Wenn Deutschland seine Emissionen auf null bringen will, müssen technische Lösungen für die Klimakrise her. Hierzulande forschen Experten bereits daran, wie man der Atmosphäre CO2 entziehen, es speichern und sogar nutzen kann. Ein Überblick, wo wir stehen.

Der Weltklimarat IPCC, das Bundeswirtschaftsministerium und Experten sind sich einig: Ohne aktive CO2-Entnahmen werden Deutschland und die EU keine Klimaneutralität erreichen. Kurz: Der Atmosphäre muss mehr Kohlendioxid entzogen werden, als ihr hinzugefügt wird. Der Schlüssel dafür könnten neue Technologien sein. Der vor Kurzem vorgelegte Bericht „The State of Carbon Dioxide Removal (CDR)“ liefert die erste weltweite Bestandsaufnahme über die neuen Entnahmetechniken und zeigt auf, welche Maßnahmen ergriffen werden müssten, um der Atmosphäre Kohlendioxid zu entziehen und es dauerhaft zu speichern. An dem Report arbeitete unter anderem das Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) mit.
„Klima-Modellierungen zeigen, dass wir in der ersten Hälfte des Jahrhunderts alles daran setzen müssen, massiv Emissionen zu reduzieren“, sagt Dr. Sarah Lück, Wissenschaftlerin in der Arbeitsgruppe Angewandte Nachhaltigkeitsforschung am MCC in Berlin. Ab 2050 komme es darauf an, mit CDR-Technologie „aktiv CO2 aus der Atmosphäre zu ziehen“, erklärt die Forscherin. Selbst wenn die Menschheit es schafft, komplett auf fossile Brennstoffe zu verzichten, bleiben immer noch Rest-Emissionen in der Erdatmosphäre, wie etwa Methan von Kühen, Lachgas und CO2, das bei der Herstellung von Beton entsteht. „Wenn wir zu viel emittieren und es nicht schaffen, den CO2-Ausstoß schnell genug zu verringern, steuern wir auf ein sogenanntes Overshoot-Szenario zu, bei dem sich die Erderwärmung ab 2050 über 2 Grad Celsius erhöht“, erklärt Sarah Lück. Um die verheerenden Folgen eines solchen Szenarios schneller in den Griff zu bekommen, könnten CDR-Technologien zum Einsatz kommen. Fest steht: Ab 2050 muss die heute weitestgehend unbekannte Technik betriebsbereit und anwendbar sein.
54 Gigatonnen Treibhausgas jährlich

Schon jetzt werden über landbasierte Methoden wie aufgeforstete Wälder und Moore pro Jahr zwei Gigatonnen CO2 gespeichert, das entspricht fünf Prozent des gesamten CO2-Ausstoßes. Doch jedes Jahr werden auf der Erde 54 Gigatonnen, also 54.000 Milliarden Tonnen Treibhausgas ausgestoßen. In Zukunft könnten neuere technische Methoden einen wichtigen Part bei der CO2-Entnahme spielen. Beim „Direct Air Capture“-Verfahren (DAC) wird CO2 chemisch gebunden und in Form von Gas unter der Erde gespeichert. Laut der Helmholtz Klima Initiative befinden sich DAC-Anlagen auf Island und in der Schweiz, neue sind in den USA und in England geplant. Einem anderen Ansatz folgt die „Bioenergy with Carbon Capture and Storage“-Option, kurz BECCS: Biomaterial wie Holz wird verbrannt, das dabei entstehende CO2 herausgefiltert und in den Erd- oder Meeresboden gepresst. Eine dritte Methode, die sich „Enhanced Weathering“ nennt, macht sich den natürlichen Verwitterungsprozess von Gestein zunutze, um so in der Landwirtschaft CO2 zu binden. Das Unternehmen „Carbon Drawdown Initiative“ arbeitet seit zwei Jahren daran, dieses Verfahren nutzbar zu machen.
Das Projekt „Carbdown“ setzt genau da an: Gemahlener Basalt, sogenanntes Eifelgold, soll zusammen mit Biokohle auf Agrarflächen ausgestreut werden, um durch den Prozess der „beschleunigten Verwitterung“ CO2 aus der Luft zu binden. „Carbdown bedeutet nicht, dass CO2 in tiefer gelegenen Gesteinsschichten gespeichert wird, sondern aus der Luft über natürliche Verwitterungsprozesse in unbedenklichen Carbonaten gebunden wird und in den Wasserkreislauf gelangt“, erklärt Jens Hammes, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei „Carbdown“. Damit das Gestein schneller als natürlicherweise verwittern kann, wird es gemahlen und so die reaktive Oberfläche erhöht. Das Ausbringen des Basaltpulvers auf den Acker hat möglicherweise den Vorteil, dass der pH-Wert des Bodens angehoben wird. Zumindest trifft dieser Effekt auf manche Böden zu.
Aktuell sind in Fürth, in der Nähe von Nürnberg, drei Experimente im Gange. Auf einem Ackerfeld begann alles. Dort wird seit mehr als einem Jahr mit elektronischen Sensoren gemessen, wie langsam sich vier Kilo gemahlenes Basaltgestein auflösen und mit CO2 auf einem Quadratmeter Acker reagiert. Dabei will man messen, wie sich die chemischen Produkte, die bei der Reaktion entstehen, auf den beschleunigten Verwitterungsprozess im Boden und Wasser auswirken. Der zweite laufende Feldversuch nennt sich „XXL Lysimeter“. In einem Gefäß wird durch ein Gitter und Bierkästen im unteren Teil die Erde vom Sickerwasser getrennt. Das Regenwasser fließt durch die Bodenprobe und wird unten in einem Tank aufgefangen. „Die Herausforderung, vor der wir stehen, ist, einen Weg zu finden, wie wir verlässlich sagen können, wie schnell Gestein verwittert und wie viel CO2der Boden aufnehmen kann“, sagt Hammes. In naher Zukunft sollen Landwirtinnen und Landwirte wissen, wie viel Basalt sie einsetzen müssen und wie viel CO2 ihr Boden potenziell binden kann. Im nächsten Schritt könnten Agrarwirte für die Entnahmen mit CO2-Zertifikaten honoriert werden.
„Technologien stecken noch in Kinderschuhen“

Seit Januar läuft ein weltweit einmaliges Projekt in einem Gewächshaus, wo in zwei Gefäßen verschiedene Erdproben – mal unbehandelt, mal mit in der Natur vorkommendem Gestein wie Diabas, Dunit und Basalt – untersucht werden. Entscheidend: Die Temperatur ist ein Faktor bei der chemischen Reaktion, die entweder die Verwitterung verlangsamen oder beschleunigen kann. „Uns geht es darum, alle möglichen Chancen zu nutzen, um den Prozess der Verwitterung methodisch schnell messbar zu machen“, erläutert der Geochemiker und Hydrogeologe. Für erste Erkenntnisse sei es noch zu früh, doch in ein bis zwei Jahren könne man mehr sagen.
„Diese Technologien stecken noch mehr oder weniger in den Kinderschuhen“, resümiert Nachhaltigkeitsforscherin Lück. Bis jetzt entnehmen sie einer Schätzung zufolge 0,002 Gigatonnen CO2 pro Jahr. Den Löwenanteil der Entnahmen leisten BECCS-Anlagen, die etwa in den USA und in Schweden stehen. Um die Lücke zu schließen, schreiben die Autoren des Reports, müssten die neuen CDR-Methoden bis 2020 um den Faktor 30 ansteigen und bis 2050 um den Faktor 1.300. Die Gesamtzahl der BECCS-Anlagen könnte nach einer geschätzten Prognose bis 2030 zwischen 0,03 und 0,208 Gigatonnen Treibhausgase entnehmen und speichern. Wenn die Industrie die CDR-Technologie in großem Stil anwenden will, sollten Anreize gesetzt werden. „Man könnte zum Beispiel einen CO2-Preis pro entnommener Tonne Kohlendioxid einführen und etwa auch die Forschung gezielt fördern“, sagt die MCC-Wissenschaftlerin Sarah Lück.
CDR-Anlagen sind hierzulande nach Auskunft des Bundesministeriums für Klimaschutz nicht in Betrieb. Inwieweit diese entwickelt und hergestellt werden sollen, soll unter anderem im Zuge einer Carbon-Management-Strategie geklärt werden. Ende März trafen sich erstmals Vertreter von über 50 Institutionen, darunter Branchen- und Umweltverbände wie Nabu, BUND, Fridays for Future und Greenpeace, um über den möglichen Einsatz von Carbon Capture Storage (CCS) und Carbon Capture and Utilization (CCU) zu diskutieren. Während CCS das Speichern von CO2 unter der Erde, entweder an Land oder im Meeresuntergrund, meint, bezeichnet man als CCU, wenn Kohlenstoffverbindungen abgetrennt, transportiert und danach genutzt werden. Gebraucht wird Kohlenstoff unter anderem in der Getränkeindustrie und in Feuerlöschern. Auch bei der Synthese von Chemikalien und bei Produkten der chemischen Industrie und von Endenergieträgern kann er genutzt werden.
Am Zentrum für Umweltforschung und nachhaltige Technologien in Bremen hat ein Team aus Elektrochemikern und Biologen ein Verfahren entwickelt, mithilfe dessen grüne Chemikalien für die Industrie gewonnen werden können. Das Expertenteam um den Diplom-Ingenieur Ingmar Bösing ist allerdings noch weit davon entfernt, synthetische Kraftstoffe herzustellen. „Diese Technologie alleine wird nicht die Klimakrise bekämpfen können“, sagt Bösing. Immerhin sei das Projekt „Reducto“ ein „wichtiger Baustein in dem großen Konstrukt der Technologie“.
Forschung finanziell und ideell unterstützen
Die Idee ist, CO2 aus der Umgebungsluft zu binden und zu synthetischen Kraftstoffen umzuwandeln. Doch was geschieht konkret in dem Projekt? In einem zehn mal zehn Zentimeter großen Würfel reagieren Enzyme mit CO2 und stellen am Ende eine Chemikalie her. Um das zu schaffen, braucht das Enzym einen Treibstoff, den sogenannten Cofaktor. Als solcher dient NADH, das sich aber nicht vollständig auflöst – es bleibt das Restprodukt NAD+ übrig. „Dem NAD+ fehlen zwei Elektronen und ein Wasserstoffatom“, erklärt Bösing. Und hier kommt die Elektrochemie ins Spiel: Durch den Einbau einer Elektrode in die chemische Lösung kann der ursprüngliche Cofaktor NADH zurückgewonnen werden. „Damit schließt sich der Kreislauf. Die Enzyme bauen das CO2 ab und verbrauchen dadurch NADH. Wenn wir eine geringe Spannung von ein bis zwei Volt anlegen, schaffen wir es, das NADH zu erneuern“, erzählt Bösing. Das Fazit: „Leider können wir nach drei Jahren Grundlagenforschung nicht sagen, dass die Technologie reif zur Anwendung ist.“ Immerhin ist klar, dass die Enzyme PEPC und MDH in der Lage sind, schnell CO2 abzubauen. Die Rückgewinnungsrate für die Chemikalie NADH liegt bei 99 Prozent. Jetzt besteht die Herausforderung darin, den Kreislauf über Wochen stabil zu halten, denn sowohl die Kosten für NADH als auch für die Enzyme sind hoch.

Nachdem das über einen EU-Fonds finanzierte „Reducto“-Projekt ausgelaufen ist, forscht man nun weiter in Richtung praktischer Anwendung. Wesentlich komplexer ist die Umwandlung von CO2 in synthetische Kraftstoffe wie Methanol. „Es hat sich gezeigt, dass die Enzyme, die wir getestet haben, nicht dafür geeignet sind“, sagt der Elektrochemiker Bösing. Ausschließen könne er aber nicht, dass sich dafür irgendwann ein passendes Enzymsystem finden ließe. Trotzdem sind er und seine Kollegen noch lange nicht soweit, mit dem Verfahren E-Fuels herstellen zu können. Statt E-Fuels also bisher nur Green Chemicals. Es sei möglich, sagt Bösing, die grünen Chemikalien in der Industrie anzuwenden. Allerdings: CO2 kann mit dem Verfahren zwar aus der Luft gebunden werden, doch Carbon Capture Storage ist nicht möglich. Bis die ersten Technologien anwendungsreif sind, wird es wohl noch Jahre dauern. Damit auf diesem Gebiet weiter intensiv geforscht werden kann, müssen Politik und Wirtschaft die Aktivitäten finanziell und ideell unterstützen.