Die Australian Open gehen mit künftig 15 Tagen in die Verlängerung. Gewichtige Ballwechsel stehen vom 14. bis zum 28. Januar auch um die Trio-Thronfolge im Tennis an: Carlos Alcaraz, Jannik Sinner und Holger Rune sind die Favoriten auf den Titel der nächsten „Big Three“.

Gleich zum Jahresauftakt ist Boris Beckers Mental-Trainer-Erfahrung gefragt. Sein neuer Schützling Holger Rune träumt davon, im ersten Grand-Slam-Finale des Jahres Novak Djoković zu schlagen: den Mann, der als einziger zehnmal den Pokal beim „Happy Slam“ in Melbourne Richtung Himmel stemmte. Dabei soll es bleiben: Der 20-jährige Däne Rune verriet dem portugiesischen Onlineportal „Bola Amarela“ seine Lust, dem Titelverteidiger diesmal keinen weiteren Australian-Open-Sieg zu gönnen.
Djoković kämpft als letzter der „Großen Drei“ (Roger Federer, Rafael Nadal, Djoković) unerbittlich darum, seinen Ruhm immer noch weiter zu mehren. Doch der Serbe weiß, dass ihm die drei Anfang-Zwanziger, Rune, Sinner und Alcaraz, zunehmend gefährlich werden: „Du bist ein hart arbeitender Typ, der Tennis liebt und viele Stunden Arbeit investiert“, sagte Djoković bei den ATP-Finals im November in Turin zu dem Kopenhagener. „Du und dein Team haben eine große Zukunft.“ Noch siegt der 24-fache Grand-Slam-Gewinner selbst ein ums andere Mal. Aber nicht immer. Deshalb befand auch er: „Die Generation von Alcaraz, Rune und Sinner ist sehr stark. Es sind wahrscheinlich diese drei Spieler, die diesen Sport in der Zukunft, aber auch in der Gegenwart tragen werden.“

Für das erfolgreiche Trio sind hochgesteckte Ziele ganz selbstverständlich und ihr Antrieb. Mit dieser Haltung arbeitete sich Rune, seit er 2022 und 2023 die BMW Open in München gewann, geradlinig bis auf Platz vier der besten Spieler der Welt hoch. Dann kam eine kleine Delle in der Erfolgsleiter. Doch in seinem dritten Jahr beim „Happy Slam“ will der 20-Jährige sogar die Alt-Erfahrenen aus dem Turnier werfen.
Damit er seine jugendliche Angriffslust auch in Match-entscheidenden Momenten positiv nutzt, hat Rune, wie einst Djoković, jetzt Boris Becker als Coach fürs Mentale an seiner Seite. Im Eurosport-Podcast „Das Gelbe vom Ball“ mit Mathias Stach sprach sich der sechsfache Grand-Slam-Sieger gegen ein Tempolimit seines Lehrlings im Wettstreit aus: „Die Power, die er hat, die er im Training und manchmal auch im Match zeigt, muss konstant da sein, denn dann spielt er schneller als 98 Prozent aller Spieler.“
Power „muss konstant da sein“

Mit zwei Trainern, auf die er abwechselnd hört, hat sich Jannik Sinner in der vergangenen Saison bis auf Platz vier der Weltrangliste vorgearbeitet. Der Südtiroler hatte Djoković bei den ATP-Finals in der Gruppenphase besiegt. Als die beiden eine weitere Partie ausfochten, das Endspiel, bei dem es um den Weltmeistertitel ging, kostete der Respekt vor dem Serben, der so lange wie noch kein anderer die Weltrangliste anführt, den 22-Jährigen den Sieg. Sinner lernte aus dieser Klatsche. Ein paar Tage danach wehrte der Mann aus Innichen drei Matchbälle gegen den 36-Jährigen ab und gewann. Dieser Mentalstärke-Bumerang an „Nole“ war die Vorlage dazu, dass Italien erstmals seit 47 Jahren den Davis Cup gewann.
Kein Einzelfall: 2023 stieg Sinner zum zweitbesten Spieler in kritischen Situationen auf. Er zieht sein Tennis immer häufiger geradlinig durch. Egal, um welche Entscheidung es gerade geht. Südtirolerisch ruhig und geerdet, aber gefährlich für seinen Gegner. Der 22-Jährige, der sein erstes Masters in Toronto gewann, weiß, wie wichtig es ist, gelassen zu bleiben. „Besonders in der zweiten Hälfte war ich mental viel, viel stärker. Ich habe mich auf dem Platz nicht mehr so sehr beschwert, wenn etwas schiefgelaufen ist“, analysierte er seinen Sieg über den „Djoker“ beim Davis Cup in Malaga.
„Das ist die Grundlage für den nächsten großen Schritt – und der muss sein, um bei einem Grand-Slam-Turnier ins Halbfinale oder Finale zu kommen und es vielleicht sogar zu gewinnen“, sagte Becker beim Eurosport-Podcast über den Südtiroler. Was der Kommentator und Coach, der selbst mit 17 Jahren Wimbledon gewann, nicht erwähnt: Beim englischen Rasen-Grand-Slam erreichte Sinner bereits das Halbfinale. Becker war bekanntlich 2023 nicht vor Ort. Vielleicht hat er deshalb Sinners Fast-Einzug ins Endspiel übersehen.

Becker sieht lediglich bei Alcaraz, dem dritten Mann im jungen Star-Trio, keine Verbesserungen. Ebenfalls beim Eurosport-Podcast kritisierte die deutsche Tennislegende den Spanier, der schon als Teenie zur Nummer eins der Welt avancierte – obwohl Alcaraz mit seinem Sieg über Djoković 2023 in Wimbledon die Grand-Slam-Siegesserie der vielleicht nächsten „Großen Drei“ bereits gestartet hat. Djoković selbst sagt über den 20-jährigen Spanier: „Er ist einer der komplettesten Spieler, die ich je gesehen habe.“
Um dem Glück auf die Sprünge zu helfen, geht man am besten erholt und gelassen zum ersten Grand Slam des Jahres in Melbourne. So wie es einst Angelique Kerber handhabte, bevor sie beim „Happy Slam“ ihren ersten Riesen-Titel holte.
Doch es lockt immer mehr Lametta rund um den Jahreswechsel. Die Nummer eins der Damen, Iga Swiatek, sowie fünf der Top Ten der Herren feierten Weihnachten diesmal beim Show-Event „World Tennis League 2023“, vom 21. bis zum 24. Dezember in Abu Dhabi. Doch ohne Alcaraz, Sinner und Rune. Aber mit Stefanos Tsitsipas und Daniel Medvedev. Auch Aryna Sabalenka, Titelverteidigerin bei den Australian Open, folgte vor ihrem Flug nach Down Under der Einladung nach Abu Dhabi.
Dominic Thiem beschäftigen hingegen Zulassungszahlen, keine Zusatzverdienste. Der US-Open-Sieger rangiert auf Position 98 für Melbourne. Doch nur die Spieler bis Rang 97 haben ihren Platz im Hauptfeld sicher. Weil dieses Jahr so viele Ausnahme-Tickets in Australien vergeben werden.
Caroline Wozniacki mit Wildcard

Eine Wildcard geht beispielsweise an die dänische Rückkehrerin und frühere Weltranglisten-Erste Caroline Wozniacki. Eine liegt für Lokalmatador Nick Kyrgios bereit. Viele Stars, die ein geschütztes Ranking haben, bekommen nach ihrer Rückkehr gute Startplätze. Dazu gehören Angie Kerber, die beste deutsche Spielerin seit Steffi Graf, nach 18-monatiger Babypause. Und Rafael Nadal, der sich jüngst auf X, dem vormaligen Twitter, auf Spanisch über seine inneren Kämpfe mit seiner mentalen Einstellung ausließ. Der Mann, dem es Rückhalt gibt, wenn er während eines Matches seine Flaschen in vertrauter Weise aufstellt, versucht, „in unerforschtem Gebiet“ zurechtzukommen – nämlich dem, gegen seinen lebenslänglich trainierten Automatismus anzukämpfen, das Maximum von sich zu fordern. Nadal, der als erster Tennisspieler der Welt 22 Grand-Slam-Titel erfocht, sagt jetzt, nach einem Jahr Auszeit wegen seines überstrapazierten und verletzten Körpers: „Ich erwarte von mir, dass ich nichts erwarte.“
Anders denkt Jan-Lennard Struff. Auch ihn warf eine Hüftverletzung aus der Tour. Wimbledon und US Open fanden ohne den zweitbesten deutschen Spieler statt. Beim letzten Turnier der Saison in Sofia zog „Struffi“ ins Halbfinale ein. Der 33-Jährige aus Warstein ist wieder da und will noch mehr erreichen. Dabei sein beim ersten Grand Slam des Jahres prägt die Saison. Wie für andere deutsche Herren, zu denen Alexander Zverev, Yannick Hanfmann, Daniel Altmaier, Dominik Koepfer und Maximilian Marterer laut Teilnehmerliste fürs Hauptfeld gehören. Sofern die Körper mitspielen.
Tamara Korpatsch, Doppel-Weltmeisterin Laura Siegemund und Tatjana Maria sind neben Kerber auf der „Entry List“ notiert. Andere deutsche Damen wie Anna-Lena Friedsam, Eva Lys, Jule Niemeier, Noma Noha Akugue und Ella Seidel müssen sich in der Qualifikation noch durchbeißen. Und cool bleiben. Denn auch sie sind fokussiert darauf, bei den Australian Open weiterzukommen.
Harte Night Sessions stehen an

Das ist nicht einfach. Denn heiß ist es im australischen Sommer am Jahresanfang. Und die Nächte sind lang und heftig für die Spieler. Die Night Sessions auf Hartplatz beginnen spät und enden erst früh morgens. So wie die Partie zwischen Sir Andy Murray und Thanasi Kokkinakis, also einer Legende des Sports aus Großbritannien und einem Australier, den das heimische Publikum feierte. Bis zum Match-Ende nach 5:45 Stunden Spielzeit, um 4.05 Uhr morgens. Dann allerdings nur noch mit den letzten im Stadion verbliebenen Fans.
Kein Einzelfall: Auch die Frauen spielen immer länger. Obwohl sie maximal drei Sätze austragen, nicht bis zu fünf, wie es den Männern nach Grand-Slam-Reglement in jeder Runde passieren kann.
Murray hatte im Januar 2023 nach seinem späten beziehungsweise frühen Sieg über Kokkinakis eine Turnierverlängerung gefordert: „Wenn man das täte, könnte man auch die Night Session etwas früher ansetzen. Diese paar Stunden können für die Spieler einen großen Unterschied machen.“

Besonders wenn sie im Kopf-an-Kopf-Wettkampf mal wieder kein Ende finden, bis zwei oder drei Gewinnsätze entschieden sind. Den Turnierorganisatoren zufolge haben Datenauswertungen insgesamt längere Spielzeiten der superfitten Profis ergeben. Deshalb verkündete Turnierdirektor Craig Tiley im Oktober einen zusätzlichen Tag zu Beginn des Happy Slams und erklärte dies so: Sehr späte Entscheidungen seien mit der neuen Lösung minimalisiert. „Vom zusätzlichen Tag profitieren bei den Spielansetzungen die Spieler und die Fans.“ Entspannter wird es besonders in der ersten Runde, die von zwei auf drei Tage erweitert worden ist, weil anfangs so viele Partien ausgetragen werden. Das heißt, die Spiele können von nun an gemütlich beginnen beim „Happy Slam“, mit der bekannten freundlichen Atmosphäre. Einen Tag früher als bislang gewohnt. Und für den einen oder anderen deshalb mit einer besseren Chance auf eine Extraportion Tennisglück.