Offensichtlich gibt es zur Entscheidung der Spitzenkandidatur zwei Varianten. Entweder soll die Entscheidung auf einen Sonderparteitag noch im November dieses Jahres fallen oder erst im kommenden Frühjahr. In der CDU-Parteizentrale, dem Konrad-Adenauer-Haus am Berliner Lützowplatz am Rande des Tiergartens, sind die Wahlkampfstrategen jeden Tag nur froh, solange die Ampelregierung hält und keine Neuwahlen ausgerufen werden.
Drei potenzielle Kandidaten sind in Startposition. Gesetzt bei überraschenden Neuwahlen wäre automatisch CDU-Chef Friedrich Merz. An ihm als Kanzlerkandidat würde beim Platzen der Ampel kein Weg vorbeiführen. Merz und sein Generalssekretär Carsten Linnemann wurden auf dem Bundesparteitag mit großer Mehrheit wiedergewählt, die Partei demonstrierte Geschlossenheit. Doch selbst in der CDU-Zentrale sieht man die Wahlchancen mit Merz als potenziellem Kanzlerkandidaten eher kritisch. Er gilt als spröde und damit nicht „marktplatztauglich“, wie es eine junge Mitarbeiterin, die ungenannt bleiben möchte, gegenüber FORUM auf den Punkt bringt. „Friedrich Merz wird ganz sicherlich nicht die Menschen mitreißen.“
Das allein beweisen schon seine Pressekonferenzen. Spätestens nach 40 Minuten reißt ihm der Geduldsfaden, wenn er den Eindruck hat, eine bereits gestellte Frage hinreichend beantwortet zu haben. Kommt das Thema erneut, wird der Frager auch gern mal in seine Schranken gewiesen und von einem knorrigen Merz verbal zurechtgestutzt. Als Spitzenkandidat könnte ihm dies im Straßenwahlkampf zum Verhängnis werden.
Da ist sein CDU-interner Konkurrent, Ministerpräsident Hendrik Wüst aus Nordrhein-Westfalen, deutlich pflegeleichter und charmanter. Dessen Vorteil: Er hat zumindest schon mal eine Landtagswahl gewonnen, wovon Merz nicht berichten kann, und erfreut sich im bevölkerungsreichsten Bundesland großer Beliebtheit. Dort hat er den Führungsanspruch einer schwarz-gelben Koalition 2022 durch Stimmzuwächse der CDU ausbauen können. Sein Manko: Bundesweit ist er weitgehend unbekannt. Wollte die Union mit ihm als Kanzlerkandidaten antreten, dann sollte die Entscheidung dazu schnell fallen, um dies frühzeitig zu ändern.
Ginge es allein um eine CDU-Entscheidung über den Kanzlerkandidaten, dann würde vermutlich Hendrik Wüst der Kanzlerkandidat werden. Vier CDU-Ministerpräsidenten gelten als seine Unterstützer. Doch wie immer im Leben ist es dann doch nicht so einfach in der Union. Die Schwesterpartei hat da auch noch ein Wörtchen mitzureden, und in Bayern sieht man naturgemäß Markus Söder auf dem Posten des Unionskanzlerkandidaten. Nun liegt das bei den Christsozialen aus Bayern nicht daran, dass sie ihren Ministerpräsidenten für so einen profunden Landesvater halten. Sie könnten ihn so vom derzeitigen Amt trennen. Längst gilt er als eine Art Alleinherrscher, der aus der Staatskanzlei gleich um die Ecke vom Münchner Odeonsplatz nicht nur die Geschicke des Freistaates, sondern auch seiner CSU maßgeblich mit leitet – und zwar weitgehend alleine.
Merz gilt als spröde
Was auffällt: Markus Söder taucht neuerdings wieder vermehrt im Bundesrat auf. Gleiches geschah vor vier Jahren, als es um die Kanzlerkandidatur der Christdemokraten ging. Danach zu urteilen ist der unionsinterne Kandidaten-Wahlkampf längst eröffnet. Die Pflöcke werden eingeschlagen, Claims abgesteckt: Auf der parlamentarischen Ebene des Bundesrates entdeckt NRW-Ministerpräsident Wüst kurz vor Beginn einer Sitzung seinen Kollegen aus Bayern und will ihn begrüßen. Doch Söder spricht lieber weiter mit den Reportern und lässt Wüst wie einen Schulbuben erst einmal neben sich stehen, ohne ihn überhaupt anzugucken. Schließlich dreht Söder sich dann doch noch um. „Grüß dich, mein Lieber, hoffe du hast gut hergefunden!“ Ernst scheint er Wüst nicht zu nehmen.
Und hier liegt die Gefahr für die Union: dass Machtmensch Söder die gleichen Spielchen spielen möchte wie 2020. Für ihn läuft es auf Merz oder Söder hinaus. Die jungen Newcomer der Partei haben jedoch andere Pläne. Wüst und seine Unterstützer werden ein Wörtchen mitreden.