Die Polizei im Saarland steht vor Reformen. Die Flüchtlingssituation ist weiter eine große Herausforderung. Es sind nur zwei der großen Baustellen, die Innen-, Bau- und Sportminister Reinhold Jost in seinem ersten Amtsjahr gefordert haben.
Herr Jost, Sie sind vor einem Jahr vom Umwelt- ins Innenministerium gewechselt. Wie fällt Ihre erste Bilanz aus?
Es geht hier um sehr viele konfliktträchtige Themen. Gestern war Bienchen und Blümchen, Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Gewässerschutz und ländlicher Raum. Heute ist Polizei, Migration, Kommunalfinanzen, die Themenbereiche Bauen und Sport – alles wunderbare Themen, die aber wesentlich konfliktträchtiger sind, als es an der ein oder anderen Stelle so scheint. Meine Feuertaufe hatte ich knapp vier Wochen nach Amtsantritt, als ein SEK-Kollege in Klarenthal angeschossen wurde. Da ist mir noch mal klar geworden, für was alles man in diesem Amt in der Verantwortung steht. Wir haben große Herausforderungen übernommen, die teilweise schon in der Abarbeitung waren, zum Beispiel Neubauten und Ertüchtigungen in der Landesaufnahmestelle in Lebach. Wir haben in der Sportförderung ein gutes Fundament, auf dem ich aufbauen kann, aber der Feind des Guten ist bekanntlich das Bessere. Deswegen haben wir da noch mal eine Schippe draufgelegt, auch wegen Olympia (in Paris 2024), was wir als ganz große Chance betrachten. Wir wollen aus Olympia und den Paralympischen Spielen in Paris möglichst viel machen. Wir haben auch den Anspruch, uns für die Special Olympics 2026 als Austragungsort zu bewerben, die nationalen Spiele für Menschen mit geistigen Behinderungen.
Bei der Polizei stehen einmal mehr Reformen an. Was wird sich ändern?
Wir haben seit Jahrzehnten jetzt die Möglichkeit, wieder mehr Polizei in der Fläche zu haben. Wir haben in diesem Jahr 130 Neueinstellungen. Dieses Jahr wurden bereits mehr eingestellt, als in Pension gegangen sind. Damit können wir die Belastungen etwas abbauen in Inspektionen, auch bei der Bereitschaftspolizei oder der Kriminalpolizei, wo es teilweise Leute gibt, die nicht aus den Stiefeln rauskamen und kein planbares Wochenende hatten. Wir wollen das nach zehn Jahren neu organisieren auf der Basis einer Potenzialanalyse. Die alte Struktur beruht auf falschen Annahmen, die ein Wirtschaftsprüfungsunternehmen getroffen hat. Die haben gesagt: Das Saarland wird älter und es werden immer weniger Einwohner, deswegen wird es auch weniger Kriminalität geben. Das ist nicht ganz so gekommen. Die Kriminalitätsrate ist nach oben gegangen, es gibt neue Kriminalitätsformen, die sich in einem Ausmaß entwickelt haben, die wir nie für möglich gehalten haben, zum Beispiel Kinderpornografie, das Übelste, was man sich vorstellen kann. Es gibt neue Deliktsfelder wie Cyberkriminalität oder Enkeltrickbetrüger, Abzocke über Whatsapp und andere soziale Medien. Da muss man bei der Polizei überall nachsteuern, beim Personal, in der Organisation, aber auch bei der Technik.
Die jüngste Kriminalitätsstatistik hat noch einmal einen Anstieg der Angriffe gegen Polizisten gezeigt. Wie kann man dem begegnen? Einige fordern ja schärfere Gesetze.
Wir brauchen keine schärferen Gesetze, wir brauchen eine restriktive Anwendung des geltenden Rechts. Wir müssen stringent und konsequent handeln. Wer die Hand hebt gegen einen, der die Einhaltung der Gesetze und der Regeln in diesem Land zur Aufgabe hat, der hebt sie gegen den gesamten Staat und die Gesellschaft. Der muss wissen, dass er die ganze Härte des Gesetzes gegen sich hat. Ich sage bewusst, man muss das polizeiliche Handeln, das gesamte staatliche Handeln immer wieder überprüfen, man muss sich kritisieren und hinterfragen lassen, keine Frage. Aber verbal oder gar körperlich, das geht gar nicht. Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, wenn Kolleginnen und Kollegen beschimpft, bespuckt, getreten oder anders körperlich angegangen werden. Das geht nicht, und das wird konsequent geahndet. Da werden wir sehr konsequent handeln und jeden zur Rechenschaft ziehen.
Die Polizei sieht sich mit zunehmend neuen Aufgaben und Entwicklungen konfrontiert. Wie reagieren Sie darauf?
Die Polizei macht einen ausgezeichneten Job, die Aufklärungsquote ist noch mal gestiegen. Wir werden aber auch sehen, dass wir jetzt wieder stärker in die Prävention kommen. Die Kampagne „Enkeltrick und Co – nicht mit uns“ ist ein Beispiel, das gilt auch für die Verkehrssicherheit, wo wir stärker in die Prävention und Information gehen wollen. Es geht aber auch darum, dass wir mit Präsenz der saarländischen Polizei das Sicherheitsgefühl erhöhen. Eine weitere große Baustelle ist Kriminalität im Netz. Auch dort wird es in den nächsten Jahren einen Personalaufbau geben, sowohl mit Menschen, die wir selbst ausbilden, als auch durch Einstellungen von außen, Cyberkriminalisten oder Wirtschaftskriminalisten.
Das Thema Nachwuchsgewinnung wird ebenfalls zunehmend eine Herausforderung. Wie soll das gehen, wenn zugleich Personal aufgebaut werden soll?
Wir haben mit der FOS Polizei einen ganz neuen Weg gewählt, wo Menschen in zwei Jahren das Fachabitur machen können, Plätze für 50 Kolleginnen und Kollegen, die, wenn sie das Fachabitur mit einem bestimmten Durchschnitt machen und sonst die Voraussetzungen erfüllen, praktisch eine Einstellungszusage haben. Was uns gelingen muss, sind drei Sachen: diejenigen, die in der Ausbildung sind, auch zum Abschluss zu bringen. Ich sage: Ich will weniger Verbrecher – und weniger Abbrecher. Man kann nicht verhindern, dass es den ein oder anderen Abbrecher gibt, aus welchen Gründen auch immer, aber man kann sicherlich im Vorfeld schon einiges besser steuern. Ich sehe neben der Fachoberschulausbildung, die wir jetzt machen, auch eine Chance, andere Menschen für die Arbeit bei der Polizei zu gewinnen. Es gibt viele, die gar nicht wissen, dass sie das auch ohne Abitur machen können. Das Zweite ist: Wir müssen schneller und professioneller werden bei den Einstellungszusagen. In diesem Jahr ist es gelungen, damit schneller zu sein. Früher war das oft erst im August der Fall, jetzt haben wir es bereits im März geschafft. Das dritte sind die Rahmenbedingungen. Das hat auch etwas mit Besoldung zu tun, es geht aber auch um bessere Planungssicherheit bei Beruf und Privatleben. Deshalb ist auch die Strukturanalyse so wichtig.
Was steht da genau drin?
Wir wollen Doppel- und Mehrfachzuständigkeiten abbauen. Wir wollen schlankere Strukturen, den Wasserkopf verkleinern und so mehr Personal in die Fläche bringen. Wir schätzen, dass wir 30 bis 50 Kolleginnen und Kollegen dann dort einsetzen können, wo Not am Mann ist. Das wird an einigen Stellen mit Zentralisierung, an anderen mit mehr Dezentralisierung einhergehen. Klar ist: Es wird keine Dienststelle geschlossen, es wird auch keine herabgestuft. Es wird auch bei der Bereitschaftspolizei eine Stärkung geben. Wie es genau aussieht, werden wir in wenigen Wochen sehen, wenn der Abschlussbericht vorliegt. Die Ziele sind aber klar. Dazu gehört, dass wir jeder Inspektion einen Kriminalermittlungsdienst zuordnen, nicht nur wie jetzt in neun von zwölf. Wir werden uns auch bei Themen, die in den letzten Jahren dazu gekommen sind, stärker aufstellen, Cyberkriminalität oder Vermögensdelikte habe ich schon genannt. Ich kann mir auch vorstellen, dass wir Schluss machen mit zwei getrennten Bereichen: Landespolizeidirektion und der Polizeiabteilung hier im Haus, und dass der Leiter der Polizeiabteilung gleichzeitig Polizeipräsident ist. Es wird weiter eine eigene Landespolizeidirektion geben und ein eigenständiges Landeskriminalamt, aber nicht mehr als eigenständige Behörde mit eigener Struktur. Da kann man einiges zusammenführen. Die Rückmeldungen, die ich bislang dazu bekommen habe, waren durchaus sehr positiv.#
Das Thema Flüchtlinge bleibt eine massive Herausforderung. Im Mai wird es noch mal einen Flüchtlingsgipfel beim Kanzler geben. Wie ist die Situation aktuell im Land?
Das Thema Migration hat uns in den ersten Monaten meiner Amtszeit eine große Kraftanstrengung gekostet. Durch den fürchterlichen Krieg in der Ukraine sind über eine Million Menschen nach Deutschland gekommen, die hier Zuflucht suchen. Sie machen den weit überwiegenden Teil der Flüchtlinge aus. Dazu kamen aber auch weitere Asylbewerber aus Drittländern, aus Syrien, Afghanistan, der Türkei und anderen Ländern. Die Nöte der Gemeinden dabei sind mir nicht fremd. Ich war schon 2014/2015 mit meinem Vorgänger Klaus Bouillon unterwegs, als es darum ging, einer großen Zahl von Menschen Obdach zu geben. Die Zusage an Städte und Gemeinden, zu helfen, war mir daher eine Herzensangelegenheit. Ich bin der festen Überzeugung, dass es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, bei der alle staatlichen Ebenen – Bund, Länder und Kommunen – Verantwortung übernehmen müssen. Der Bund hat da schon einiges gemacht, das ist nicht abzustreiten, aber er macht noch nicht genug. Das Land hat in den letzten Jahren einiges getan, um dafür zu sorgen, dass die Kommunen entlastet werden. Die Landesaufnahmestelle in Lebach ist für mich ein gutes Beispiel dafür, wie man miteinander arbeitet.
Es gibt aber auch Brandbriefe aus Kommunen mit heftiger Kritik.
Wir haben 2022 viele tausend Menschen aus der Ukraine und viele Tausende aus anderen Ländern im Saarland aufgenommen. Es ist uns bis auf ganz wenige Ausnahmen gelungen, keine Hallen oder Dorfgemeinschaftshäuser dauerhaft zu belegen. Es gab Einzelfälle, aber insgesamt ist es uns durch gutes Zusammenarbeiten gelungen, Wohnungen zu organisieren. Dort, wo es nicht möglich war, haben wir als Land versucht, Kapazitäten vorzuhalten, um die Kommunen ein Stück weit zu entlasten und ihnen Luft zu verschaffen. Deshalb haben wir – ein Glücksfall, wie ich finde – das Containerdorf in Ensdorf auf den Weg gebracht für bis zu 300 Menschen. Für viel Geld, ja, das stimmt, aber damit helfen wir den Gemeinden. Wir haben die Überstellzeiten aus Lebach deutlich verlängern können. Uns hilft, dass im Moment nicht ganz so großer Druck ist, es sind weniger da, als wir befürchten mussten, aber es sind immer noch mehr, als in Kürze in die Verteilung zu bringen ist. Wir haben Hotelkapazitäten anmieten können, wir helfen durch Bedarfzuweisungen und Zuschüsse, jüngst etwa der Stadt Saarlouis für eine Liegenschaft. Und wir helfen mit Mietausfallgarantien. Während einige Gemeinden, beispielsweise Friedrichsthal, darüber klagen, dass sie nicht genügend Wohnungen haben und immer noch in ihrer Halle Kapazitäten vorhalten müssen, gibt es direkt daneben andere, die regelmäßig Mietausfall in Anspruch nehmen, den wir übernehmen für den Fall, dass angemieteter Wohnraum nicht belegt ist. Es ist also auch eine interkommunale Aufgabe, miteinander zu reden, statt nur über das Land oder den Bund herzufallen.
Was kommt da noch auf uns zu?
Wir können es nicht voraussehen. Wir wissen nicht, wie der fürchterliche Krieg in der Ukraine weitergeht. Wird dort weiter die Infrastruktur zerbombt, damit die Menschen aus der Ukraine vertrieben werden? Putin hat das Ziel, dass eine große Zahl von Flüchtlingen die Demokratie destabilisieren soll. Wir wissen es auch nicht in Bezug auf andere Kriegs- und Krisenherde in der Welt.
Umgekehrt wollen wir ja auch Einwanderung, im Blick auf Fachkräfte. Es ist eine Kraftanstrengung, von der wir aber auch etwas haben. Wir müssen aber konsequent sein bei Gruppen, die hier kein Aufenthaltsrecht haben, und sie zurückführen. Das ist eine Diskussion, die ich ganz unaufgeregt führe. Es wäre verlogen, den Leuten vorzumachen, egal wo sie herkommen, dass sie ein Aufenthaltsrecht hätten. Wir müssen dann auch konsequent sein bei der Anwendung des Rechts, aber auch bei der Anpassung des Rechts. Wenn wir sehen, dass beispielsweise die Anerkennungsquote bei Menschen aus den Maghreb-Staaten nur sehr, sehr gering ist, dann sollte man konsequent sein und diese Staaten als sichere Herkunftsländer einstufen. Da gibt es auch noch eine Reihe anderer Länder. Man muss aber auch sehen, dass es Abschiebehemmnisse gibt. Wir können nicht Menschen in Länder zurückschicken, wenn wir sie in den sicheren Tod schicken, das geht nicht, dagegen stehen das Grundgesetz und die Menschenrechtskonvention. Man muss dann nach anderen Wegen suchen. Dazu gehört die Frage nach der Verteilung in Europa. Man muss einigen Staaten, Ungarn zum Beispiel, klarmachen, Europa ist nicht nur Zweckgemeinschaft, sondern Wertegemeinschaft. Es ist ein großes und komplexes Thema, das mit wenigen Schlagworten nicht bedient werden kann. Deswegen sage ich auch: Hütet euch vor denen, die mit einfachen Antworten daherkommen.