Seit dem Pokalsieg 2015 sucht Fußball-Bundesligist VfL Wolfsburg Erfolg und Konstanz. Eine richtig erfolgreiche und zwei relativ erfolgreiche Spielzeiten gab es seitdem. Ansonsten: viel Frust, viele Trainer, viel Stillstand. Ein „Bademantel-Trainer“ soll nun den Durchbruch schaffen.

Versucht haben sie viel beim VfL Wolfsburg im letzten Jahrzehnt. 2015 schienen dem VW-Club goldene Jahre bevorzustehen. Mit Trainer Dieter Hecking holten die Wölfe im DFB-Pokal den zweiten Titel ihrer Vereinsgeschichte nach der Sensations-Meisterschaft 2009. Ein Team um Stars wie Kevin De Bruyne, André Schürrle, Naldo, Luiz Gustavo und Ivan Perisic hatte im Pokalfinale von Berlin Borussia Dortmund trotz eines frühen Rückstands verdient mit 3:1 bezwungen. Und somit Jürgen Klopp das letzte Spiel als BVB-Trainer verdorben.
Einst viele große Namen unter Vertrag
Über Wolfsburg schrieb die „Süddeutsche Zeitung“ damals bewundernd, es sei eine „Mentalitätsmannschaft, die sehr zum Missvergnügen der Rivalen bisher keines jener Merkmale erkennen lässt, dass man Werksteams gerne nachsagt.“ Stichwort „Komfortzone“. Und die „dank Heckings Art und De Bruynes Klasse so intakt wirkt, dass sie offenbar auch mit Schicksalsschlägen wie dem Unfalltod des beliebten Mittelfeldspielers Junior Malanda umgehen kann“.
Manager Klaus Allofs hatte damals Geschichte geschrieben. Als Erster gewann er den Pokal mit vier verschiedenen Vereinen, zum siebten Mal insgesamt, und stufte das Erlebnis mit dem VfL trotzdem „ganz oben“ ein. Vizemeister waren die Wolfsburger zuvor auch schon geworden. Und so empfingen sie am nächsten Tag für VfL-Verhältnisse extrem beachtliche 30.000 Fans mit einem Autokorso. Die Wolfsburger schienen nicht nur eine extrem vielversprechende Mannschaft und gute Baumeister zu haben, sondern endlich auch richtige Fußball-Euphorie geweckt zu haben. „Man hat uns belächelt, weil wir dienstagsabends mit 157 Fans zum Auswärtsspiel nach Frankfurt gefahren sind“, sagte Hecking: „Heute haben alle gesehen, wie gut wir feiern können.“
Perisic und vor allem der dann bei Manchester City endgültig zum Weltstar aufgestiegene De Bruyne gingen. Doch mit Weltmeister Julian Draxler, Ex-Bayern-Verteidiger Dante und Nationalspieler Max Kruse schien das Erfolgs-Team gebührend verstärkt worden zu sein. Doch dann lief irgendwie fast alles schief. Als Achter verpassten die Wolfsburger in der kommenden Saison die Europacup-Qualifikation. Als Highlight blieb die Champions League, wo Wolfsburg bis ins Viertelfinale vorstieß, das Hinspiel dann sogar 2:0 gegen Real Madrid gewann und in Spanien durch ein 0:3 doch noch ausschied. Vielleicht war ausgerechnet dieses Highlight der erste entscheidende Dolchstoß.
Draxler, Dante und Kruse gingen direkt wieder oder mussten gehen, von den Neuzugängen, von denen immerhin fünf eine zweistellige Millionensumme gekostet hatten, schlug keiner richtig ein. Nach sieben Spieltagen wurde Hecking auf Platz 14 liegend beurlaubt, drei weitere Monate später ging auch Allofs. Hecking-Nachfolger Valerien Ismael verlor von 15 Bundesliga-Spielen neun und musste im Februar wieder gehen. Der ihm folgende Andries Jonker holte in zwölf Spielen auch nur vier Siege. So musste Wolfsburg zwei Jahre nach Vizemeisterschaft und Pokal-Triumph in die Relegation, die mit zwei 1:0-Siegen gegen den Nachbarn Eintracht Braunschweig überstanden wurde.
Persönliche Differenzen

Gerade noch mal gutgegangen, dachten viele. Doch das war kein Ausrutscher. Denn in der darauffolgenden Saison musste der VfL tatsächlich wieder in die Entscheidungsspiele. Wieder hatte man drei Trainer benötigt. Jonker war schon im September geflogen, der ehemalige Mainzer Martin Schmidt nach drei Siegen in 19 Liga-Spielen im Februar. Es kam Bruno Labbadia. Auch der hatte mit einem Sieg aus den ersten zehn Spielen zunächst eine desaströse Bilanz. Mit dem zweiten Sieg, einem 4:1 gegen die bereits abgestiegenen Kölner, rettete er sich und den VfL aber in die Relegation. Wo zwei weitere Siege gegen Holstein Kiel (3:1 und 1:0) die erneute Rettung bedeuteten. „Das war der schwierigste Job, den ich bis jetzt im Fußball hatte“, sagte Labbadia.
Im Sommer kam dann Jörg Schmadtke als neuer Sportchef. Und die Wolfsburger starteten wieder durch bis auf Platz sechs und in den Europacup. Das Problem: Labbadia und Schmadtke konnten nicht miteinander. Also musste der Trainer im Sommer 2019 gehen. Er habe mit dem Trainer „ein arbeitsbezogenes Verhältnis“, hatte Schmadtke schon während der Saison gesagt. Er werde mit Labbadia „keine Kochrezepte austauschen oder einen gemeinsamen Urlaub planen. Manchmal stimmt die Chemie einfach nicht“. Mehr habe sich „einfach nicht entwickelt“.
Mit dem damals in Deutschland noch größtenteils unbekannten Österreicher Oliver Glasner – danach Europa-League-Sieger mit Eintracht Frankfurt und kürzlich englischer Pokalsieger mit Crystal Palace – landete Schmadtke dann sportlich einen absoluten Glückstreffer als Trainer. Nach Platz sieben in der ersten Saison wurde Wolfsburg im zweiten Jahr unter Glasner Vierter und erreichte das erste und einzige Mal nach 2015 die Champions League. Doch auch zwischen ihm und Schmadtke stimmte die Chemie nicht. Die Reibung sorgte eine ganze Weile für Erfolg, am Ende trennte man sich aber doch. In den vier Jahren nach Glasner arbeiteten sich dann vier Trainer am VfL ab. Mit Ex-Bayern-Star Mark van Bommel, Florian Kohfeldt, dem heutigen BVB-Erfolgstrainer Niko Kovac und dem früheren Leipzig- und Premier-League-Trainer Ralph Hasenhüttl durchaus namhafte. Doch vom Fleck kamen die Niedersachsen nicht. 12, 8, 12 und 11 hießen die Platzierungen am Saisonende. Zum vierten Mal in Folge ist der VfL nicht international vertreten. Im Pokal erreichte er seit dem Triumph 2015 nie wieder das Halbfinale.

Also steht im Sommer wieder ein Neuanfang an. Wobei der dänische Sportchef Peter Christiansen diesen schon im vergangenen Sommer vollzogen haben will. Insider bescheinigen ihm und seiner rechten Hand Sebastian Schindzielorz tatsächlich gute Arbeit, die sich aber bisher noch nicht ausgezahlt hat. In dem 40 Jahre alten Belgier Paul Simonis hat Christiansen sich für einen jungen und international noch kaum bekannten Trainer entschieden. Und geht es nach der „Wolfsburger Allgemeinen Zeitung“ muss das der Weg sein, auch bei den Spielern. Man dürfe eben nicht immer nur nach Namen kaufen, hieß es dort in einem Kommentar. „Es dürfen für die neue Spielzeit auch zwei, drei Neue dabei sein, die in der vergangenen Saison etwa in der 2. Liga für Furore gesorgt haben – Spieler, für die ein Wechsel zum VfL keine Selbstverständlichkeit wäre. Spieler, für die Partien wie gegen Heidenheim, Hoffenheim oder Augsburg Highlights sind. In jüngster Vergangenheit kam immer wieder der Eindruck auf, dass der VfL eben zu wenig Spieler von dieser Sorte in seinem Aufgebot hat.“
Niederländische Tradition
Aber ist es so einfach? Simonis jedenfalls gilt als ambitionierter und leidenschaftlicher Coach. Der im Mai für eine der größten Überraschungen der Saison im internationalen Fußball gesorgt hat. Mit den Go Ahead Eagles aus Deventer, einer 100.000-Einwohner-Stadt rund 100 Kilometer östlich von Amsterdam, hat er den niederländischen Pokal gewonnen. Als großer Außenseiter gegen AZ Alkmaar. Zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte. Für Deventer, vor dem Zweiten Weltkrieg eine große Nummer im Nachbarland, war es der erste Titel seit der letzten von vier Meisterschaften vor 92 Jahren.

Und so hatte Simonis bei der Verkündung seines Wechsels schnell seinen Namen weg. Die „Bild“ begrüßte ihn nämlich als „Bademantel“-Trainer. Doch hat nicht Simonis persönlich eine entsprechende Vorliebe, das den Artikel begleitende Bild im grünen Frotteemantel war einer niederländischen Tradition zu verdanken. Dort hatten die Pokalsieger seit 1912 erst einmal Bademantel überreicht bekommen, um sich bei den anschließenden Reden vom Verbandspräsidenten bis zum Bürgermeister nicht zu erkälten. Mit Einführung des Profi-Fußballs 1954 verschwand die Tradition nach und nach. Ehe sie die Biermarke „Amstel“ als Titelsponsor 1995 wieder einführte. Entsprechend der Marken-Farben Rot und Weiß erhielten die Sieger rote Bademäntel, die Verlierer weiße. Nach dem Ausstieg der Biermarke 2005 hatte sich die Tradition wieder verselbstständigt. Deventer bekam nach dem Sieg nun aber grüne Mäntel, weil der neue Namenssponsor, Wettanbieter „Toto“, Grün als Markenfarbe führt.
So wurde Simonis vielen Fans mit einem Foto im grünen Bademantel in Wolfsburg eingeführt. Immerhin auch eine der beiden Vereinsfarben des VfL, wenn auch in einem deutlich helleren Ton. Viel wichtiger aber: Auf dem Foto hält er als Sehnsuchts-Objekt einen Pokal in der Hand. So wie der VfL zuletzt 2015. Bevor ein wechselhaftes und enttäuschendes Jahrzehnt begann.