Der Deutsch-Amerikaner Amon-Ra St. Brown gehört bald zu den Bestverdienern in der NFL. Der Wide Receiver will es als Ansporn nehmen, noch härter an sich und für den Erfolg mit den Detroit Lions zu arbeiten.
So sehr hatte Amon-Ra St. Brown dem Draft in jenem Frühling 2021 in Cleveland, Ohia entgegengefiebert. Mit teils überragenden Leistungen bei den USC Trojans von der University of Southern California hatte der Wide Receiver die NFL-Scouts auf sich aufmerksam gemacht, er galt als ein Kandidat für die zweite oder dritte Runde der vielbeachteten Talente-Ziehung im American Football. St. Brown fühlte sich bereit für den großen Auftritt, für die großen Clubs, für das große Gehalt. Doch die ersten drei Runden verstrichen, ohne dass der Name des Deutsch-Amerikaners fiel. „Angepisst“ sei er deswegen, hatte der Jungstar gesagt, als nicht gerade wenige Passempfänger ihm vorgezogen wurden. Doch der Frust wurde noch größer. Als der damals 21-Jährige in der vierten Runde an 112. Stelle endlich auserwählt wurde, war es ausgerechnet das Team, zu dem er auf keinen Fall wollte: die Detroit Lions.
Unendlich dankbar für das Schicksal
„Wenn es ein Team gibt, zu dem ich nicht gehen will, dann sind das die Lions. Bitte, ich will einfach nicht zu den Lions gehen“, berichtete St. Brown rückblickend über ein Gespräch mit seinem Bruder Equanimeous, der damals bei den Green Bay Packers als NFL-Profi spielte. „Ich war glücklich, aber gleichzeitig auch unglücklich, weil ich nicht hierherkommen wollte.“ So läuft das nun mal im US-Profisport, dort können sich nicht einmal Superstars ihre Teams aussuchen. Amon-Ra St. Brown blieb nichts anderes übrig, als das Beste aus der Situation zu machen – und das tat er in beeindruckender Art und Weise. „Im Nachhinein betrachtet ist es das Beste“, sagt er nun: „Ich glaube nicht, dass es einen anderen Ort gibt, an dem ich das hätte tun können, was ich hier getan habe, mit den Leuten um mich herum, den Trainern, meinen Teamkollegen, den Fans, der Stadt, der ganzen Geschichte, wie alles bisher gelaufen ist.“ Er sei unendlich dankbar für das Schicksal, das es so gut mit ihm gemeint hatte. Damals, beim Draft 2021. „Ich würde dafür bezahlen, wenn ich könnte, damit das alles noch einmal passiert“, sagt der 24-Jährige: „Es ist eine perfekte Geschichte.“
Das Geld dafür hätte er zumindest jetzt übrig. Ende April unterschrieb der Profi einen neuen Vierjahresvertrag bei Detroit, der ihm übereinstimmenden US-Medienberichten zufolge ein Gehalt von 120 Millionen Dollar einbringen soll. 77 Millionen davon seien garantiert, der Rest gebunden an bestimmte Leistungsfaktoren. Diese Summe machte ihn in der NFL zum Bestverdiener auf der Wide-Receiver-Position – zumindest für eine gewisse Zeit. Nur wenige Tage später einigten sich die Philadelphia Eagles mit ihrem Receiver A.J. Brown auf einen neuen Vertrag bis 2029, der Medienberichten zufolge jährlich etwas höher dotiert sein soll als der von St. Brown in Detroit. Doch ob nun Gehalts-Rekord oder nicht: In einer Liga, in der Zahlen immer auch eine gewisse Symbolik mit sich bringen, ist der Mega-Vertrag eine enorme Wertschätzung für den Deutsch-Amerikaner. Und das nicht ohne Grund.
St. Brown hat die beste seiner bislang drei NFL-Spielzeiten hinter sich. Ein Beleg dafür: Bei der Wahl durch Medienvertreter wurde St. Brown als einer von drei Wide Receivern ins NFL-All-Pro-Team der Saison gewählt. Die beiden anderen Passempfänger waren keine Geringeren als die Starprofis CeeDee Lamb (Dallas Cowboys) und Tyreek Hill (Miami Dolphins). Für den Pro Bowl wurde er nachnominiert. Verdient waren die Aufnahmen in diese illustren Kreise allemal, St. Brown war einer der Hauptgründe dafür, dass die Lions erstmals seit 1994 ihre Division gewannen. In der regulären Saison kam er auf zehn Touchdowns, 119 gefangene Pässe und insgesamt 1515 Yards Raumgewinn. In all diesen Kategorien war er damit einer der Besten in der besten Footballliga der Welt.
„Er ist der konstanteste, zuverlässigste Typ, den du in dieser Liga finden kannst“, schwärmte Detroit-Headcoach Trainer Dan Campbell über seinen deutschen Spieler: „Er macht, was er soll und dann manchmal auch das Zehnfache davon. Je größer der Moment, desto mehr ist er da.“ In den Playoffs steuerte St. Brown dann einen Touchdown und weitere 274 Yards Raumgewinn bei, doch am dramatischen Halbfinal-Aus gegen die San Francisco 49ers konnte auch er nichts ändern.
„Ich werde mich nicht ändern“
Die bittere Niederlage im NFC Championship Game trotz einer 14:0- und einer 24:7-Führung weckte bei St. Brown aber nur noch stärkeren Ehrgeiz. In der kommenden Saison will er den nächsten Schritt machen und unbedingt in den Super Bowl einziehen. „Wir sind hungrig, wir werden bereit sein“, versprach er: „Wir haben viele gute Spieler, die richtigen Trainer, um im nächsten Jahr wieder hier zu stehen.“ Doch für den ganz großen Wurf dürfe keine Selbstzufriedenheit nach der starken Vorsaison einkehren, forderte St. Brown: „Wir müssen mehr zeigen, müssen besser sein.“ Er erwartet eine schwerere Spielzeit, weil „die Teams mehr auf uns achten und uns ernster nehmen. Sie werden uns sehen und merken, dass es andere Lions als die Jahre zuvor sind.“ Was St. Brown von seinen Teamkollegen fordert, will er selbst Tag für Tag vorleben. „Ich muss härter arbeiten. Ich habe allen gesagt, dass ich jetzt noch härter arbeiten werde“, sagte er. Der Erfolg, das viele Geld, die Auszeichnungen – all das werde ihn nicht bequem machen. „Jeder weiß das– oder ich hoffe, sie wissen es, oder sie werden es herausfinden“, sagte er. „Ich werde mich nicht ändern“, versprach St. Brown und nahm den begehrten Pokal für den Sieger des alljährlichen Super Bowls ins Visier: „Mein Ziel – unser Ziel – ist diese Lombardi Trophy. Wir brauchen sie. Wir haben das Gefühl, dass wir es schaffen können.“
Dieser innere Antrieb ist etwas, was St. Brown ohne Zweifel auszeichnet. Das war schon unmittelbar nach dem für ihn unbefriedigend verlaufenen Draft so, als er es der Football-Welt unbedingt zeigen wollte. Die Namen der 16 Wide Receiver, die damals vor ihm von den Teams ausgewählt worden waren, konnte er noch Jahre danach nennen. Er sei generell ein sehr ehrgeiziger Mensch: „Ich will mehr. Ich will mehr als nur das, egal ob Play-offs, Super Bowl, Pro Bowl, All-Pro, was immer es ist. Ich will mehr.“ Diese Einstellung scheint auf seine Teamkollegen abzufärben, aus dem einst chronisch erfolglosen Lions ist seit St. Browns Ankunft ein ernsthafter Super-Bowl-Anwärter geworden.
Der unbändige Ehrgeiz ist sicherlich auch in seinen Familienverhältnissen begründet. Sein amerikanischer Vater John war einst einer der besten Bodybuilder der Welt, er wurde gar einmal zu „Mister Universe“ gekürt. Im heimischen Anaheim in Kalifornien stand Krafttraining von kleinauf für Amon-Ra und seine zwei älteren Brüder Equanimeous und Osiris auf dem Programm. „Es ist ein bisschen krank, aber es war normal für mich“, sagte Amon-Ra St. Brown einmal: „Als kleines Kind war ich immer stärker und schneller als alle anderen.“ Außerdem habe es ihm sehr früh Disziplin beigebracht. „Mein Vater war immer sehr streng zu uns, aber er hat uns geliebt und alles für uns gemacht. Wenn es aber beim Sport ernst wurde, mussten wir auf ihn hören“, erzählte der jüngste der drei Brüder: „Er war ein erfolgreicher Bodybuilder und wusste, wie man sich Erfolg hart erarbeiten kann.“
„Ein Pitbull, der als Receiver spielt“
Und seine Mutter? Die Leverkusenerin, die John St. Brown bei einer Fitness-Messe 1989 in Köln kennenlernte und sieben Jahre später heiratete, sei „vielleicht noch ein bisschen strenger als mein Vater“ gewesen, verriet Amon-Ra. Aber eher, wenn es um die Schule ging. „Wir sollten immer gute Noten nach Hause bringen. Wenn wir schlechte Noten hatten, gab es Ärger.“ Er erinnerte sich, dass er während einer Autofahrt immer mindestens zehn Minuten ein Buch lesen musste – vorher durfte er nicht aussteigen. „Jetzt bin ich dankbar, dass ich es gemacht habe. Ich kann Deutsch sprechen, lesen und schreiben“, sagte der NFL-Star, der während seiner Jugend viele Sommermonate in Deutschland verbracht hat und vor allem „das deutsche Essen“ in den USA vermisst.
Doch eigentlich hatten die St. Brown-Brüder schon als Kinder und Jugendliche nur Sport im Kopf. Die Konkurrenz unter den drei Brüdern verschärfte den Willen, immer besser zu werden. „Es war viel Konkurrenz in unserem Haushalt“, sagte Amon-Ra. Gesunde Konkurrenz, wie er betonte: „Das hat viel Spaß gemacht. Wir sind Brüder, das machen Brüder.“ Während Equanimeous (27) ebenfalls den Sprung in die NFL schaffte – er steht seit April bei den New Orleans Saints unter Vertrag – spielte Osiris (26) an der Stanford University „nur“ College-Football. Auch aufgrund einiger Verletzungsprobleme entschied er sich, nicht am NFL-Draft teilzunehmen.
In Equanimeous einen älteren Bruder zu haben, der vor ihm den beschwerlichen Weg in die NFL ging, sei ein Segen gewesen, erklärte Amon-Ra. „Als ich kleiner war, hat er immer alles als Erster gemacht: High School, College, NFL. Wenn er ein paar Fehler gemacht hat, konnte ich immer davon lernen.“ Und St. Brown lernt schnell. Nichts hasst er mehr als Fehler, er will sie mit aller Macht verhindern. „Ich bin gerne perfekt in allem, was ich mache. Wenn ich einen Fehler mache, dann bin ich hart zu mir.“ Neben seiner enormen Geschwindigkeit, der beeindruckenden Beweglichkeit und der Fangqualitäten ist die Mentalität wohl seine größte Stärke. „Ich mache keinen Fehler zweimal“, behauptet er. Außerdem ist er wegen seiner Mannschaftsdienlichkeit so beliebt in Detroit. Der Wide Receiver sorgt nicht nur für Yards und Punkte, sondern spielt auch noch extrem teamorientiert. So blocke St. Brown auch mal einen Gegenspieler, um freie Räume für seine Teamkollegen zu schaffen, erklärte sein Trainer Campbell: „Er ist ein Pitbull, der als Receiver spielt.“