Ende Juni will die Mindestlohnkommission ihre Empfehlung abgeben: Durch den zwischen Union und SPD vereinbarten 15-Euro-Mindestlohn-Passus im Koalitionsvertrag steht die Kommission unter Druck, Arbeitgeber sind von den Plänen wenig begeistert.

Aufseiten der Arbeitnehmer- oder Sozialverbände ist man euphorisch: Ein Mindestlohn von 15 Euro könnte bereits in einem halben Jahr Realität werden, frohlocken in den letzten Wochen ihre Funktionsträger. Immerhin ist ein Mindestlohn in dieser Höhe im Vertrag der Arbeitskoalition von Schwarz-Rot als wünschenswert festgehalten. Ein Signal, mehr nicht. Für die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi führt zwar kein Weg mehr daran vorbei, allerdings hält sie sich über den Zeitpunkt, wann die 15 Euro pro Stunde verbindlich kommen, zurück. Sie will der Mindestlohnkommission nicht vorgreifen, die ja noch bis Ende Juni darüber verhandelt, so ihre offizielle Darstellung.
Sozialverbände: 15 Euro seien überfällig
In der Mindestlohnkommission sitzen drei Vertreter der Arbeitnehmer-, drei der Arbeitgeberseite, dazu kommen noch zwei Lohn- und Tarifexperten als wissenschaftliche Berater. Den Vorsitz hat Christiane Schönefeld. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften war sie 36 Jahre in diversen Leitungsfunktionen der Bundesagentur für Arbeit tätig. Schon im April hat sich Schönefeld eine Einmischung der Regierung in die Zuständigkeiten der Kommission verbeten. Zuvor hatten die angehenden Koalitionspartner über die Höhe eines künftigen Mindestlohnes debattiert, die CDU blieb vage, die SPD strebt 2026 einen Mindestlohn von 15 Euro an. Die Mindestlohnkommission wurde vor elf Jahren in der zweiten Großen Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel von der Regierung einberufen, nachdem der gesetzliche Mindestlohn vom Bundestag ab dem 1. Januar 2015 verabschiedet wurde.
Sinn der Kommission: Die Regierung hält sich aus der Festlegung von Höhe und folgenden Anpassungen des Mindestlohnes alle zwei Jahre heraus. Diesen sollen Arbeitnehmer mit Arbeitgebern unabhängig aushandeln und festlegen. Und genau dies ist Stein des Anstoßes. Als Grundlage dient der Kommission kein Wunsch von Koalitionären, sondern die allgemeine Lohnentwicklung. Orientierungshilfe für die Höhe des neu zu bestimmenden Mindestlohns ist dabei unter anderem der sogenannte Median-Lohn. Also genau die Mitte der höchsten und niedrigsten Löhne in Deutschland, der mittlere Bruttojahresverdienst in Deutschland. Dieser lag im letzten Jahr einschließlich Sonderzahlungen bei 52.159 Euro. Faustformel: Der Mindestlohn sollte 60 Prozent des Median-Lohns entsprechen, unter Berücksichtigung von Tarifabschlüssen, aber auch anderen ökonomischen Besonderheiten wie etwa der Teuerungsrate. So steht es in der Geschäftsordnung der Kommission, die damit auch EU-Richtlinien folgt. Und dies zum ersten Mal, denn vorher gab es keinerlei harte Kriterien für eine angemessene Höhe des Mindestlohnes. Entsprechend orientierte man sich zuvor an Tarifabschlüssen als einzig greifbarem Vergleich.
Laut Sozialverbänden, aber auch progressiven Wirtschaftsforschungsinstituten müsste der Mindestlohn bereits seit einem Jahr bei über 14 Euro liegen. Diese Höhe eines „real angepassten Mindestlohns“ wurde auch wieder im vergangenen Herbst gefordert, doch zum 1. Januar stieg er lediglich von 12,41 auf 12,82 Euro, also gerade mal um 41 Cent. Begründet wurde dies auch mit dem deutlichen Sprung des Mindestlohns zwei Jahre zuvor. Im Januar 2022 wurde der Mindestlohn auf 9,82, neun Monate später dann auf zwölf Euro ab Oktober 2022 erhöht. Grund dafür waren die nach dem russischen Angriff auf die Ukraine explodierten Energiepreise. Die Inflationsrate lag damals laut Statistischem Bundesamt monatelang bei acht bis über zehn Prozent. Seit anderthalb Jahren sinkt zwar die Inflationsrate kontinuierlich (aktuell 2,1 Prozent), wobei die Teuerung zum Beispiel bei Lebensmitteln in den vergangenen Monaten weit über diesem Mittelwert liegt (2,8 Prozent laut Statistischem Bundesamt).
Dieser Umstand ist auch die Argumentationsgrundlage für einen vehementen Befürworter eines raschen Anstieges auf 15 Euro, den Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaft (DIW), Marcel Fratzscher. „Wenn die Menschen mit geringen Löhnen tatsächlich wieder mehr Geld in ihrem Portemonnaie haben, dann können sie auch mehr konsumieren, was dann wieder der Wirtschaft durch höhere Umsätze zugutekommt. Am Ende hat auch der Staat was davon, da das Steueraufkommen durch die Umsatzsteuer steigt“, so die Rechnung von DIW-Chef Fratzscher.
Dehoga: Eingriff in die Tarifautonomie
Dies löst, klar, aufseiten der Arbeitgeber vor allem Stirnrunzeln aus. Selbst ein Sprung in zwei Schritten bis 2027 von derzeit 12,82 auf 15 Euro Stundenlohn sei gerade für tarifungebundene Unternehmen nicht mehr darstellbar, so übereinstimmend die vielen Verbände der Mittelständler in Deutschland. Besonders die Landwirtschaft mit ihren Saisonarbeitern, aber auch Gastronomie und Handel warnen vor einem solchen Anstieg. Die durch die hohen Energie- und extrem verteuerten Lebensmittelpreise gebeutelten Restaurant- und Kneipenbesitzer atmen gerade erst auf, weil durch die erneute Absenkung der Mehrwertsteuer auf den wie in der Pandemie verminderten Satz von sieben Prozent weniger Steuern fällig werden. Diese Entlastung würde durch einen Sprung beim Mindestlohn im kommenden Januar sofort wieder mehr als aufgefressen, warnt der Hotel- und Gastronomieverband Dehoga in Berlin. Dass 15 Euro Mindestlohn bereits im kommenden Jahr als „erreichbar“ von Bundeskanzler Friedrich Merz genannt wurden, sieht der Dehoga als gefährlichen Eingriff in die Tarifautonomie.

Auch beim Handelsverband (HDE) schrillen die Alarmglocken. „Bei einer deutlichen Mindestlohnanhebung rechnen zwei Drittel der Händler mit negativen Auswirkungen auf die Beschäftigungszahlen und fatale Konsequenzen für ihre Unternehmen“, so der HDE in einer Stellungnahme. Am Handel hängen wiederum die Logistiker, das Transportgewerbe oder Zusteller, auch sie warnen vor einem zu üppigen Sprung bei den Mindestlöhnen ab dem kommenden Jahr. Allerdings wird dort die Rechnung etwas anders aufgemacht. Logistik-, Transport- und Zustellungsunternehmen würden weiter Aufträge bekommen. Eine massive Steigerung des Mindestlohns würde jedoch auf direktem Weg bei den Kunden landen, so ein Branchensprecher, der namentlich aber nicht die Debatte zusätzlich anheizen will.
Marten Bosselmann vom Bundesverband Paket und Expresslogistik warnt im FORUM-Gespräch dagegen ganz offen: „Ein 15-Euro-Mindestlohn würde gerade im Bereich der Sortierlogistik in den Lagern durch Automatisierung erheblich Arbeitsplätze kosten, denn dann lohnt sich die Investition in Maschinen erst recht“, so Bosselmann. Doch nicht nur die arbeitgebernahen Verbandsvertreter sehen den möglichen 15 Euro hohen Mindestlohn kritisch, auch auf Gewerkschaftsseite ist man nicht unbedingt erpicht darauf, jedenfalls nicht so schnell. Laufende Tarifverträge, viele gerade erst in den letzten zwölf Monaten nach langen Streiks teilweise mit einer Laufzeit von drei Jahren ausgehandelt, könnten bei dem höheren Mindestlohn wieder hinfällig sein.
In der Mindestlohnkommission kennen deren Vertreter die Argumente und auch die tariflichen Fallstricke, stehen zugleich aber auch unter politischem und öffentlichem Druck, mit ihrer Empfehlung spätestens am 1. Juli ein klares Signal auszusenden. Zuletzt, 2023 bis 2025, stieg der Mindestlohn langsamer als der Tariflohn. Ginge es allein nach den Arbeitgebern, könnte dies auch noch eine Weile so bleiben.