Die Ausstellung „Der Untergang des Römischen Reiches" im Rheinischen Landesmuseum Trier, die bis 25. November geöffnet ist, spürt den Faktoren und Ursachen nach, weshalb das Imperium zerfiel. Ein Besuch mit Aha-Momenten.
Langsam komme ich näher. Sein Kopf im Halbprofil ragt aus dunkelblauer Nacht in funkenstiebende Helligkeit. Die Treppe hinaufgehend, überlege ich, wer der Mann mit der abgeschlagenen Nase ist, der auf dem XXL-Plakat für die Ausstellung „Der Untergang des Römischen Reiches" wirbt. Konstantin ist es nicht. Wer dann?

Den kostenfreien Audioguide nehme ich nach Betreten des Landesmuseums Trier gern an. Bei Nummer 900 wünscht Dr. Marcus Reuter, Direktor des Rheinischen Landesmuseums, mit sonorer Stimme: „Viel Spaß beim Sehen und Hören". Auf Ziffer 905 begrüßt eine Schülerin des Humboldt Gymnasiums. 18 Schüler erstellten einen Extra-Audioguide für ausgewählte Exponate. Eine schöne Idee. Mehrmals werde ich ihren Gedanken lauschen.
„Ein Weltreich wird von äußeren Feinden erst besiegt, wenn es sich von innen her besiegt hat. Anthony Mann, Paramount Pictures, 1964", lese ich vor dem Entree. Die Sentenz eines römischen Geschichtsschreibers hätte ich eher erwartet. Erst am heimischen Schreibtisch entschlüssle ich den Zusammenhang: Anthony Mann ist der Regisseur des US-amerikanischen Monumentalfilms „The Fall of the Roman Empire".
Durch die Tür. Ich stehe mitten im ersten Ausstellungskapitel „Starkes Reich – mächtige Kaiser" und erfahre zur territorialen Ausdehnung der Supermacht: „Das Römische Reich reichte in der Mitte des 4. Jahrhunderts von Portugal bis Syrien, von Britannien bis Ägypten."
Kolossale Ausdehnung
Der wuchtige Porträt-Kopf Konstantins I. verdeutlicht, welche Machtinsignien der Kaiser exklusiv erfunden hat: das Perlen-Juwelen-Diadem! Die beiden „Schokofiguren" – ums Eck gestellt warten noch zwei – erinnere ich aus dem Geschichtsbuch in der Schule: Die Tetrarchen! Riesige Schwerter haben die grimmig Aussehenden umgeschnallt, und sind selbst zwergenhaft. Die Originalskulpturen sind aus Porphyr, diese Kopien erinnern an Kunststoff. Porphyr war wegen seiner purpurnen Farbe ausschließlich den Kaisern und ihren Bildnissen vorbehalten. Die vier Herrscher im Kaiserrang, zwei Seniorkaiser mit dem Titel Augustus und zwei Juniorkaiser mit dem Titel Caesar, regierten gleichzeitig in Ost und West des Römischen Reiches.
„Gemeinsam stark". Ist die Aufteilung von Macht eine besonders gute Idee oder das genaue Gegenteil? Und Konstantin? Er regierte alleine. Konstantin kam aus der Tetrarchie und wurde zum Alleinherrscher. Zu Hause schlage ich nach in Ploetz „Weltgeschichte auf einen Blick": „Konstantin lässt Maximian erdrosseln, erzwingt Anerkennung als Augustus." Bei Wikipedia dagegen wird Maximian von Konstantin zum Selbstmord gezwungen. Wie auch immer der Rivale (der obendrein der Schwiegervater war) zu Tode kam: Konstantin I. regierte 306 bis 337 n. Chr., aber erst ab 324 als Alleinherrscher.
Konstantins Söhne lassen den Vater nach seinem Tod auf einer Münze in den Himmel aufsteigen. Trier bleibt 100 Jahre lang Regierungssitz mit Münzprägestätte. Konstantin reitet auf einer von Pferden gezogenen Quadriga in den Himmel hinauf, vom Rand der Münze streckt sich eine Hand entgegen: die Hand Gottes! Ich schaue fasziniert auf die fein gearbeitete Goldmünze. Diese Kostbarkeit hat man aus Paris nach Trier gesandt.

Das Mailänder Toleranzedikt garantiert seit 313 Religionsfreiheit im Römischen Reich. Damit ist auch das zuvor verfolgte Christentum erlaubt. Zwei Glasschalen aus einer Trierer Glaswerkstatt: Alter und neuer Glaube nebeneinander! Für das christliche Gedankengut steht, übersetzt: „Du mögest in Gott leben. Mögest du leben!" Das Bildmotiv zeigt das Opfer Isaaks. Für die römische Götter- und Sagenwelt: „Freue dich mit den Deinen, trinke. Mögest du leben!" Das Bildprogramm zeigt die Götter Herkules und Antaeus.
Aha-Moment: Ich stehe vor einer Marmorstele mit Inschrift. Sieht nicht spektakulär aus, ist es aber. Es handelt sich um eine der wichtigsten Inschriften der Spätantike auf Griechisch. Ich stehe vor einem Höchstpreis-Edikt, das Kaiser Diokletian 301 n. Chr. aufstellen ließ. Es gehört dem Ethniko Archeologiko Mousio in Athen. Überall im Römischen Reich wurden Listen mit Höchstpreisen für 1.000 Produkte und Dienstleistungen herausgegeben. Verstöße dagegen wurden geahndet. Diese Preiskontrolle wirkte der Inflation entgegen.
Nebenan eine Vitrine mit einem bronzenen Zirkel und einer groma, einem römischen Vermessungsinstrument. Im Römischen Reich bestand Steuerpflicht auf Landbesitz. Katasterpläne mussten erstellt werden. Im Jahr 2022 wird die Grundsteuer in ganz Deutschland neu berechnet.
Gratian heißt der Werbekopf der Ausstellung. Ich habe ihn entdeckt: Flavius Gratianus war von 375 bis 383 Kaiser im Westen des Römischen Reiches. Er wurde bereits 367 von seinem Vater Valentinian I. zum Mitkaiser ernannt. Gemeinsam mit Theodosius I. erhob er das Christentum zur Staatsreligion im Römischen Reich. Sein Marmorkopf wurde nahe der Trierer Basilika ausgegraben. Für neun Kaiser sind mehrjährige Aufenthalte bezeugt. Gratianus und Valentinian I. weilten am häufigsten in der Trierer Residenz.
Schon Römer kannten Echtheitszertifikate. Nächster Aha-Moment: Ein mehrfach gestempelter Goldbarren aus dem Kunsthistorischen Museum Wien. „Flavius Flavianus gibt die amtliche Garantie für die Echtheit der Feinheitsmarke." Lag der Goldbarren in der Schatzkammer des Kaisers? Reichtum und Luxus erlaubten der Oberschicht ein angenehmes Leben. Auch der Glasbecher mit Meerestieren versetzt mich in Erstaunen.
Im Abschnitt „Militär und Macht" erfahre ich, dass die Generäle mit den Kaisern um die Macht konkurrierten.
Im Bereich „Rom und die Anderen" gerät das Ausstellungsdesign zum Hindernis. Warum stehen deckenhohe Naturszenen-Leuchtbilder herum und verengen den Weg? Die Beleuchtung irritiert, von verschattet zu grellhell zu stockdunkel. Verantwortlich dafür ist ein Berliner Architekturbüro, das einen Ideenwettbewerb für sich entschied. Der Ausstellungsrundgang folge „in der Gestaltung der Idee eines Sonnenuntergangs", erläutert der Pressedienst der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz. Das beste Ausstellungsdesign ist das, das ich gar nicht bemerke. Möchte ich eine Inszenierung sehen, gehe ich ins Theater.
Der Untergang des Römischen Reiches lässt sich nicht an einem Ereignis festmachen. Als Destabilisierungsfaktoren werden Seuchen, Naturkatastrophen, wegbrechende Ressourcen und Steuereinnahmen angesehen. Als gesichert gilt, dass die Epoche der Völkerwanderung eine Umbruchphase einleitete.
Zahlreiche Faktoren

Über die Schlacht bei Adrianopel 378 schreibt Rufinus von Aquileia: „Diese Schlacht bedeutete für das Römische Imperium den Ursprung des Übels, damals und auch für die Folgezeit." Der Mönch war Zeitgenosse, seine Aussage somit wohl zuverlässige Quelle. Auch die Silvesternacht 406/07 n. Chr., der Einfall barbarischer Kriegerverbände, und die Tatsache, dass die Verteidigungslinie am Rhein nicht aufrechtzuerhalten war, hat den Niedergang des Römischen Reiches vorangetrieben. Das Kapitel „Zeit der Bürgerkriege" legt die weitere Entwicklung dar. Die Supermacht scheint zu zerbröseln.
Der „Hortfund von Bellheim": In der Vitrine liegen 23 Keramikgefäße. Auffallend zwei weitere Gegenstände, einer aus Glas, einer aus Metall. Umschlossen war der Fund von einem Metallrund. Man hat die Gegenstände wohl in ein Fass gelegt, bevor man sie vergrub. Die dekorlose Keramik ist dickwandig. Dieses Geschirr wurde täglich benutzt. Vor mir liegen Originale – was, auch in dieser Ausstellung, keine Selbstverständlichkeit mehr ist –, 25 Gegenstände, die ihren Besitzern wichtig waren. Die sie versteckt haben, weil sie fliehen mussten. Oder weil sie die Gegenstände vor Plünderern in Sicherheit bringen wollten. Diese Menschen kamen nicht mehr, um ihr Eigentum zu bergen. Archäologen hoben den Schatz. Der „Hortfund von Bellheim, bestehend aus 23 Keramikgefäßen, einem Glasbecher und einem eisernen Dengelstock, Historisches Museum der Pfalz, 4. Jh. n. Chr.", lässt mich kaum los. Diese Menschen waren in Not. Vielleicht hatte es in der Nähe gebrannt, vielleicht … Audioguide-Kommentar zum Dengelstock: „Wo Bürgerkrieg droht, kann man nicht ernten." Erschreckende Parallelen tun sich auf.
Das Kapitel „Christentum als neue Macht" stellt dar, dass die Kirche zum Stabilitätsfaktor, zur Ordnungsmacht der Zukunft wurde. „Niedergang und Wandel" geht auf Gebietsansprüche regionaler Warlords des 5. Jahrhunderts ein.
„Was ist vom Römischen Reich bis heute geblieben?" fragen die Ausstellungsmacher die Besucher und laden zum Kärtchen-Schreiben ein. „Die Erkenntnis, dass maximale Heterogenität für eine Gesellschaft den Untergang bedeutet", schreibt ein Besucher, ein anderer: „Wein".
„Es gab Nationen, deren Lebensdauer kürzer war als Roms Niedergang – Will Durant, Die Geschichte der Zivilisation, Band 3, Bern 1949", lese ich in großen Lettern beim Ausgang. Während ich nachsinne, läuft eine weißhaarige Dame eilig an mir vorbei, hebt den Finger, deutet auf die Schrift: „Ja, das stimmt."