Ein „Gentleman-Intellektueller ohne Hybris“, ein „Zeremonienmeister deutscher Erinnerungskultur“: So beschreiben Kommentatoren Christoph Stölzl. Reinhard Klimmt, Ministerpräsident a. D., würdigt den im Alter von 78 Jahren verstorbenen Stölzl als „lebenslangen Freund“, der seine Spuren auch im Saarland hinterlassen hat.
München – Saarbrücken – Berlin – Weimar: die wichtigsten Stationen im Leben des Christoph Stölzl, am 17. Februar 1944 bei Augsburg geboren, am 10. Januar 2023 im bayerischen Evenhausen gestorben. Für die „FAZ“ war er „vielleicht der wichtigste kulturpolitische Akteur beim Übergang von der Bonner zur Berliner Republik.“ Für mich war er ein lebenslanger Freund.
1987 wurde Stölzl von Helmut Kohl als Gründungsdirektor des Deutschen Historischen Museums berufen. Damit erreichte die bereits längere Jahre tobende Debatte ihren Höhepunkt, ob es neben dem der Nachkriegszeit gewidmeten Bonner Haus der Geschichte auch ein Museum für die Deutsche Geschichte geben sollte. Für den gelernten Historiker Kohl keine Frage, er wollte dem Ostberliner Museum für Deutsche Geschichte, das der Vergangenheitsinterpretation und dem Rechtfertigungsbedürfnis der DDR diente, ein demokratisches Bild entgegensetzen. Und es sollte Berlin sein, trotz der vielen Kritiker, die das Wiedererstehen eines deutschen Nationalismus fürchteten.
Undogmatisch und neugierig
Mit Christoph Stölzl, damals noch Leiter des Münchner Stadtmuseums, fand Kohl einen jungen Kopf der Nachkriegsgeneration, der mit der für ihn typischen Unbefangenheit, ja geradezu Nonchalance an die übertragene Aufgabe ging. Als Standort war der Spreebogen vorgesehen, doch die erhoffte, aber unerwartete Wiedervereinigung eröffnete neue Horizonte. Nur eine forschende, undogmatische und neugierige Persönlichkeit wie Stölzl war in der Lage, die DDR-Erbschaft im Zeughaus anzunehmen und schöpferisch umzuwandeln. Ich erinnre mich noch gut, wie er mit mir den „Giftschrank“ des Vorgängermuseums inspizierte, in dem vor allem Dissidenten, Autoren, die in der DDR verpönt waren, lagerten, darunter auch die Bücher des als Renegat geächteten Ex-Kommunisten und Saarländers Gustav Regler.
Stölzls Ausstellungen waren mutig und spektakulär und er ergänzte den grandiosen Bau der Preußenzeit mit einem flexiblen Ausstellungsbau, für den er den chinesisch-amerikanischen Architekten I. M. Pei gewinnen konnte. An der Fertigstellung war ich insofern beteiligt, als Pei den Auftrag zurückgeben wollte, da die Bürokratie seine geliebten Steine aus dem Burgund nicht als Baumaterial genehmigen wollte – es gebe genug Steine in Deutschland. Das Projekt fiel in meine Zeit als Bauminister und Pei, der mir sein Leid klagte, bekam selbstverständlich seine Steine – und Berlin die wunderbare Verbindung von alter und moderner Architektur, wie wir sie auch im Saarbrücker Schloss bewundern können.
Stölzl handelte nach der Devise, die Geschichtsschreibung und -darstellung müsse der Wahrhaftigkeit verpflichtet sein, müsse aber im Museum mehr bieten, Wissenschaft und Entertainment verbinden, Erkenntnis auch für den Flaneur und den Familienausflug im Auge behalten.
Ihm und Richard van Dülmen verdankt das Saarland mit „Prometheus“ das erste spektakuläre Ereignis in der Alten Völklinger Hütte. Die Ausstellung war auch ein Dank an die Stadt und das Land, in dem Stölzl fünf Jahre studiert und promoviert hatte. Mein stützendes Argument: „Du musst nicht das ganze Geld im Osten ausgeben, schließlich sind wir auch ein Beitrittsland.“ Das Projekt einer Lothringen-Ausstellung scheiterte am französischen Unwillen, dafür ergriff van Dülmen die Chance, seine langjährigen Forschungen zum Menschenbild der Moderne in großem Maßstab in Form und Bild zu setzen. Die Ausstellung, „die eher ein begehbares Gesamtkunstwerk aus Location, künstlichen Bildern, Worten und Tönen“ (Stölzl) war, wurde zu einem durchschlagenden Erfolg.
Als Parteipolitiker war er völlig ungeeignet. Anfangs zog es ihn in die FDP, die im Münchener Stadtrat eine wichtige Stütze für ihn war. Ende der Achtziger brachte er es in Berlin sogar bis zum stellvertretenden Parteivorsitzenden. Im April 2000 wurde er – parteilos – Senator für Wissenschaft, Forschung und Kultur im schwarz-roten Berliner Senat. Er beklagte sich bei mir wegen der unzureichenden Unterstützung im Abgeordnetenhaus. Mein Hinweis, so würde es allen Senatoren und Ministern ergehen, die keine Hausmacht hätten, trieb ihn in die CDU. Er fühlte sich von Klaus Wowereit hintergangen, weil ihn niemand vor dessen erkennbaren Absichten gewarnt hatte, die Koalition im Roten Rathaus platzen zu lassen und Neuwahlen anzustreben. Stölzl verlor seinen Posten und kandidierte wütend und trotzig auf der Liste der CDU. Bis 2006 fungierte er als einer der beiden Vizepräsidenten des Abgeordnetenhauses. Das passte durchaus zu ihm, nicht aber der Landesvorsitz der CDU, den er für kurze Zeit innehatte.
Stölzl blieb immer ein unabhängiger Kopf
Seit 1965 waren wir befreundet, beide Schüler von dem Mediävisten und Landeshistoriker Friedrich Prinz. Diese in jungen Jahren begründete Freundschaft hielt ein Leben lang. Wir waren uns mal näher, dann wieder durch die Zeitläufte auseinandergetrieben, aber was Freundschaft auszeichnet, dass man über alles – ja alles – miteinander reden kann, blieb immer erhalten, und wenn es nur Telefongespräche waren.
Die 60er waren funkelnde Jahre. Wir genossen die kulturelle Bigamie, lebten auf der Grenze, tranken Amère-Bier beim „Woll“, besorgten uns die Satirezeitschrift „Harakiri“ in Forbach, deren Star Topor er 1985 eine Ausstellung in München widmete; in der „Camera“ liefen die Nouvelle-Vague-Filme und das Saarbrücker Nachtleben war legendär.
Auf Exkursionen waren wir für die Unterhaltung der Reisenden zuständig. Er hatte die Gitarre dabei, sang und spielte – ich hielt aufrührerische, unangepasste Reden. Auf einer Burgund-Expedition kreuzten wir den Begleittross der Tour de France und nahmen in Digne an einer Abendgala teil. Stölzl gewann mit „Proud Mary“ den Gesangswettbewerb und ich musste mich damit abfinden, nur zweiter Bierkönig geworden zu sein, immerhin unter 80 Teilnehmern, weil ich mich kurz mal verschluckt hatte.
Trotz seiner Mitgliedschaften in FDP und CDU blieb er immer ein selbstständiger, unabhängiger Kopf. Am treffendsten finde ich ihn mit der paradoxen Formulierung „ein konservativer Anarchist“ charakterisiert. Er war durchaus bereit, falls ich 1999 die Wahl gewonnen hätte, als parteiloser Kultur- und Wissenschaftsminister in ein weiteres Kabinett Klimmt zu kommen.
Nun ist auch er gegangen. Nach dem viel zu früh verstorbenen Historiker Richard van Dülmen ist mit Christoph Stölzl der zweite der Väter der ersten großen Ausstellung im Weltkulturerbe Völklinger Hütte verstorben.