Der „Tatort“ aus der saarländischen Rundfunkanstalt hat eine lange Historie: von der zweiten Folge überhaupt bis hin zur neuesten. Wir haben mit SR-Redakteur Christian Bauer über die Wege der Reihe gesprochen, welche Rolle Kritikerstimmen dabei spielen – und wie sich Krimis insgesamt verändert haben.
Der „Tatort“ aus dem Saarland blickt auf eine Geschichte von 43 erfolgreich gelösten Fällen zurück, die bis in die Anfänge der Krimireihe zurückreicht. Direkt die zweite Folge stammte aus der saarländischen Sendeanstalt und wurde am 13. Dezember 1970 ausgestrahlt. Damals sei die Reihe allerdings noch nicht „das Lagerfeuer am Sonntagabend im deutschen Fernsehen“ gewesen, erzählt SR-„Tatort“-Redakteur Christian Bauer. Das Format entwickelte sich erst über die Jahre. Heute steht fest: Jeder Film dauert genau 88 Minuten und 30 Sekunden. Im Saarland gab es eine regelmäßige Produktion erst, als 1988 Kommissar Max Palu startete, gespielt von Jochen Senf. Seither sendet man – mit wenigen Ausnahmen, bei denen man die Chance hatte, eine Doppelfolge zu drehen – genau einen vom SR produzierten Krimi im Jahr.
„Alte ‚Tatorte‘ wirken heute fast behäbig“
In 53 Jahren Saar-„Tatort“ hat sich nach den Einschätzungen Bauers einiges geändert: „Die alten ‚Tatorte‘ wirken heute fast behäbig“, das Erzähltempo beim Film habe zugenommen. Ein Protagonist und Einzelgänger wie Palu würde heute nicht mehr funktionieren, „weil das Erzählen globaler geworden ist“. Eine saubere Charakterentwicklung habe gegenüber früher einen viel höheren Stellenwert bekommen, als man noch viel mit dem Privatleben der Kommissare auffüllte. So erinnert sich der Redakteur an die zahlreichen heimischen Kochszenen bei Palu. Heute erzähle man nur noch Privates, wenn es mit dem Fall verwoben sei.
Der „Tatort“ verändere sich aber auch, weil die Menschen sich ändern. Für den Redakteur sei das Krimiformat teilweise ein Spiegel der Gesellschaft. Blickt man beispielsweise auf die Entwicklung der Kommissarinnen, ist die erste weibliche aus dem Saarland 2013 mit der Stellbrink-Reihe erschienen. Damals habe man der Figur namens Lisa Marx noch „sehr viel geben müssen“ und deutlich das Hinweisschild „starke Frau“ hochgehalten, indem sie beispielsweise Motorrad fuhr und Kampfsport machte, erinnert sich Bauer und berichtet weiter, dass man beim aktuellen Ermittler-Team, also keine zehn Jahre später, die Kommissarinnen mit einer „radikalen Selbstverständlichkeit“ in der alle ihre Skills habe, erzähle.
Aber noch mal zurück auf Anfang: Der erste Kommissar im Saarland war Peter Liersdahl, der nach zwei Fällen von seinem Assistenten Horst Schäfermann im Amt des Chefermittlers abgelöst wurde. Dieser löste vier weitere Fälle. Liersdahl war darin eine Frohnatur und Schäfermann der aus Ludwigshafen zugezogene. Aus Sicht von Christian Bauer sind diese ersten SR-Fälle ein Stück deutscher Filmgeschichte.
Nach vierjähriger Pause startete 1988 dann Max Palu als Leiter der Mordkommission in der Landeshauptstadt Saarbrücken, der im Saarland schnell Kult wurde. Bis 2005 löste er ganze 18 Fälle. Er war ein Kommissar mit Ecken und Kanten. Undiplomatisch ehrlich, schrieben Kritiker – obwohl man es ihm nie übel nahm. „Über Palu redet man in der Republik immer noch, weil er das Saarland-Bild geprägt hat, die meisten Leute wissen dann, ah, das war doch der mit dem Fahrrad, dem Rotwein und dem Baguette“, erzählt Bauer.
Der von Jochen Senf dargestellte Kommissar war ein Kulinariker, an vielen Stellen wurde das frankophile Bild bedient. „Ich glaube, die Saarländer haben ihr Lebensgefühl damit ein bisschen wiederentdeckt. Der hat was abgebildet, und viele haben darin liebenswerte Seiten wiedererkannt“, meint Bauer zu ergründen, warum ausgerechnet dieser Kommissar es zu so großer Beliebtheit brachte.
Interessant ist nur, auch wenn man Palu mit Rotwein und Baguette assoziiert, so gibt es genau eine Szene in der ganzen Reihe, in der er dies auf dem Wochenmarkt erwirbt. „Das Ding war stilprägend“, so Bauer und vergleicht es mit dem Satz „Harry, hol schon mal den Wagen“, der mit der Serie „Derrick“ auf ähnliche Weise verwoben ist.
Härtere Erzählweise bei Kappl und Deininger
Aus den Palu-Krimis wanderte eine Figur in die 2006 gestartete neue Reihe: Der Saarländer Stefan Deiniger ermittelte nach Palu sieben Folgen lang zusammen mit dem zugezogenen Bayer und neuem Leiter der Mordkommission, Franz Kappl. „Der bayrische Sonnyboy im Saarland, der konnte sich nicht zurechtfinden. Das war so die Idee“, erzählt Bauer. Trotz der Rollenübernahme steckt aber nur noch sehr wenig Palu in diesem Team. Mit dem Start von Bauer in der Redaktion habe das Ermittlerduo auch die Richtung gewechselt: „Die Erzählweise wurde härter, vom Stil her thrillermäßig. Wir wollten da mal was anders machen. Ein junges Team braucht junge Geschichten.“ Die Quoten gaben dem Wechsel Recht. Gerne erinnert sich Bauer an seine Anfangszeit und erzählt: „Eine meiner Lieblingsschnitte aus den alten Kappl-Deininger-‚Tatorten‘ war, als beide im Einsatzwagen der Polizei den Leinpfad an der Saar entlangfahren, wo man nicht mal Autofahren darf, dann biegen sie bei St. Arnual in die Unterführung – Schnitt – und sie stehen vorm Winterberg“. Daran würde man sehen, kein Drehort im Film entspräche der Realität. Genauso bei den aktuellen Episoden, in der die saarländische IHK zur Kulisse für das Kommissariat wird.
2013 startete der umstrittenste Saar-Kommissar: Jens Stellbrink. Er wurde gespielt von Devid Striesow, war unkonventionell, zugezogen, trug gerne thailändische Wickelhosen, übte sich in Yoga und bewegte sich auf seiner roten Vespa fort. „Die Kritiker haben uns geschlachtet“, erzählt Bauer zu den Anfängen. Es habe zwar die eine oder andere Stimme gegeben, dass Stellbrink Kultfigur werden würde – und tatsächlich lagen die Einschaltquoten bei knapp unter zehn Millionen. Doch die Mehrheit der Kritiker war anderer Meinung. Wegen der verheerender Rezensionen haben sie nachjustieren müssen. Das habe ihm beim Konzept sehr leidgetan, denn er „hätte gerne diesen verrückten, lebensfrohen, zwischen den Welten wandelnden Kommissar noch länger erzählt“. Doch die Kombination aus Einschaltquoten und Kritiken seien am Ende entscheidend. Zumindest eines der beiden müsste immer überzeugen. „Hier haben die Kritiker das Rennen entschieden“, stellt Bauer rückblickend fest.
Für Bauer gehört die zweite Folge „Eine Handvoll Paradies“, die sich um Rockerbanden drehte, trotzdem zu seinen von ihm produzierten Lieblingsfilmen. Mit dem vorletzten der acht Stellbrink-Fälle, „Mord Ex Machina“, verbindet er Besonderes: Hier hat er mit seinem Team ein Auto 20 Meter über eine Balustrade fliegen lassen, auf Gleise in Göttelborn krachend. „Wir hatten genau einen Schuss, das zu drehen“, erzählt der Redakteur. Denn es gab nur ein passendes Schrottauto zu dieser Szene und kein Budget für weitere. Es sei Bauers teuerste „Tatort“-Szene bisher gewesen. Unter den Augen knapp 200 Schaulustiger war das „eines der aufregendsten Dinge, die ich gemacht habe. Da hatte ich Herzklopfen am Set.“
Kommissar Stellbrink löste seinen letzten Fall mit Folge 1.082, „Der Pakt“.
Geschichte der Figuren bietet viel Potenzial
Seit 2020 liefert ein neues Ermittlerteam, rund um Adam Schürk und Leo Hölzer, neue Krimis aus dem Saarland. Um die Geschichte der beiden zu entwickeln, war laut Bauer im Vorfeld Zeit der Luxus der Entwickler. So haben sie das erste Mal nicht eine Figur dem Schauspieler auf den Leib geschrieben, sondern sich zuerst die Hintergrundgeschichte der zwei Kommissare überlegt, die bereits seit der Kindheit miteinander verwoben sind und nun im Kommissariat Saarbrücken das erste Mal wieder aufeinandertreffen. Erst als das Figurenprofil entwickelt und das erste Buch geschrieben war, habe man beide Schauspieler gecastet – welche für Bauer absolute Glücksgriffe waren.
Die Entwicklung fasst der SR-Redakteur so zusammen: „In Folge eins und zwei sind wir eher konventionell unterwegs gewesen, in drei und vier haben wir uns freigeschwommen und ab der fünften wird es jetzt wild! Konventionell, aber wild“ und ergänzt: „Ich mag die alle!“ Auszeichnend sei, dass „es gelingt, das Niveau zu halten“.
Diese ausführlich entwickelten Hintergründe bieten nun viel Potenzial, weil gleich vier Kommissare abwechselnd durch die Geschichten führen könnten. So ist in der fünften Folge noch mal „Leo, der uns durch die Folge führt. In der nächsten wird es dann Pia“, so Bauer.
Saarländisch sein spiele, wie noch bei Palu vordergründig, im SR produzierten „Tatort“ aber nicht mehr so eine große Rolle. Mit Untertiteln wird mal französisch gesprochen, um die geografische Lage herauszustellen. „Den Klischee-Saarländer haben wir auf die Nebenrollen verbannt, um vielleicht mal ein bisschen die Volksseele zu streicheln“, gesteht Bauer. Ob es trotzdem 18 Folgen wie beim bekanntesten Saar-Kommissar, eben Jochen Senf, werden, weiß er nicht. Das hänge ganz an der Marktentwicklung.