Der 1. FC Saarbrücken kegelt völlig überraschend den FC Bayern aus dem DFB-Pokal und freut sich auf eine weitere Runde und viel Geld. Doch der Liga-Alltag darf nicht vernachlässigt werden.
Als die pure Extase um sich griff, Fans den Innenraum stürmten und die Spieler des 1. FC Saarbrücken jeden umarmten, der sich ihnen in den Weg stellte, sank Trainer und Manager Rüdiger Ziehl auf der Trainerbank zusammen und ging in sich. Was mag der 46-Jährige in diesem Moment gedacht haben? War es die Fassungslosigkeit ob der Tatsache, dass seinem Team das schier Unmögliche gelungen ist? Oder ging der Blick schon wieder Richtung Liga-Alltag, der eine Tabellensituation offenbart, die zum derzeitigen Herbst-Wetter passt?
„Wir müssen versuchen, diese Euphorie in die Liga mitzunehmen“, sagte Sportdirektor Jürgen Luginger just in dem Moment in die ARD-Mikrofone, als Ziehl gedankenverloren auf der Bank saß. Die Euphorie ist jetzt da. Taktisch überragend eingestellt und diszipliniert präsentierte sich der Drittligist gegen den Deutschen Rekordmeister. Keine dummen Fouls, keine überflüssigen Karten – der FCS präsentierte sich zumindest in der ersten Halbzeit derart reif, dass sich manch Zuschauer die Augen gerieben haben mag. „Es wäre unfair, wenn wir einen herausheben würden, die ganze Mannschaft ist der Gewinner“, strahlte Luginger. Und doch, es gab sie. Die, sich ein Extra-Lob verdient hatten. Allen voran Torwart Tim Schreiber, der spätestens seit dem Bayern-Spiel aus dem „Duell auf Augenhöhe“ mit Tim Paterok als klare Nummer eins hervorgegangen sein dürfte. Oder Neuzugang Amine Naifi, der derart frech und unbekümmert auftrumpfte, dass man den Spähern des FCS nur ein großes Kompliment machen kann, den Franzosen trotz vieler Wirren von einem Wechsel in Saarland überzeugt zu haben.
Natürlich war auch ein bisschen Glück dabei. Zumindest in der zweiten Halbzeit. „Wir wollten stabil stehen und auf die eine Chance warten. Deswegen haben wir auch offensiv gewechselt. Es war klar, dass wir die Verlängerung nicht überstanden hätten“, sagte Ziehl. Und genauso kam es auch. Marcel Gaus nutzte den einzigen Saarbrücker Torschuss zum Siegtreffer in der fünften Minute der Nachspielzeit. Der Rest war Feiern. „Saarbrücken hat es im Rahmen seiner Möglichkeiten gut gemacht. Natürlich brauchst Du als Außenseiter das Quäntchen Glück. Wir hatten in der zweiten Halbzeit viel Ballbesitz und die eine oder andere Chance. Und Saarbrücken hat auf den einen Moment gelauert und diesen genutzt. Das muss man anerkennen“, sagte Bayerns Nationalspieler Thomas Müller, der nach 15 Minuten mit dem ersten Münchner Torschuss die Gästeführung besorgte. Doch schon im ersten Abschnitt präsentierte sich der Rekordmeister merkwürdig fahrig und fehlerhaft. Patrick Sontheimers Ausgleich quasi mit dem Pausenpfiff war die logische Konsequenz für einen beherzten FCS, der zuvor schon die besseren Chancen hatten. „Zur Pause war das Ergebnis okay, wir wollten in der zweiten Halbzeit offensiv wechseln und dann das zweite Tor machen. Dann wären das dritte und vierte auch noch gefallen“, sagte Bayern-Coach Thomas Tuchel. Das zweite Tor fiel dann auch, aber auf der anderen Seite. „Surreal fühlt es sich an“, rang FCS-Kapitän Manuel Zeitz anschließend um Worte: „Es wird ein bisschen dauern, bis wir das einordnen können.“
Auf den FCS wartet nun im Achtelfinale in der ersten Dezember-Woche ein weiteres attraktives Los. Der unverhoffte Coup gegen den Bayern spült fast eine Million Euro in die Kassen. Doch im Gegenzug bedeutet es auch eine weitere englische Woche mit einem kleinen und verletzungsgeplagten Kader. „Wir müssen regenerieren und schauen, dass wir in Sandhausen eine schlagkräftige Mannschaft auf den Platz bekommen“, sagte Ziehl. Denn am Samstag wird die Pokal-Euphorie dem Liga-Alltag weichen. Doch der neue Traum von einem weiteren Pokalwunder nach 2020 wird größer.