Trotz erneuter Rückschläge in der EuroLeague mobilisiert Alba Berlin seine letzten Energiereserven und gewinnt das Topspiel der Basketball-Bundesliga in Chemnitz. Das macht Hoffnung für die Play-offs – wenn die internationalen Spiele wegfallen.
Nach zwei knappen Niederlagen in der EuroLeague konnte Jonas Mattisseck Aufmunterung von seiner Freundin gut gebrauchen. Die bekam der Basketballer von Alba Berlin auch – allerdings eher indirekt. Minerva Hase, seit fast fünf Jahren mit Mattisseck liiert, gewann bei der Eiskunstlauf-WM im kanadischen Montreal die Bronzemedaille im Paarlaufen an der Seite von Nikita Volodin. Und schon fühlte sich der Alba-Profi deutlich besser. „Ich kann’s immer noch nicht glauben“, schrieb er auf Instagram zu einem Bild, das seine Freundin mit der Medaille um den Hals zeigte: „Der absolute Wahnsinn.“ Das Sportpaar konnte sich nur aus der Ferne über Erfolg und Misserfolg austauschen, viel Zeit für Gemeinsamkeit hätten sie in diesen Tagen aber auch ohne Eiskunstlauf-WM auf einem anderen Kontinent nicht gehabt. Für Mattisseck geht es derzeit bei Alba Schlag auf Schlag, die Doppelbelastung aus Bundesliga und EuroLeague schlaucht extrem. Vor allem, wenn die Berliner trotz guter Leistungen auf internationalem Parkett am Ende immer wieder mit leeren Händen dastehen.
Schlag auf Schlag bei Alba
Sowohl beim 79:86 gegen Titelverteidiger Real Madrid als auch beim 84:85 (40:53) bei Anadolu Istanbul hätte Alba mehr verdient gehabt als nur Lob des Gegners für die couragierte Leistung. Passende Worte fand Kommentator Christoph Stadtler vom übertragenden Sender MagentaSport, der die Gäste bei der Niederlage in Istanbul zuerst lobte („Was spielt Alba hier plötzlich für ein Basketball? Respekt!“) und am Ende konsterniert feststellte: „Aus Alba-Sicht ist das, ich sag’s mal ganz salopp, zum Kotzen natürlich.“ Auch Albas Weltmeister Johannes Thiemann schob Frust. „Es ist Pech“, sagte der Center – aber eben nicht nur: „Am Ende haben wir viele solcher Situationen die ganze Saison. Vielleicht sind wir auch vom Kopf nicht da? Es ist bitter auf jeden Fall.“
Alba braucht Punkte in der EuroLeague – nicht so sehr für die Tabelle, dort ist das Team des spanischen Trainers Israel Gonzalez mit nur fünf Siegen aus 31 Spielen abgeschlagen Letzter ohne Chance auf die K.-o.-Runde. Aber für das Selbstvertrauen wären internationale Erfolge wichtig. Immer wieder in der EuroLeague anzutreten, oft eine Zeit lang gut mitzuhalten und am Ende doch zu verlieren – das zehrt an den Kräften. Zusätzlich zum Reise- und Wettkampfstress. „Das hilft uns dann auch nichts“, meinte Thiemann fast schon resignierend. Vor allem nicht, wenn wenige Tage später in der Basketball-Bundesliga ein Topspiel ansteht. Als „hart“ bezeichnete Thiemann die Terminierung des Duells beim bisherigen Spitzenreiter Chemnitz Niners nur drei Tage nach dem Auftritt in Istanbul: „Ungünstiger Zeitpunkt auf jeden Fall.“ Auch Sportdirektor Himar Ojeda war mit einem nicht gerade vor Optimismus strotzenden Gefühl nach Chemnitz gereist: „Wir müssen einfach sehen, wie viel Energie noch da ist. Sie warten ja die ganze Woche auf uns und können sich vorbereiten.“
Doch die Berliner mobilisierten noch mal ihre letzten Kraftreserven und zwangen den Widersacher mit einer großen Willensleistung mit 84:79 in die Knie. Die Chemnitzer begannen wie erwartet sehr physisch, um Alba gleich zu Beginn den Spaß am Spiel zu rauben und das Energielevel des Gegners zu testen. Die 22:18-Führung der Gastgeber nach dem ersten Viertel machte Alba aber nicht nervös – im Gegenteil. Im zweiten Spielabschnitt übernahm das Gonzalez-Team mehr und mehr die Kontrolle und führte zur Halbzeit mit 39:35. Danach lief in der Offensive vor allem Sterling Brown heiß, der Point Guard hatte am Ende mit 18 Punkten in den zweiten 20 Minuten maßgeblichen Anteil am Alba-Sieg. Die hektische Schlussphase überstanden die Berliner auch dank der Unterstützung ihrer mitgereisten Fans, wie sie hinterher bestätigten. Für den Tabellendritten Alba war es der siebte Sieg in Serie, der Chemnitz die Tabellenführung kostete. Neuer Spitzenreiter ist nun Bayern München.
Einziger Wehrmutstropfen aus Berliner Sicht: Center Khalifa Koumadje flog wegen eines unsportlichen Fouls vom Feld. Es waren noch keine fünf Minuten gespielt, da riss der 2,24 Meter große Profi seinen Gegenspieler Jonas Richter mit einem unglücklichen Griff an den Hals zu Boden. Nach Videobeweis entschieden die Schiedsrichter auf Spielsperre für Koumadje, der sich erst Anfang Februar eine Tätlichkeit gegen den Göttinger Bodie Hume geleistet hatte und dafür für vier Spiele gesperrt worden war. Doch Alba ließ sich auch von dieser Situation nicht runterziehen und schaffte im Spiel noch den Turnaround. Dabei hatten die meisten Experten eigentlich Chemnitz größere Chancen eingeräumt, je länger das Spiel dauert.
„Ein Vorteil für uns gewesen“
Die Chemnitzer spielen zwar auch international, aber der Europe Cup beinhaltet deutlich weniger Partien als die EuroLeague mit dem Hin- und Rückspielsystem mit 18 Teams. So konnten sich die Niners nach dem 106:84 gegen Ex-Meister Brose Baskets Bamberg eine Woche lang auf das Topspiel gegen Alba vorbereiten. Das sei „schon ein Vorteil für uns“ gewesen“, gab Flügelspieler Jonas Richter zu. Die Niners waren zudem besonders motiviert angetreten, das klare 101:90 im Hinspiel am 31. Dezember 2023 hatte ihnen nicht nur die Silvester-nacht verhagelt. Es beendete damals auch eine Siegesserie von zwölf Spielen. „Berlin ist sehr clever darin, Fouls zu ziehen. Das hat uns vor Probleme gestellt“, erinnerte sich Richter, der für das Rückspiel ankündigte: „Das wollen wir besser machen, die letzten Spiele haben einen guten Trend gezeigt.“ Doch Alba war auch diesmal einen Tick zu stark.
Als „Duell der Giganten“ hatte der MDR das Spitzenspiel im Vorfeld bezeichnet, dabei sind eigentlich nur die Berliner ein wirklicher „Gigant“ der Bundesliga. Chemnitz ist erst seit dieser Saison auf Augenhöhe mit den Besten. Als Hauptgrund nannte Richter die Kaderzusammenstellung. Die Stärken der einzelnen Spieler würden perfekt zueinander passen, zudem nehme sich keiner wichtiger, als er ist. „Jeder kennt seine Rolle und weiß, was zu tun ist. Jeder nimmt sich zurück und spielt fürs Team“, sagte er: „Die Mentalität macht uns aus.“ Doch natürlich hat auch Chemnitz individuelle Klasse, ansonsten würde das Team nicht ganz oben mitmischen. Kevin Yebo beispielsweise spielt eine herausragende Saison, er ist mit im Schnitt 17,2 Punkten bester Niners-Scorer und einer der effektivsten Spieler der Liga. Gegen Alba blieb aber auch er mit 14 Zählern etwas unter seinen Möglichkeiten.
Bei Alba ist die Last des Punktens auf mehrere Schultern verteilt, doch natürlich gibt es auch hier herausragende Akteure. Spielmacher Martin Hermannsson ist so ein Führungsspieler, an dem Rückkehrer können sich die anderen Spieler derzeit aufrichten. Und dem Isländer machen auch die vielen Reisen in der EuroLeague nichts aus – im Gegenteil. Kürzlich ist er zum zweiten Mal Vater geworden, zu Hause bekommt er derzeit deutlich weniger Schlaf. „Ich sehne mich schon nach einem Hotel, um schlafen zu können“, scherzte er.
Auch auf Thiemann ist in der aktuell schwierigen Zeit mit der großen Belastung Verlass, auch wenn er gegen Chemnitz keinen einfachen Stand hatte. Der 2,06 Meter große Nationalspieler zeigt aber vor allem in der EuroLeague, dass er mit den besten Spielern in Europa mithalten kann. Das spricht sich natürlich herum, genauso wie der Fakt, dass sein Vertrag nach drei Jahren bei Alba am Saisonende ausläuft.