Markus Hänni aus Bern leidet an der Erbkrankheit Mukoviszidose, auch „cystische Fibrose“ (kurz „CF“) genannt. Mit FORUM sprach er über seine Kindheit mit der Erkrankung und sein heutiges Leben.
Herr Hänni, wann und wie hat man Ihnen in Ihrer Kindheit erzählt, dass Sie eine schwere Erkrankung haben?
Als ich zwei Jahre jung war, hatte ich einen starken Husten, der nicht vorbeigehen wollte. Daraufhin kam ich für weitere Abklärungen in die Kinderklinik. Dort wurde dann die Diagnose „Mukoviszidose“ gestellt. Das heißt, soweit ich mich erinnern kann, lebe ich mit dieser Stoffwechselkrankheit und bekam die Schwere der Krankheit laufend zu spüren. Sei dies durch die vielen Medikamente, die zeitaufwendigen Inhalations- und Atemtherapien, Krankenhausaufenthalte, gestellte Prognosen und so weiter. Insofern gab es keinen Zeitpunkt in meiner Kindheit, an dem man mir erzählen musste, dass ich eine schwere Krankheit habe. Die Auswirkungen und Bedeutungen der Mukoviszidose prägten meinen Alltag. Auch mein Verständnis und der Umgang änderte sich mit den Jahren.
Wie sind Sie und Ihre Eltern damit umgegangen?
Meine Eltern haben stets ihr Bestes gegeben und versucht, den Alltag für die Familie so gut wie möglich zu managen. Wir waren vier Kinder und drei davon hatten Mukoviszidose. Dies bedeutete eine große zusätzliche Belastung, auch psychisch. Ich alleine musste durch den Tag hindurch um die 30 Tabletten einnehmen – Antibiotika, Entzündungshemmer, Enzyme, Vitamine, … – und drei Stunden Inhalations- und Atemtherapie pro Tag zu machen. Als Kleinkind bestand die Atemtherapie aus einer Klopftherapie, die half, das dickflüssige Sekret zu mobilisieren. Dazu kamen die vielen Arztbesuche, Krankenhausaufenthalte et cetera. Meine Eltern haben diese Herkulesaufgabe mit großen Anstrengungen, vielen Nöten und Einschränkungen bewältigt. Dafür bewundere ich sie immer wieder aufs Neue. Sie haben ihr Bestes gegeben, dass wir Kinder ein schönes Zuhause und einen möglichst normalen Alltag haben.
Unter welchen Symptomen und Einschränkungen haben Sie in Ihrer Kindheit und Jugend gelitten?
Die typischen Symptome waren der chronische Husten, Atemnot, körperliche Schwäche und immer wieder Infekte in den Lungen. Auch auf die Ernährung musste man gut Acht geben. Ich war sehr mager und musste viel mehr und fettreicher essen als meine Freunde, damit ich nicht an Gewicht verliere.
Einschränkungen waren immer da und somit gehörten sie zum gewohnten Alltag, den ich nicht anders kannte. Da waren die vielen Therapiezeiten (drei Stunden pro Tag), an die man gebunden war, Medikamente und Ernährungsergänzungen, die man zu sich nehmen musste und regelmäßige Untersuchungen. Dann gab es immer wieder Krankheitszeiten und wochenlange Krankenhausaufenthalte. Ab dem Teenie-Alter merkte ich dann auch, dass ich den Freunden im Sport nicht mehr nach mochte, und immer mehr auch, dass ich niedrigere Energieressourcen als sie habe.
Konnten Sie halbwegs regelmäßig zur Schule gehen und später einen Beruf erlernen?
Ich konnte die Schule mit vielen Unterbrechungen machen, die vorwiegend durch Krankenhausaufenthalte verursacht wurden. Diese Unterbrechungen wurden einerseits mit Unterricht im Krankenhaus aber auch mit Unterstützung in der Schule bestmöglich aufgefangen. Auch meine kaufmännische Ausbildung konnte ich mit einem solchen Spezialarrangement machen.
Wie sahen die Prognosen aus, die Sie in Ihrer Kindheit und Jugend von Ärzten erhielten?
Als die Diagnose gestellt wurde, hoffte man, dass ich in zwei Wochen noch leben werde. Dann hieß es, in die Schule werde ich nie kommen, und als ich in der Schule war, hieß es, volljährig werde ich nicht. Dann war ich 20-jährig und schlussendlich 30-jährig. Danach stellte man keine Prognosen mehr. Übel nehme ich diese gestellten Prognosen niemandem. Diese beruhten auf der traurigen Statistik und die Lebenserwartung war stets ein zentrales Thema.
Sie haben in Ihrer Jugend versucht, sich das Leben zu nehmen. Was war da passiert?
Das war etwas, was sich leider über die Jahre aufgebaut hat. Die immer neu gestellten und sehr erdrückenden Ultimaten und der zunehmend schlechtere Verlauf der Krankheit raubten mir als junger Mensch jegliche Perspektive. Dazu kamen Rückschläge, wie ein Beziehungsbruch oder den Job aufzugeben, die ich einstecken musste. Dies führte mich vermeintlich in eine Sackgasse.
Wie haben sich die Prognosen von Ärzten und die Sicht auf Mukoviszidose verändert?
Die niedrige Lebenserwartung bei Mukoviszidose war allgemein bekannt und auch immer wieder Thema. Ab und zu verlor man eine Freundin oder Freund an die Krankheit. Daneben entwickelte sich die CF-Medizin weiter und die durchschnittliche Lebenserwartung wurde laufend erhöht. Es ist noch gar nicht so lange her, als man sagte: „Jetzt wird die Mukoviszidose erwachsen.“ Die Ärzte hatten für mich keinen großen Einfluss darauf, wie ich die Krankheit sah. Dieses Bild wurde vielmehr durch Erlebnisse geprägt.
Werden Sie aktuell noch anderweitig behandelt?
Seit ich die Trikafta-Tabletten – oder Kaftrio, wie sie in Deutschland heißen – nehmen darf, hat sich meine Behandlung fundamental zum Guten verändert. Aktuell wird sie laufend fein angepasst. Doch der Hauptstein der Behandlung ist das Trikafta.
Müssen Sie noch auf Ihre Ernährung achten?
Ja, ich achte auf eine gute und ausgewogene Ernährung.
Wie geht es Ihnen momentan?
Aktuell ist der Verlauf stabil und mir geht es recht gut.
Wie geht es Ihren Geschwistern, die dieselbe Erkrankung haben wie Sie?
Meinen Geschwistern geht es gut. Auch sie können von dem neuartigen Medikament profitieren. Sie hatten stets einen viel stabileren Verlauf als ich.
Wie sieht Ihr Alltag aus?
Speziell an meinem Alltag sind nach wie vor die Therapiezeiten, wenn auch kürzer, und vielleicht auch die teils reduzierten Energieressourcen.
Können Sie heute einem Beruf nachgehen?
Ja, zumindest Teilzeit. Ich arbeite bei einer Redaktion und in verschiedenen Projekten, vorwiegend im kreativen Bereich. Aktuell mache ich sogar noch eine zweijährige Ausbildung zum Coach.
Sie sind auch Familienvater. Ist die Krankheit oft Thema zu Hause oder wie sieht das aus? Und wie gehen Ihre Frau und Ihre Kinder damit um?
Meine Krankheit ist immer wieder Thema. Wir, meine Frau und ich, gehen ganz offen damit um, diskutieren es auch dem Alter entsprechend offen mit den Kindern.
Hatten Sie Angst, dass eins Ihrer Kinder auch Mukoviszidose bekommen könnte, beziehungsweise wie konnte man dies ausschließen?
Nein, die Krankheit wird rezessiv vererbt. Nur wenn beide Träger sind, kann das Kind die Krankheit bekommen. Ob man Träger ist, kann man mit einer Blutprobe untersuchen. Das haben wir bei meiner Frau gemacht. Da sie nicht Trägerin ist, wussten wir, dass unsere Kinder die Krankheit nicht haben werden.
Was gibt Ihnen Kraft im Leben?
Die zwei stärksten Komponenten sind mein Umfeld, insbesondere die Familie, und mein Glaube, aus dem ich auch Zuversicht schöpfe.
Sie versuchen, im Hier und Jetzt zu leben – wie lernt man das?
Dies zu leben ist ein lebenslanger Prozess. Mir gelingt es am besten, wenn ich mich auf den Moment einlasse, spüre, was ich wahrnehme, was ich rieche, was ich fühle … und mich so auch gedanklich aufs Hier und Jetzt einlassen kann. Zu oft bin ich abgelenkt und mache mir Sorgen, die im Nachhinein oft vergebens waren. Wenn ich ganz bei mir im Hier und Jetzt bin, dann hat das auch Einfluss auf mein Umfeld. Diesem schenke ich so meine ungeteilte Aufmerksamkeit, meine Zeit und somit auch ein anderes Gefühl. Es lohnt sich, sich darauf einzulassen.
Tauschen Sie sich auch mit anderen Betroffenen aus, zum Beispiel in Selbsthilfegruppen oder Online-Foren?
Ja, immer wieder. Ich glaube, das Bedürfnis nach Austausch mit anderen Betroffenen ist sehr individuell. Zu viel, aber auch zu wenig kann schlecht sein. Meinen Weg habe ich gefunden und ich unterstütze gerne andere Betroffene, damit sie einen für sich variablen Umgang finden.
Welche Tipps würden Sie anderen Betroffenen geben?
Vorab, sich bei psychischen Problemen unbedingt professionelle Unterstützung holen. Hilfe in Anspruch nehmen zu können, spricht von Stärke. Dann Freundschaften zu pflegen und Zeit in andere Menschen zu investieren. Tiefe Beziehungen, Bewegung und Kreativität sind etwas vom Besten, was wir uns selbst schenken können. Erst in der Gemeinschaft entsteht Wachstum und ein Zugehörigkeitsgefühl. Durch sie lernen wir andere Sichtweisen kennen und Verständnis aufzubringen.
Perspektivenwechsel: Gut zuhören und Zeit geben, dass jemand seine Probleme und seine Sicht der Dinge erklären kann, ist äußerst hilfreich. Dabei aufrichtiges Interesse zeigen und Verständnis aufbringen ist viel wichtiger und kraftvoller, als gute Ratschläge zu geben.