Bei der Rückkehr von seiner Antarktis-Expedition im Juni 1930 wurde der US-Amerikaner Richard Evelyn Byrd als Nationalheld gefeiert. Zuvor war ihm mit dem ersten Flug über den Südpol zur Kartografie des Kontinents Historisches gelungen.

Nachdem Richard Evelyn Byrd im Mai 1930 auf der wochenlangen Rückreise von seiner knapp zweijährigen Expedition in die Antarktis in Panama Zwischenstation gemacht hatte, bereiteten sich die USA auf einen würdigen Empfang des neuen Nationalhelden vor. Bereits Ende Dezember 1929 war ihm der militärische Dienstrang eines Konteradmirals der United States Navy verliehen worden, nun stieg er zu einem der berühmtesten Männer des Landes auf. Das zeigte sich beispielsweise zwei Jahre später, als ihm die Funktion des Schirmherrn der Olympischen Winterspiele von Lake Placid 1932 übertragen wurde.
Doch zunächst zurück in den Mai 1930. Der Aufenthalt in Panama zog sich in die Länge, weil Spezialisten des Hollywood-Filmstudios Paramount Pictures letzte Arbeiten für den exklusiven Dokumentarfilm „Mit Byrd zum Südpol“ vornehmen mussten. Schließlich war der Kino-Start in den Vereinigten Staaten fest für den 30. Juni 1930 eingeplant. Als Byrd schließlich im Juni 1930 in den New Yorker Hafen einfuhr, wurde sein Schiff ehrenvoll eskortiert und von einer riesigen Menschenmenge bejubelt. Der offizielle Empfang fand dann am 19. Juni 1930 im City Hall Park der Millionen-Metropole statt. Bereits einen Tag zuvor wurde Byrd im Big Apple mit einer sogenannten Ticker-Tape-Parade geehrt, bei der Unmengen von geschredderten Papierschnipseln von den Gebäuden entlang der als „Canyon of Heroes“ getauften Paraderoute rund um den Broadway auf den Gefeierten nieder rieselten.
Byrd wurde geliebt als verwegener Abenteurer
Diese außergewöhnliche Würdigung, die New York City seit 1886 etabliert hatte, war für Byrd nichts Neues. Bereits am 23. Juni 1926 war er schon einmal mit einer Ticker-Tape-Parade gefeiert worden. Wenngleich die damalige Ehrung mit einem Makel überschattet war. Byrd hatte niemals nachweisen können, dass er am 9. Mai 1926 gemeinsam mit seinem Freund Floyd Bennett tatsächlich den Nordpol mit seinem Flugzeug erreicht hatte. Spätere Zweifel konnten nie ausgeräumt werden, weshalb heute die Ehre der ersten erfolgreichen Flugexpedition zum Nordpol am 12. Mai 1926 dem legendären norwegischen Polarforscher Roald Amundsen und dessen US-Kollegen Lincoln Ellsworth mit dem Luftschiff „Norge“ zugeschrieben wird.

Der Popularität Byrds in den USA als verwegener Abenteurer oder im „Heldengeschäft“, wie er es selbst nannte, taten die Diskussionen um seinen unbewiesenen Nordpol-Flug keinen Abbruch. Zumal er auch mit einem Nonstopflug über den Atlantik im Jahr 1927 für Furore gesorgt hatte – auch wenn dieses Bravourstück den britischen Piloten John Alcock und Arthur Whitten Brown bereits 1919 erstmals gelungen war. Die Hinwendung zur Antarktis, mit dem Ziel des ersten Überflugs über den Südpol, soll Byrd einer Legende nach schon im Mai 1926 auf Spitzbergen geäußert haben – bei einem Dinner mit dem befreundeten Roald Amundsen, der den Entdeckungswettlauf zum Südpol im Dezember 1911 für sich entschieden hatte.
Generell war das sogenannte Goldene Zeitalter der Antarktis-Forschung nach einem knappen Vierteljahrhundert schon in den frühen 1920er-Jahren zu Ende gegangen. Die Expeditionen waren extreme und teils lebensgefährliche Ausdauerleistungen mit bescheidenen Mitteln. Obwohl die Entdecker-Krone des Südpols längst vergeben war, war die Antarktis dennoch ein weitestgehend völlig unbekanntes Terrain, oder wie der „Spiegel“ einmal schrieb: „ein riesiger weißer Fleck, zumindest auf den Weltkarten“. Alle Wagemutigen, die bis dahin jemals ihren Fuß auf das südpolare Eis gesetzt hatten, konnten bei ihren beschwerlichen Wanderungen durch das Niemandsland lediglich einige auffällige Berge oder Flächen zur Kenntnis nehmen. „Denn was all den Abenteurern und Forschern bis dato fehlte, das war der Überblick“, schrieb der „Spiegel“. „Sie waren zu Fuß durch das Niemandsland gestapft. Sie sahen Berge, benannten sie nach Königen, nach Expeditionsteilnehmern und Sponsoren. Aber sie hatten nie das Ganze sehen können. Jetzt aber sollte der US-Forscher Richard Evelyn Byrd in eine neue Zeit aufbrechen. Er würde die Antarktis vom Himmel aus erobern und als erster bei einer solchen Expedition Funk und Kommunikationstechnik einsetzen.“
Zwei Jahre Expedition für einen kurzen Flug

Byrd war klar gewesen, dass seine geplante und mit der Eröffnung eines bescheidenen Büros in New Yorks 45. Straße startende Mission zum Südpol Unsummen kosten würde. Allerdings profitierte der am 14. Oktober 1888 in Winchester als Spross einer der vornehmsten und finanziell bestens betuchten Gründerfamilien Virginias geborene Richard Eveyln Byrd bei seiner Sponsorensuche von erstklassigen gesellschaftlichen Vernetzungen in höchste Kreise der USA. Seine eigene Familie verdiente ihr Geld im Verlagswesen und war auch in die Politik eingestiegen. Richards Bruder Harry schaffte es zum Gouverneur Virginias und zum US-Senator. Er selbst begann im Alter von 20 Jahren eine Ausbildung bei der U.S. Naval Academy, musste seine Seefahrer-Karriere aufgrund diverser Knieverletzungen aber im März 1916 beenden. Ein Jahr später ließ sich Byrd, der im Januar 1915 die aus vermögender Familie stammende Maria Donaldson Ames geheiratet und später seinen Wohnsitz nach Boston in den dortigen vornehmen Stadtteil Beacon Hill verlegt hatte, dann zum Marineflieger umschulen. Wegen seiner recht bescheidenen Fähigkeiten als Pilot kam er zunächst aber vor allem als Navigator zum Einsatz. Ab dem Jahr 1922 entwickelte er ein zunehmendes Interesse für die Polarforschung und begleitete 1925 seinen wesentlich bekannteren Landsmann Donald MacMillan auf dessen Expedition zum Nordpol. Der von Byrd erhoffte Erstflug über den Nordpol musste damals allerdings wegen schlechter Wetterbedingungen abgesagt werden.

Wie auch immer. Für sein ambitioniertes Südpol-Projekt gelang es Byrd, eine ganze Reihe zahlungskräftiger Sponsoren zu gewinnen. Die Exklusivrechte für die Berichterstattung verkaufte er an die „New York Times“, die für den Fall eines Unglücks die Todesanzeigen sämtlicher Expeditionsteilnehmer in der Schublade aufbewahrte. Die Magazinrechte gingen an „National Geographic“, die Filmrechte an Paramount Pictures. Zusätzlich schossen auch noch der Milliardär John D. Rockefeller und der Sohn des Ford-Gründers Edsel Ford ganz erhebliche Summen zu. Am 28. August 1928 schließlich verließ ein gewaltiger Expeditionstross mit vier Schiffen, drei an Bord mitgeführten Flugzeugen, einer mobilen Werkstatt, einem Fotolabor, einem Hundeteam, einem Pilotenteam, modernster Funk- und Radiotechnik, 500 Tonnen Material, 5.000 Einzelteilen sowie einem ganzen Heer an Geologen, Meteorologen, Ingenieuren, Physikern und Ärzten die USA, um sich danach über den Panamakanal und Neuseeland auf den Weg in die Antarktis zu machen.
Ende Dezember 1928 erreichte die Expedition mit den Flaggschiffen „City of New York“ und „Eleanor Bolling“ das sogenannte Ross-Schelfeis. Nahe der Bucht der Wale wurde am 1. Januar 1929 die umfangreiche Stationsbasis „Little America“ mithilfe von vorgefertigten Bauteilen und zusätzlich mit durch Zeltplanen abgedeckten Iglus errichtet. Bei unwirtlichen Temperaturen wurden in den Folgemonaten Erkundungsflüge und Vermessungsarbeiten unternommen, Außenposten angelegt sowie geologische Proben eingesammelt. Doch Byrds eigentliches Ziel war natürlich der erste Flug zum Südpol – was dem Australier Hubert Wilkins beim ersten Motorflug über der Antarktis 1928 nicht gelungen war.

Am 28. November 1929 hob das kleine dreimotorige Flugzeug „Ford Trimotor“, das über eine Leistung von 975 PS verfügte und dessen Reisegeschwindigkeit auf 160 Stundenkilometer angelegt war, gegen 3.30 Uhr am Nachmittag von „Little America“ ab. Mit vier Mann Besatzung, Ersatztreibstoff, Lebensmitteln, einer ultra-schweren Luftbildkamera zum Kartographieren und einer Notfallausrüstung betrug das Gewicht mehr als sieben Tonnen. Byrd agierte neben dem Piloten Bernt Balchen wieder „nur“ als Navigator. Vervollständigt wurde das Team durch den Funker Harold June und den Kartographen Ashley McKinley. Zur Orientierung in der endlosen Weite hatte das Team lediglich zwei Driftmesser und einen Sonnenkompass an Bord. Bei der Annäherung an den rund 3.400 Meter hohen Liv-Gletscher stellte sich heraus, dass das Flugzeug wegen seines Ladegewichts die nötigen Höhenmeter nicht erreichen konnte. Kurzentschlossen wurden die leeren Benzinkanister und sämtlicher Proviant abgeworfen. Das half, und nach knapp neun Stunden Flug lag der Südpol gegen 1.15 Uhr unter dem Team.
„Der Pol lag im Zentrum einer endlosen Ebene“, schilderte es Byrd. „Keine Berge waren sichtbar. Das ist kurz gefasst alles, was es zum Südpol zu sagen gibt. Man kommt an. Mehr gibt es da nicht zu erzählen.“ Nachdem die amerikanische Flagge abgeworfen worden war und die Maschine noch einige Meilen rund um den Südpol gedreht hatte, trat die Besatzung gegen 1.25 Uhr den Rückflug in Richtung Basisstation an – mit einem Zwischenstopp am Fuße des Liv-Gletschers zur Betankung mit dort positionierten Treibstoffreserven. Um 10.10 Uhr, also gut 18,5 Stunden nach dem Start und insgesamt rund 2.600 zurückgelegten Kilometern, landete das Flugzeug wieder in „Little America“.