Er ist einfach immer da, unser kleiner steiniger Satellit. Doch war er auch immer schon da? Wann und wie ist unser Trabant eigentlich entstanden? Ein Überblick über die Theorien zur Entstehung des Mondes.
keine Frage, der Mond ist wieder in! Unser treuer Begleiter ist gerade in den Nachrichten, weil er bis Ende November selbst einen Gefährten hat, einen Mini-Mond sozusagen. Der Asteroid 2024 PT5 soll auf einer hufeisenförmigen Bahn um unseren Planeten ziehen und mit unserem Satelliten kurz gemeinsam durchs kosmische Erde-Mond-Leben gehen. 2024 PT5 könnte Auswurfmaterial sein, das von einem Einschlag auf dem Mond stammt und somit ein Fragment des Mondes selbst sein.
Dann geben sich die Weltraumnationen unseres Blauen Planeten seit einigen Jahren regelrecht die Klinke in die Hand, um die Erforschung des Mondes nach quasi Jahrzehnten des Sonden-Stillstandes wieder voranzutreiben. Seitdem am 3. Januar 2019 die chinesische Raumsonde Chang’e-4 auf der Mondrückseite landete – erstmals in der Geschichte der Menschheit – reihen sich wieder Missionen aus dem Reich der Mitte, den USA, Indien, Israel, Japan, Russland und Pakistan wie die Perseiden aneinander.
Kollisionstheorie am plausibelsten
Da passt es gut, dass das Fachmagazin „Planetary Science Journal“ gerade neue Forschungsergebnisse zur Entstehung unseres treuen Begleiters veröffentlichte. Darren Williams, Professor für Astronomie und Astrophysik an der Penn State Behrend, und Michael Zugger, ein leitender Forschungsingenieur am Applied Research Lab an der Penn State, bieten somit eine weitere Theorie an: Der Mond soll während einer Begegnung zwischen der sehr jungen Erde und einem terrestrischen Doppelstern – dem Mond und einem anderen felsigen Objekt – eingefangen worden sein.
Laut dieser Theorie schnappte sich die Gravitation der Erde eines der Objekte, indem sie die beiden Körper dieses Binärsystems voneinander trennte – der Mond, wie wir ihn heute kennen, entstand und kreist seitdem in seiner aktuellen Umlaufbahn um uns, wie die Wissenschaftler erläutern. Sie betonen, dass Ähnliches auch in anderen Regionen des Sonnensystems passiert sein könnte. Triton etwa, der größte der Neptun-Monde, soll von seinem Planeten mutmaßlich aus dem Kuipergürtel eingefangen worden sein.
Nur wenige Wochen zuvor hatte ein Forschungsteam von der ETH Zürich ebenfalls eine neue Entstehungstheorie präsentiert: Die Schweizer gehen davon aus, dass Erde und Mond ungefähr zur selben Zeit aus der gleichen Materialwolke entstanden sind. Denn, so ihre Argumentation, die beiden Himmelskörper seien sich zu ähnlich, als dass der Mond ein Bruchstück der Erde sein könne.
Damit kommt nach rund 40 Jahren neue Bewegung in die Theorie-Gerüste zur Entstehung des Mondes, denn nur eines scheint gesichert: Niemand war dabei, als es passiert ist. Darren Williams sagt zum Schwerpunkt der bisher wahrscheinlichsten Theorie: „Die Kona-Konferenz war 40 Jahre lang richtungsweisend.“ Die neuen Theorien eröffneten „eine Fundgrube für neue Fragen und Möglichkeiten für weitere Untersuchungen“. Er sagt auch: „In den letzten vier Jahrzehnten hatten wir nur eine Möglichkeit, wie er entstanden sein konnte.“
„Kona“ heißt vollständig Kailua-Kona und liegt im Westen der Insel Hawaii. Dort findet 1984 eine internationale Konferenz über die Ursprünge des Mondes statt. Forscher aus der ganzen Welt verständigen sich dabei darauf, dass die Kollisionstheorie die Fakten deutlich besser beschreibe als alle anderen Theorien. Denn: Ein gutes Modell muss nicht nur physikalisch möglich, sondern auch mit den Eigenschaften des Mondes und des ganzen Erde-Mond-Systems vereinbar sein.
Dies ist eben bei der Kollisionstheorie am ehesten der Fall. Ihr zufolge streift in der Frühzeit des Sonnensystems ein Himmelskörper etwa in der Größe unseres Planeten-Nachbarn Mars die junge Erde. Dabei wird Material aus dem Himmelskörper sowie aus dem Gesteinsmantel der Erde ins All geschleudert. Dort sammelt sich alles ringförmig in einer nahen Erdumlaufbahn und verdichtet sich zum Mond. Dies erkläre laut Forschern bislang am besten, warum sich die Zusammensetzungen von Erdgestein und von Mondgestein manchmal gleichen und manchmal unterscheiden.
Beschrieben wird die Theorie 1975 von William K. Hartmann und Donald R. Davis. Demnach hat zu dem genannten Zeitpunkt die Proto-Erde Gaia bereits etwa 90 Prozent ihrer heutigen Masse. Die Kollision mit dem hypothetischen marsgroßen Protoplaneten Theia erfolgt nicht frontal, sondern streifend. Somit werden große Materiemengen in den Erdorbit geschleudert, die aus Teilen von Theias Mantel sowie des Erdmantels bestehen, während sich gleichzeitig die Eisenkerne vereinigen.
In weniger als 100 Jahren – nach kosmischen Maßstäben also ohne Umschweife – bildet sich im Orbit der Proto-Mond. Dieser habe schnell alle restlichen Trümmer eingesammelt und müsste sich nach knapp 10.000 Jahren zum Mond mit ungefähr der Masse verdichtet haben, die er noch heute hat. In einem Abstand von vermutlich lediglich rund 60.000 Kilometern umkreiste er die Erde, die sich nach dem Impakt noch sehr schnell dreht, was wiederum zu sehr starken Gezeitenkräften geführt haben müsste.
Diese extreme Gezeitenreibung führt zunächst zu einer sehr schnellen Abbremsung der Erdrotation, und der Drehimpuls überträgt sich auf den Mond, dessen Bahnradius sich sehr schnell vergrößert. Bis heute dauert die Wechselwirkung von Abbremsung der Erdrotation und Zunahme des Bahnradius des Mondes an – wenn auch stark abgeschwächt. Die Kollisionstheorie erklärt zudem, wieso von der Erde aus stets nur dieselbe Seite des Mondes zu sehen ist: Die Gezeitenreibung sorgt dafür, dass der Mond eine synchronisierte Eigendrehung besitzt.
Trotz der neu hinzugekommenen Theorien bleibt die Kollisionstheorie jedoch erst mal weiter die schlüssigste. Zur Entstehung des Erde-Mond-Systems gibt es im Laufe der Jahrhunderte immer wieder viele Vorstellungen. Bereits der französische Philosoph und Naturwissenschaftler René Descartes stellt im 17. Jahrhundert Überlegungen an, die als Vorläufer der Einfangtheorie gelten können. Diese besagt, dass Erde und Mond unabhängig in verschiedenen Regionen des Sonnensystems entstanden sind und dass die Erde bei einer engen Begegnung den Mond durch ihre Gravitation „einfing“.
Immer wieder neue Theorien
Seit dem 19. Jahrhundert kommen weitere Theorien hinzu. Etwa die Abspaltungstheorie, nach der sich von einer heißen, (zäh)flüssigen und schnell rotierenden Proto-Erde ein „Tropfen“ abschnürte – der spätere Mond. Nach der Schwesterplanet-Theorie entstehen Erde und Mond gleichzeitig und nahe beisammen. Die Öpik-Theorie schließt, dass der Vorläufer des Mondes aus der Materie entsteht, die von einer heißen Proto-Erde abdampft. Die Viele-Monde-Theorie besagt, dass mehrere Monde gleichzeitig eingefangen wurden und nach einiger Zeit kollidierten. Aus den Bruchstücken bildete sich der heutige Mond. Die Proto-Erde spielt auch in der Synestia-Theorie eine große Rolle, denn demnach wurde sie durch eine heftigere Kollision fast völlig verdampft; im Außenbereich der Synestia genannten Wolke kondensierte dann der Mond.
Doch warum fasziniert der Mond uns auch heute noch und wozu widmet man der Erforschung des steinigen Nachbarn überhaupt so viel Manpower? Nun, er ist und bleibt vorerst der bislang einzige terrestrische Körper, der neben einer Vielzahl von Sonden auch von Menschen direkt untersucht wurde – weitere bemannte Mondlandungen sind geplant. Zudem ist er derzeit noch neben der Erde der einzige Himmelskörper, auf dessen Oberfläche seismische Messungen und Wärmeflussuntersuchungen durchgeführt wurden.
Durch die Erforschung des Mondes erhofft man sich zudem ein vertieftes Verständnis darüber, w ie die junge Erde entstand und wie sie sich entwickelte. Der Mond könnte beispielsweise bei der Entwicklung des Lebens auf der Erde eine entscheidende Rolle gespielt haben, da er seit drei bis vier Milliarden Jahren durch seine Schwerkraft für die Stabilisierung der Erdachse sorgt. Die Gezeiten sind vom Mond abhängig und sorgen dafür, dass sich immer wieder lebenswichtige Minerale aus den Gesteinen herauslösen und das Wasser der Ozeane anreichern können. Es bleibt also spannend um unseren sympathischen stillen kleinen Begleiter.