Seit der Bundestagswahl sind die Saar-Grünen wieder im Bundestag vertreten. Landesparteichefin Jeanne Dillschneider hat bereits klare Akzente in der deutsch-französischen Zusammenarbeit und gegen Grenzkontrollen gesetzt. Ein weiterer Schwerpunkt: Cybersicherheit.
Frau Dillschneider, wie war der Start als neue Bundestagsabgeordnete?
Die ersten Tage haben sich angefühlt wie die erste Uni-Woche mit Einführungsveranstaltungen: Wo ist was? Wie organisiere ich mein Büro? Welche Pflichten kommen auf mich zu? Wir Neuen wurden extrem gut aufgenommen in der Fraktion. Dadurch, dass ich ja auch Landesvorsitzende (der Saar-Grünen, Anm. d. Red.) bin, kannte ich schon viele. So ganz neu habe ich mich also nicht gefühlt. Und dann ist die Zeit seit der Wahl unfassbar schnell, wie im Flug, vergangen. Als erstes geht es darum, das Büro aufzubauen, Einstellungsgespräche zu führen …

Was ja vielen nicht bewusst ist: Sie sind als Abgeordnete auch in der Rolle einer Arbeitgeberin.
Ja, das ist auch eine neue Rolle, in die man hineinwachsen muss. Und dann werden die Themen in der Fraktion verteilt und die Besetzung der Ausschüsse beschlossen. Das alles braucht dann schon eine Zeit, bis die Ausschüsse konstituiert sind und man richtig in die inhaltliche Arbeit einsteigt.
Es heißt, die eigentliche Arbeit im Parlament finde in Ausschüssen statt. Sie sind im Ausschuss Digitales und, vielleicht etwas überraschend, im Verteidigungsausschuss. Wie kam das zustande?
Das war ein Wunsch von mir, an der Schnittstelle Cybersicherheit mitzuarbeiten. Ich hatte das ja auch bereits im Wahlkampf thematisiert, weil es ein oft unterschätztes Thema ist, aber hohe Relevanz hat. Bei Sicherheit denkt man oft an Polizei, an Blaulicht, also Kriminelle auf unseren Straßen. Weniger daran, welche anderen Bedrohungen es gibt und dass wir tagtäglich angegriffen werden. Wir werden jeden Tag mit hybrider Kriegsführung, Cyberangriffen und Desinformationskampagnen bedroht. Genau diese Schnittstelle will ich bearbeiten, sowohl im Verteidigungsausschuss, in dem ich für die Themen Cyber-, also digitale Verteidigung, und die Luftwaffe zuständig bin. Und eben im Digitalausschuss, in dem es neben IT-Sicherheit auch um Datenschutz und digitale BürgerInnenrechte geht. Und dann bin ich noch im Vorstand der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung. Ich glaube, dass die deutsch-französische Zusammenarbeit im Bereich Verteidigung eine große Rolle spielt. Wichtig ist, dass wir eine sehr starke Stimme sind gegen die Autokraten aus allen Himmelsrichtungen.
Wie funktioniert die Vergabe der Sitze in Ausschüssen? Meldet man sich da in der Fraktion oder kommen erst mal die langgedienten Abgeordneten mit ihren Themen zum Zug, und dann wird geschaut, was für die Neuen noch bleibt?
Wir konnten unsere Prioritäten äußern, und bei der Verteilung wurde darauf geachtet, dass diese berücksichtigt wurden. Bei mir war das mit meinen Themen kein Problem. Ich hatte das Thema Sicherheit ja auch im Wahlkampf immer wieder in den Fokus gerückt. Ich glaube, dass es dort eine grüne Handschrift braucht. Ähnliches gilt für das Thema digitale Bürgerrechte, was die neue Regierung kaum auf dem Schirm hat. Es geht aber auch darum, wie man KI fördert und gleichzeitig Sicherheitsstandards gewährleistet. Aus meiner Sicht ein sehr relevantes Thema, auch mit Blick auf die geopolitische Lage. Hier hilft es mir, meine Perspektiven aus dem Digitalen und der Verteidigung zusammenzubringen.
Sie haben die deutsch-französischen Beziehungen angesprochen. Bei der Parlamentarierversammlung kürzlich in Paris haben Sie gleich mit einem eigenen Antrag für Aufmerksamkeit gesorgt. Sozusagen Sprung ins kalte Wasser?
Nachdem erst in Frankreich Wahlen waren und auch bei uns die vorgezogenen Neuwahlen, haben sich die Parlamentarier jetzt nach einer längeren Pause wieder getroffen. Unser Wunsch war, dann so schnell wie möglich das Thema Grenzkontrollen aufs Tableau zu bringen. Ich habe mich dann auch schnell mit meinem französischen Pendant ausgetauscht, um einen gemeinsamen Antrag auf den Weg zu bringen. Mir ist es persönlich wichtig, das Signal zu senden, dass wir in Europa für Freizügigkeit kämpfen. Denn wenn nicht einmal die Deutsch-Französische Parlamentarische Versammlung dafür kämpft, dass wir wieder echte Freizügigkeit haben, wer soll es dann tun? Ich finde schade, dass manche auch in diesem Gremium dafür kämpfen, Grenzkontrollen hochzuziehen, wie es ein Antrag der CDU mit „Renaissance“ (Partei von Macron, Anm. d. Red.) getan hat. Ich denke, das ist ein Riesen-Schaden für unsere Grenzregion, in jeder Hinsicht: wirtschaftlich, sozial, kulturell. Die wirtschaftlichen Schäden in der Grenzregion werden auf über eine Milliarde Euro geschätzt. Gleichzeitig zieht man die Bundespolizei von den Bahnhöfen und Flughäfen ab. Die Beamtinnen und Beamten schieben ohnehin schon Berge von Überstunden vor sich her und sind überlastet. Und dann stehen sie an Grenzübergängen, wobei klar ist, dass nicht alles überwacht werden kann. Der Effekt ist also sehr gering, gleichzeitig sind die Folgen so enorm. Bei den Feiern zu 40 Jahre Schengen haben auch die Luxemburger klargemacht, dass es zwar eine große Freundschaft gibt, die gerade aber sehr strapaziert wird. Man fragt sich, wie lange das gut gehen kann.
Sie haben den Antrag der CDU – von Roland Theis, auch einem neu gewählten Bundestagsabgeordneten aus dem Saarland – angesprochen. Also auch getrennte Wege im Saarland bei diesem Thema?
Ich hätte mir da mehr Gemeinsamkeit gewünscht, zumal ich auch Roland Theis für einen sehr engagierten Europäer und Deutsch-Franzosen halte. Deshalb hat es mich umso mehr erstaunt, dass er weiterhin Grenzkontrollen befürwortet. Das passt nicht zusammen, und ich hoffe sehr, dass die Union davon abrückt. Zumal aus juristischer Sicht absehbar ist, dass es mit Europarecht nicht vereinbar ist und dass es gegen das Dublin-III-Abkommen verstößt, was auch das Verwaltungsgericht Berlin so gesehen hat. Die Bundesregierung nimmt einen rechtswidrigen Zustand dauerhaft in Kauf. Natürlich kann man darauf warten, bis der Europäische Gerichtshof darüber entscheidet und das – aus meiner Sicht – auch so bestätigen wird. Aber eigentlich reicht ein einfacher Blick ins Europarecht, um das zu sehen.

Wie groß ist der politische Schaden in einer Phase, in der man gerade dabei ist, das neue Gemeinsame Europäische Asylsystem GEAS umzusetzen?
Man stößt die europäischen Partner extrem vor den Kopf. GEAS hat ja gerade das Ziel, die Außengrenzen zu sichern und ein solidarisches Verteilsystem umzusetzen. Eine Lösung, bei der Deutschland niemanden unterm Strich mehr aufnehmen will, wird es nicht geben, die wäre auch nicht solidarisch. Statt immer wieder darauf hinzuweisen, dass der Schutz an den Außengrenzen oder Dublin III nicht funktionieren würde, wäre es sinnvoll, dass wir in Deutschland unseren Pflichten nachkommen. Dass ausreisepflichtige Personen nicht abgeschoben werden, liegt auch an den Verfahren. Es gibt die Sechs-Monats-Frist. Wenn die abgelaufen ist, können die Menschen erstmal bleiben. Wenn man sich die Situation bei den Ausländerbehörden ansieht: Die sind völlig überlastet. Das wäre ein Punkt, den die Union anpacken könnte. Oder dass man die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Polizei und Justiz verbessert und auch dort für mehr Kapazitäten sorgt. Auch die Justiz ist extrem überlastet. Dort müsste man für Verbesserungen sorgen, damit Verfahren schneller gehen, auch im Sinne der Betroffenen. Das sind alles Forderungen, die nicht so reißerisch sind und deshalb weniger für Schlagzeilen sorgen. Schlagzeilen gibt es, wenn man sagt, man macht die Grenzen dicht. Das ist eine ganz gefährliche Symbolpolitik. Das weiß auch die Union. Damit schüren sie Erwartungen, die nicht erfüllt werden können, weder rechtlich noch faktisch.
Was erwartet Sie im Verteidigungsausschuss?
Die erste Aufgabe ist es, unsere Bundeswehr schnell und vernünftig auszustatten – in Ausrüstung, Kasernen und Personal. Und das natürlich auch im Parlament eng zu begleiten. Die Grünen haben sich zudem dafür starkgemacht, Sicherheit und Verteidigung ganzheitlich zu begreifen. Dazu gehören die Unterstützung für völkerrechtswidrig angegriffene Staaten, die Ausstattung der Nachrichtendienste, Cybersicherheit, Schutz kritischer Infrastrukturen oder Zivilschutz. Ich selbst habe durch meinen IT-Background einen besonderen Blick auf diese erweiterten Bedrohungen als Teil hybrider Kriegsführung. Im Verteidigungsausschuss hatten wir auch eine Sondersitzung zur Lage im Nahen Osten beantragt. Das wurde jedoch von den Regierungsfraktionen abgelehnt, was enttäuschend ist. So erschweren es uns die Regierungsfraktionen, unserer Kontrolle der Bundeswehr als Parlamentsarmee nachzukommen.
Wenn Sie nun über den Ausschuss deutlich mehr Einblicke in die Entwicklungen haben: Was löst das bei Ihnen aus?
Mir ist noch einmal die Verantwortung einer Bundestagsabgeordneten deutlicher geworden. Das ist einem zwar vorher auch schon bewusst. Ich wusste, dass ich beispielsweise über Bundeswehreinsätze abstimme, aber es ist trotzdem etwas anderes, es aus erster Hand zu erleben. Dadurch wird noch einmal deutlich, in welchen Zeiten wir leben – und damit meine ich nicht nur uns Bundestagsabgeordnete, sondern auch die Regierung, eigentlich uns alle. Und das verlangt, dass wir uns auch mit Themen auseinandersetzen, die wirklich schwer zu debattieren sind. Es sind gerade einfach schwere und ernste Zeiten. Wir dürfen jedoch dabei den Kopf nicht in den Sand stecken, auch wenn man das manchmal gerne würde.
Sie beziehen das auch auf die vielzitierte „Kriegstüchtigkeit“?
Ich halte nichts vom Begriff Kriegstüchtigkeit. Aber wir müssen definitiv verteidigungsfähig sein, um uns nicht verteidigen zu müssen. Deswegen haben wir Grünen auch der Grundgesetzänderung zur Ausnahme von Verteidigungsausgaben über ein Prozent vom Bruttosozialprodukt, also Ausgaben über etwa 43 Milliarden, von der Schuldenbremse zugestimmt. Gleichzeitig besorgen mich die Töne aus dem SPD-Manifest, das auch ehemalige Parteigrößen unterzeichnet haben. Da scheinen einige den Ernst der Lage nicht verstanden zu haben.
Wie erleben Sie die Atmosphäre im neuen Bundestag?
Es ist erschreckend zu sehen, wie groß die größte Oppositionsfraktion geworden ist, wie laut die sind und – was erschreckend ist – wie wenig die von dem wissen, worum es eigentlich geht. Was die reden, klingt vielleicht in einem Tiktok-Video gut, aber sie befassen sich nicht im Geringsten mit der Materie, über die debattiert wird.
Sie haben sich nach der Einstufung der AfD als gesichert rechtsextremistische Partei dafür eingesetzt, ein Verbotsverfahren zu prüfen. Hat das eine Chance?
Die juristischen Hürden dafür sind natürlich sehr hoch, aber man muss das nun gemeinsam, Bund und Länder, prüfen. Wir müssen uns bewusst machen, was für ein Sicherheitsrisiko diese Partei für unser Land ist. Sie ist gesichert rechtsextrem, hat Verbindungen zu Russland und China in den eigenen Büros, während die Zahl rechtsextremistischer Straftaten steigt. Der Rechtsstaat muss an dieser Stelle wehrhaft sein. Deshalb sollte man alle Instrumente ausschöpfen, die man zur Verfügung hat.

Wie hat sich Ihre Partei auf die neue Rolle eingestellt?
Wir haben Klarheit darüber, wie wir die Oppositionsrolle ausüben wollen. Das haben wir auch bei der Grundgesetzänderung (zum Sondervermögen und Verteidigungsetat, Anm. d. Red.) gezeigt: Wir wollen konstruktiv an der Entwicklung des Landes mitwirken, dabei aber auch bereit sein, sehr hart zu verhandeln. Genau so wollen wir auch weitermachen: klar unsere Themen setzen und gleichzeitig der Regierung Grenzen aufweisen. Man muss leider auch sagen: Wir müssen ja hoffen, dass die Regierung von Friedrich Merz erfolgreich ist. Wir haben keine Wahl mehr, wenn ich auf Russland, China und Donald Trump blicke. Und wir müssen – auch wenn das wie eine Floskel klingt – Vertrauen in die Politik zurückgewinnen. Aber wenn ich mir den Maskenskandal von Jens Spahn anschaue, muss die CDU gerade eher darauf schauen, dass nicht weiter Vertrauen verspielt wird.
Im Saarland sind die Grünen bei der letzten Landtagswahl denkbar knapp am Wiedereinzug in den Landtag gescheitert. Hilft es mit Blick auf die Wahl in knapp zwei Jahren, wenn die Grünen jetzt wieder ein Bundestagsmandat haben?
Ich kann jetzt saarländische Themen direkt nach Berlin tragen – und in Berlin die richtigen Fragen für das Saarland stellen. Wir haben beispielsweise eine Anfrage zum Thema Hochwasserprävention gestellt, bei der sich herausgestellt hat, dass die Landesregierung jahrelang keine Bundesmittel abgerufen hat, was sie hätte tun können. Oder das Thema Grenzkontrollen, was wir ja schon besprochen haben. Und es geht um das Thema Wirtschaft, beispielsweise die Frage, wie wir die Stahlindustrie bei ihrer Transformation zu Grünem Stahl unterstützen können. Gleichzeitig sind wir als Grüne im Saarland auf einem sehr guten Weg. Gerade die Anfrage zum Thema Hochwasser zeigt für mich: Wären die Grünen im saarländischen Landtag, dann hätten wir dort längst Druck gemacht. Wir sind gut vorbereitet, und ich erlebe eine sehr motivierte Partei, weil allen klar ist, wie sehr wir gebraucht werden. Über Klimaschutz spricht sonst keiner mehr. Und wir sind auch eine dezidiert proeuropäische Stimme. Das ist heute nicht mehr selbstverständlich. Wir haben im Saarland die große Herausforderung mit dem Strukturwandel. Da braucht es eine Partei, die Wirtschaft und Klima miteinander zukunftsorientiert verknüpft.