Erik ten Hag wird Nachfolger von Xabi Alonso bei Bayer Leverkusen. Er steht vor einem Umbruch – aber das könnte auch eine Chance sein.

Es ist eine der spannendsten Personalien dieses Fußballsommers: Erik ten Hag übernimmt das Traineramt bei Bayer 04 Leverkusen – und tritt damit in die Fußstapfen eines Mannes, der in der rheinischen Werkself beinahe mythische Verehrung genießt: Xabi Alonso. Die vorletzte Saison endete für Leverkusen mit dem ersten Meistertitel und dem ersten Pokalsieg der Vereinsgeschichte – ein Double, das Fans wie Fachleute gleichermaßen begeisterte, und mit einer Aura der Harmonie, wie man sie auf diesem Niveau selten sieht. Doch mit dem Abgang des baskischen Erfolgstrainers zu Real Madrid endet nicht nur eine Ära, sondern beginnt auch eine Phase fundamentaler Veränderungen. Der neue Coach bringt nicht nur einen anderen Charakter, sondern auch einen anderen Stil: Ten Hag, 55 Jahre alt, niederländisch, diszipliniert, fordernd. Und er kommt zu einem Zeitpunkt, der den Verein tiefgreifender prägt als jede Trophäe: Der Kader wird auseinandergerissen, zentrale Spieler verlassen Leverkusen, und der Verein muss sich neu erfinden. Inmitten dieses Umbruchs wird ausgerechnet ein Mann zur Schlüsselfigur, der wie kein Zweiter zwischen System und Strenge balancieren kann – wenn man ihn lässt.
Schon 2021 in der engeren Wahl
Dass Erik ten Hag nun in Leverkusen ankommt, ist kein Zufall, sondern das Resultat einer jahrelangen Annäherung. „Wir hatten schon seit dem Frühjahr 2021 Kontakt, als wir versucht haben, ihn damals von Ajax hierher zu lotsen. Das hat damals nicht geklappt“, berichtet Sport-Geschäftsführer Simon Rolfes. Damals entschied sich Ten Hag, bei Ajax zu bleiben – ein Club, bei dem er zwischen 2017 und 2022 sechs Titel gewann und mit begeisterndem Fußball die Champions-League-Halbfinals erreichte. Rolfes’ Geduld sollte sich nun auszahlen. Als Alonso im März signalisierte, dass er – anders als im Vorjahr – nicht garantieren könne zu bleiben, intensivierte Leverkusen die Trainersuche. Und holte sich Ten Hag – „einen erfahrenen Trainer mit beeindruckenden sportlichen Erfolgen“, wie Rolfes betont: „Unsere Vorstellungen von Fußball decken sich“, erklärt Rolfes. „Mit technisch anspruchsvollem und dominantem Fußball wollen wir auch künftig im Werkself-Stil agieren und in Bundesliga, DFB-Pokal und Champions League höchste Ziele anstreben.“ Dass Ten Hag solche Ziele formulieren kann, hat er bewiesen – sowohl mit Ajax als auch unter schwierigeren Bedingungen bei Manchester United.

Erik ten Hag ist kein Unbekannter im deutschen Fußball. Zwischen 2013 und 2015 trainierte er die Zweite Mannschaft des FC Bayern München. Damals war er noch weitgehend außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung aktiv – doch für ihn selbst war diese Zeit prägend. „Ich wusste schon viel über Bayer Leverkusen, ich wusste schon viel über die Bundesliga – von früh auf. Ich bin auch vertraut mit ‚Guten Abend allerseits‘“, sagte er zur Begrüßung in Leverkusen mit einem charmanten Verweis auf die legendäre Begrüßung des Sportschau-Moderators Heribert Faßbender. Eine kleine, fast nostalgische Geste, mit der Ten Hag seine Verbundenheit mit Deutschland untermauert. Und vielleicht auch ein Signal: Er weiß, worauf er sich einlässt.
Dominanter Fussball

Denn die Aufgabe in Leverkusen ist keine einfache. Zwar sei „das Sieger-Gen in diesem Club anwesend“, wie Ten Hag betont – doch das bedeutet nicht, dass er bei null beginnt. „Das war Facharbeit von meinem Vorgänger“, lobt er Xabi Alonso, „aber da war auch ein Fundament, das der Verein geschaffen hat.“ Dieses Fundament könnte sich nun allerdings als brüchig erweisen: Mit Jonathan Tah (zum FC Bayern), Jeremie Frimpong und dem so gut wie sicheren Abgang von Florian Wirtz (beide zum FC Liverpool) verliert Bayer gleich drei Stützen der Meistersaison. Auch Alejandro Grimaldo denkt laut über eine Rückkehr nach Spanien nach. Dazu kommt die Frage nach einem neuen Stammtorhüter – und die mögliche Trennung von Victor Boniface, der bereits im Winter kurz vor einem Wechsel stand. Ein Umbruch dieser Größenordnung ist für jeden Verein eine Herausforderung – erst recht für einen, der in der Vorsaison das Double holte. Doch vielleicht liegt genau darin eine Chance: Mit Ten Hag kommt ein Mann, der nicht dafür bekannt ist, bestehende Strukturen zu verwalten, sondern neue zu bauen. „Es ist eine reizvolle Aufgabe, in dieser Phase des Umbruchs gemeinsam etwas aufzubauen und eine ambitionierte Mannschaft zu entwickeln“, sagt er selbst.
Und Rolfes, der Manager, stimmt zu: „Erik lässt dominanten, technischen Fußball spielen. Das passt sehr gut damit zusammen, dass er Talente auf ein Top-Level entwickeln kann.“ Gerade das dürfte entscheidend sein, denn nach den prominenten Abgängen wird Leverkusen auf junge, entwicklungsfähige Spieler setzen müssen. In dieser Hinsicht erinnert vieles an die Ajax-Zeit des Trainers, in der er Akteure wie Frenkie de Jong, Matthijs de Ligt, Noussair Mazraoui und Hakim Ziyech formte und zu Weltklassespielern machte.

Was ihn dabei auszeichnet, ist seine klare Philosophie: „Ich will gewinnen, aber auch auf eine bestimmte Art und Weise – mit dominantem Fußball, attraktivem Fußball, der auch die Menschen begeistert“, formuliert Ten Hag seinen Anspruch. Und er sieht in Bayer Leverkusen den idealen Ort dafür: „Bayer war immer innovativ, da waren sie immer vorne. Aber sie haben in den vergangenen Jahren auch den Schritt gemacht, um Titel zu gewinnen.“ Doch wo Licht ist, ist auch Schatten. Ten Hag bringt nicht nur klare Ideen, sondern auch eine gewisse Härte mit. Er gilt als streng, manche nennen ihn autoritär. In Manchester – wo er immerhin den FA Cup 2024 gewann – wurde er auch wegen seiner direkten Art kritisiert. Es war nicht zuletzt die mangelnde Harmonie im Club, die zu seiner Entlassung im Oktober 2024 führte. „Ich möchte nach vorne schauen und mit aller Energie etwas aufbauen“, sagt er heute – und verzichtet bewusst darauf, über seine Zeit in England zu viel zu erzählen. Die Vergangenheit will er hinter sich lassen.
Inhaltliche Neuausrichtung
Gleichzeitig könnte gerade seine Strenge in Leverkusen zur richtigen Zeit kommen. Alonso war ein Trainer, der Nähe zu seinen Spielern suchte, den Dialog auf Augenhöhe bevorzugte. Doch in einer Mannschaft, die sich nun neu sortieren muss, ist möglicherweise ein anderer Führungsstil gefragt. Die Systeme dürften sich ohnehin ändern: Während Alonso bevorzugt mit einer Dreierkette agierte, setzt Ten Hag klassisch auf eine Viererkette – was auch inhaltlich für eine Neuausrichtung spricht.

Der sportliche Erfolg hat in Leverkusen Maßstäbe gesetzt – und genau daran will auch Ten Hag gemessen werden. Er kommt nicht, um sich einzuleben, sondern um weiterzumachen: „Ich bin nach Leverkusen gekommen, um die in den vergangenen Jahren gewachsenen Ambitionen zu bestätigen.“ Dass diese Ambitionen durch das Double real geworden sind, erhöht den Druck – aber auch die Motivation. Es gehe nun darum, „gemeinsam mit den Fans etwas zu gestalten“, sagt er.
Die Tatsache, dass er bereits 2021 Wunschkandidat war, spricht für eine langfristige Planung. Und sein Vertrag bis 2027 deutet darauf hin, dass Bayer bereit ist, diesem Projekt die nötige Zeit zu geben – auch wenn der sofortige Erfolg ausbleibt. Schließlich geht es nicht nur um Resultate, sondern um Identität: Ein dominanter, technisch brillanter Fußball soll weiter das Markenzeichen der Werkself bleiben.
Erik ten Hag kommt nicht in ein stabiles System, sondern in ein Gebilde, das sich gerade neu erfindet. Die Euphorie des Doubles, die Wucht der Abgänge, die Erwartungen eines internationalen Topclubs – all das trifft auf einen Trainer, der nicht immer einfach, aber oft erfolgreich war. In einem solchen Moment einen Mann zu holen, der sowohl Disziplin als auch Idee mitbringt, ist eine bewusste Entscheidung. „Das Sieger-Gen ist in diesem Club anwesend. Das spüre ich in allen Gesprächen“, sagt Ten Hag. Ob er es aktivieren kann, wird sich zeigen. Doch die Zutaten für eine neue, vielleicht noch aufregendere Ära in Leverkusen sind vorhanden.