Die harmlose Offensive gefährdet Unions Saisonziel Klassenerhalt und erhöht den Druck auf Sportchef Horst Heldt, personell vielleicht doch noch mal nachzulegen. Intern sind die Alternativen überschaubar.
Im vergangenen Oktober war Horst Heldt bei der Mittelstürmer-Frage noch zu Scherzen aufgelegt. „Natürlich träumt jeder von Harry Kane. Den kann ich mir hier auch gut vorstellen. Er ist jemand, der einem 20 Tore in einer Saison garantiert“, sagte der Sportvorstand des 1. FC Union Berlin angesprochen auf die schon damals maue Torausbeute der Eisernen. Dass der englische Nationalstürmer in Diensten des FC Bayern mindestens zwei Nummern zu groß für Union ist, wusste Heldt natürlich. Doch die Schwärmerei für einen Top-Angreifer der Kategorie Kane nahm ihm niemand übel. Die Stimmung war damals noch deutlich besser, weil die wenigen Treffer noch für genug Punkte gesorgt hatten. „Wir sind im Angriff variabel aufgestellt und haben nicht nur den einen Stürmer, der für Tore verantwortlich ist“, sagte Held damals. „Das kann auch ein Vorteil sein. Wir sind dadurch nicht so leicht berechenbar.“
Es darf bezweifelt werden, dass sich der Sportchef heute, drei Monate später, noch mal so äußern würde. Die Offensivschwäche mit nur 16 Toren nach 19 Spielen ist eklatant – und gefährdet zweifelsohne die Mission Klassenerhalt. Die jüngste 0:3-Pleite bei Aufsteiger FC St. Pauli hat dies noch mal allen Beteiligten klar aufgezeigt. Union ist auf Tabellenplatz 14 abgerutscht, der Vorsprung auf den Relegationsrang 16 beträgt nur noch vier Punkte. Und im Heimspiel an diesem Wochenende kommt Champions-League-Dauergast RB Leipzig in die Alte Försterei. Es droht die nächste Pleite – und die nächste Nullnummer im Angriff.
Die Sturmflaute erhöhte den Druck auf Heldt, in der Winter-Transferperiode vielleicht doch noch mal personell nachzulegen. Doch das war auch eine Frage des Geldes. Nach Jahren im internationalen Geschäft inklusive einer Champions-League-Saison sind die Gehälter der Spieler gestiegen, teure Missverständnisse wie die von Italiens Ex-Europameister Leonardo Bonucci oder dem Vier-Millionen-Euro-Mann Kevin Volland drücken auf die Bilanz. Der Spielraum für Verstärkungen war klein, entsprechend gering waren auch die Optionen. „Es ist nur schwierig, Schnellschüsse zu ziehen“, sagte Trainer Steffen Baumgart. Der Nachfolger von Bo Svensson forderte öffentlich keinen neuen Stürmer, auch wenn er in seinem sehr flügellastigen Spielsystem einen wuchtigen Neuner mit Kopfballstärke und Torinstinkt dringend braucht. Er tausche sich mit Heldt deswegen aus, sagte Baumgart, „unabhängig davon, dass ich die Jungs, die hier sind, sehr gut finde“. Aber was soll der Coach auch anderes sagen? In den ersten Wochen seiner Amtszeit gleich neue Spieler zu fordern, kommt bei keinem Boss gut an. Auch bei Heldt nicht.

Der Sportchef konnte die Forderungen im Umfeld des Clubs nach einem neuen Stürmer ohnehin nicht ganz nachvollziehen. „Das nur auf die Stürmer zu reduzieren, wäre nicht richtig“, sagte der 55-Jährige. „Man kann nicht immer nur sagen, der Stürmer trifft nicht und deshalb läuft es nicht, sondern der Stürmer muss auch richtig gefüttert werden. Wir müssen dahin kommen, dass wir mehr Chancen kreieren, dass wir höherstehen und dass wir mehr Leute in den Angriff hineinbekommen.“ Es sei zwar ein Fakt, dass das Team zu wenig Tore erziele, „aber es ist auch so, dass wir unser Spiel nach vorne grundsätzlich verbessern müssen“. Und das sei keine Entwicklung, die erst mit seiner Amtsübernahme im vergangenen Sommer zu tun hat. Das sei „in den letzten anderthalb Jahren auch ein Thema“ gewesen, so Heldt, „was dazu geführt hat, dass wir zu wenig Tore gemacht haben“.
Hollerbach mit vier Toren der beste Stürmer
Fakt ist aber auch: Heldt hat es gemeinsam mit Ex-Trainer Svensson und Chefscout Oliver Ruhnert in der Sommer-Transferperiode nicht geschafft, dieses Offensivproblem personell zu beheben. Ivan Prtajin und Andrej Ilic wurden als neue Stürmer verpflichtet, László Bénes mit großen Hoffnungen als Kreativspieler vom Hamburger SV nach Köpenick gelockt – Stand jetzt rechnen sich diese Transfers nicht. Jordan Siebatcheu gab man nach seiner Leihe zu Borussia Mönchengladbach eine neue Chance, aber dem US-Amerikaner gelang in 19 Pflichtspielen in dieser Saison kein einziger Treffer. Und nur eine Torvorlage auf dem Konto ist ebenfalls kein Bewerbungsschreiben für weitere Startelfeinsätze. Dabei weiß der 28-Jährige eigentlich, wo das Tor steht: In seiner besten Saison bei Ex-Club Young Boys Bern hatte er insgesamt 27 Treffer in 45 Spielen erzielt und sich damit für einen Wechsel aus der Schweiz in die Bundesliga empfohlen. Doch diese Form konnte er bislang nicht bestätigen. Dennoch darf Siebatcheu regelmäßig spielen, es fehlte an Alternativen. Außerdem wird intern hoch geschätzt, dass sich der bullige Angreifer nicht hängen lässt und viel für das Team arbeitet. „Ich sehe, wie er sich stetig verbessert“, sagte kürzlich Benedict Hollerbach über seinen oft kritisierten Mitspieler: „Ich glaube, er gewinnt 80 Prozent seiner Luftduelle. Er legt mir die Dinger schön ab. Das ist auch für mich extrem wichtig.“ Hollerbach ist mit vier Toren in 19 Ligaspielen noch der torgefährlichste Offensivspieler der Unioner. „Allein kann ich überhaupt nichts reißen. Ich bin angewiesen auf meine Mitspieler vorn“, sagte der 23-Jährige.
Mit Volland hat Hollerbach kaum zusammengespielt. Der frühere Nationalspieler kommt in der Bundesliga in dieser Saison auf wenige Spielminuten. Nach einer schweren Knie-Verletzung samt Operation und anschließender Infektion hatte der genesene Volland eigentlich gehofft, unter Baumgart endlich mehr zum Zug zu kommen. Doch auch der neue Coach stellt den erfahrenen Angreifer nicht in die Startelf. Beim Spiel gegen den FC Augsburg schaffte es der 32-Jährige nicht einmal in den Kader. „Das hat sportliche Gründe“, hatte Baumgart hinterher seine Entscheidung begründet: „Ich habe ihm klar gesagt, was ich will und was ich erwarte. Im Moment reicht es noch nicht.“ Es bedarf wenig Fantasie dafür zu erahnen, dass die Verantwortlichen Volland gern ziehen lassen würden. Sportlich ist er kein Faktor mehr, finanziell aufgrund seines gutdotierten Vertrags aber eine Belastung. Doch angesichts der Formschwäche und der Verletzungs-Historie ist der Markt für einen Kevin Volland im Alter von 32 Jahren sehr überschaubar. Und Abstriche beim Gehalt macht ein Fußballprofi in der Regel auch nur selten.
Geld war bei Union zuletzt beim traditionellen Weihnachtssingen einen Tag vor Heiligabend gesammelt worden – aber das wurde nicht in Spielergehälter oder etwa in Neuverpflichtungen investiert. Union gab bekannt, dass für die von der vereinseigenen Stiftung „Union vereint. Schulter an Schulter“ insgesamt fast 10.000 Euro an Spenden zusammengekommen sind.
Unter dem Motto „Eisern statt Einsam“ hatten viele freiwillige Helfer und Weihnachtsmänner der „Hammer Hearts“ Spenden gesammelt. Das Geld werde „Menschen aus der unmittelbaren Nachbarschaft zugutekommen, sei es bei der Essenausgabe an jedem Dienstag im Monat am Fanhaus oder in einem der anderen sozialen Projekte der Stiftung“, teilte der Club mit.