Auf zwei der Berliner Showbühnen von Weltrang wird im Sommer das Programm gewechselt: „Blinded by Delight“ heißt es ab September im Friedrichstadt-Palast, ab August „Flying Lights“ im Wintergarten.
Da ist dieser Engländer: Jack Woodhead, ein Exzentriker, aber ein braver britischer Musikstudent. Zumindest ist er das, bis er nach Berlin kommt. Hier wird er zur exaltierten, glamourösen Nachtgestalt. Denn hier in Berlin begegnet er nicht nur allerhand skurrilen Hauptstadt-Charakteren. Er taucht in eine Welt voller Musik und visueller Effekte ein. Klingt schräg? Ist es auch. „Varieté Gaga – The Crazy Berlin Show“ nennt sich die Geschichte, die seit gut einem Jahr im Wintergarten in Schöneberg über die Bühne geht.
Wer sich die Show noch anschauen möchte, muss sich sputen. Am 20. Juli läuft die letzte Vorstellung. „Langeweile kommt hier nicht auf“, verspricht die Theaterleitung. Und begründet das so: Das vielfältige Straßenbild Berlins – so wie es Theaterleute sehen – spiegelt sich auf der Wintergarten-Bühne. Eine esoterische Yogalehrerin, ein Crossfit-Jünger, eine Start-up-Unternehmerin, ein Berghain-Stammgast und eine lebende Spiegelkugel sind nur einige der Gestalten, mit denen Jack Woodhead sich die Bühne teilt. „Natürlich, wie sollte es im Wintergarten anders sein, sorgen auch in dieser Produktion die internationalen Akrobatik-Stars für ein Potpourri an artistischer Hochleistung. Ob verknotet auf einem Arm, aufgehängt an den Haaren oder springseilspringend auf dem Hochrad – für Staunen ist reichlich gesorgt“, wirbt die Theaterleitung.
Das liege auch daran, dass der Wintergarten „sich mal wieder richtig was traut“: Weltweit sei noch niemand auf die „verwegene Idee“ gekommen, eine Motorradkugel in einem Varietétheater zu präsentieren. Man gibt sich selbstbewusst: „Und erst recht hat noch niemand die enormen technischen Schwierigkeiten, die damit verbunden sind, wirklich angepackt – und das Ganze tatsächlich auch auf eine so kleine Bühne gezaubert.“ Das Ergebnis: drei – um Abgase zu vermeiden – natürlich vollelektrische Motorräder in der kleinsten Motorradkugel der Welt, „furiose Rasanz“.
Der Wintergarten im Berliner Westen sieht sich in der Tradition des historischen Originals im Osten. Man hat in den Archiven nachgesehen: Der palastartige Wintergarten des 1880 eröffneten „Central-Hotels“ in der Friedrichstraße, damals wohl das größte und luxuriöseste Hotel in ganz Deutschland, bot anfangs nur an den Wochenenden prunkvolle Fest- und Konzertveranstaltungen. Seit 1888 gab es dann einen regelmäßigen Spielbetrieb mit aufwendigen Varieté-Shows. Bereits 1900 rangiert der Wintergarten unter den damals etwa 80 Berliner Varietés ganz vorne. 1944, nach 56 Jahren Spielbetrieb, wurde das Theater durch einen Bombenangriff zerstört. Es blieb eine Erinnerung, eine Legende.
Am 25. September 1992 wurde dann das „Wintergarten Varieté Berlin“ in der Potsdamer Straße mit einer glanzvollen Gala als Hommage an den alten Wintergarten in der Friedrichstraße neu eröffnet – mit dunklem Holz, rotem Samt und Sternenhimmel. Seitdem bietet das Haus eine fast ganzjährige Bespielung mit eigenen Shows und an einigen Abenden Gastspiele. Das „Time Magazine“ hat den Wintergarten als Kultur-Tipp für Europa gelistet.

Zurzeit laufen die Planungen für die nächste Show. „Flying Lights“ heißt sie und ist eine Koproduktion mit der Gruppe „Flying Steps“. Zwischen 20. August und 15. Februar kommenden Jahres lassen die Tänzer der Gruppe die Lichter fliegen. Es ist nicht die erste Zusammenarbeit. 2022 brachte die Gruppe im Wintergarten das Programm „Flying Dreams“ auf die Bühne. Die Theaterleitung verspricht erneut „eine jugendlich energiegeladene, modern choreografierte und mit reichlich Hightech in Szene gesetzte Fusion-Show“.
Aber zurück zu Jack Woodhead, dem Engländer, der bis Mitte Juli als Gastgeber der „Crazy Berlin Show“ auf der Bühne des Varietés steht. Der Mann stammt aus Manchester und zog nach dem Abschluss seines Musikstudiums 2010 nach Berlin. Die Gaga-Show ist nicht seine erste im Wintergarten. Er hatte Auftritte in der „Seifenoper“, in „Der helle Wahnsinn“ und in „20 20 – Die 20er Jahre Varieté Revue“. Vor drei Jahren feierte er die Premiere seines Soloprogramms in der Bar jeder Vernunft und trat außerdem im Tipi am Kanzleramt, bei den Berliner Festspielen, in der Volksbühne auf. Kürzlich komponierte er außerdem die Musik für eine Musical-Theater-Adaption von „Cinderella“.
„Wie schön das Leben sein könnte“
Einen Programmwechsel gibt es im Sommer auch im Friedrichstadt-Palast. Die von Jean Paul Gaultier kuratierte Grand Show „Falling – In Love“ wird am 5. Juli das letzte Mal aufgeführt. Sie ist jetzt schon der neue Spitzenreiter in der über 100-jährigen Bühnengeschichte des Friedrichstadt-Palastes. Das „Berliner Show-Kronjuwel“ brach bereits zwei Monate vor der letzten Aufführung den Allzeit-Besucherrekord von 804.000 zahlenden Gästen und ist somit die meistbesuchte „Grand Show“ in der Historie des Hauses. Den bisherigen Umsatzrekord von 47,2 Millionen Euro konnte die aktuelle Produktion auf der größten Theaterbühne der Welt schon im Februar einstellen. Momentan liegt die Auslastung des 1.900 Plätze fassenden Saales bei 93 Prozent.
Ab dem 24. September zeigt der Palast dann die neue „Grand Show“. „Blinded by Delight“ entführt das Publikum in grandiose Traumwelten und ist ein „leidenschaftlicher Tanz der ganz großen Gefühle“, wie das Theater ankündigt. „In Zeiten wie diesen vergisst man leicht, wie schön das Leben sein könnte“, heißt es in der Ankündigung. Zusammen mit dem US-amerikanischen Designer Jeremy Scott schafft das Kreativteam deshalb „eine alle Sinne überwältigende Erinnerung an das Glücklichsein“. Der Vorverkauf ist bereits geöffnet.
Als die „Blinded by Delight“-Protagonistin Luci die Augen aufschlägt, ist sie umfangen von ihren schönsten ungelebten Träumen. Atemberaubend ist die Pracht dieser Traumwelt, ihr altes Leben nur noch ein fernes Echo. Jeder Raum, der sich ihr öffnet, ist eine Symphonie ungeahnter Möglichkeiten. Das ist der Inhalt der über 14 Millionen Euro teuren Produktion, die nach einer Idee von Berndt Schmidt und Oliver Hoppmann entsteht.
„Wir leben in Zeiten, die uns fordern und manchmal bedrücken. Wie wäre es da wohl, in einer Welt des Glücks aufzuwachen? ,Blinded by Delight‘ ist eine entzückende Flucht aus dem grauen Alltag. Eine bewegende Liebesgeschichte, die unsere Gäste in unwirklich schöne Traumwelten eintauchen lässt. Ich bin überglücklich, dass wir für unser kreatives Dreamteam Jeremy Scott gewinnen konnten, denn ich liebe seine Arbeiten. Jeremys bewegende Biografie ist außerdem ein lebender Beweis, dass man seine Träume leben kann, wenn man nur daran glaubt“, sagt Palast-Intendant und Produzent Berndt Schmidt. Der für seine poppigen Designs bekannte Designer Jeremy Scott kreiert alle 500 Kostüme der neuen „Grand Show“. „Mit seinem einzigartigen Gespür für Mode verbindet er Haute Couture mit Popkultur und schafft so faszinierende Kreationen“, schwärmt Schmidt. Jeremy Scott ist als Kreativdirektor seines gleichnamigen Labels international bekannt und übernahm von 2013 bis 2023 zudem die kreative Leitung beim Luxuslabel Moschino. Er arbeitet mit zahlreichen internationalen Superstars wie Katy Perry, Madonna, Miley Cyrus, Beyoncé, Lady Gaga, Ariana Grande, A$AP Rocky und Rihanna. Die „New York Times“ bezeichnete ihn als „letzten Rebell der Mode“.