Der amerikanische Filmemacher David Fincher schickt in seinem Thriller „The Killer“ einen Auftragsmörder auf eine Vendetta, die ihn um die halbe Welt führt. Michael Fassbender spielt den wortkargen Killer mit chirurgischer Präzision.

In einem leerstehenden Loft in Paris liegt ein Killer (Michael Fassender) auf der Lauer. Geduldig wartet er darauf, dass im gegenüberliegenden Fünf-Sterne-Hotel endlich die Person auftaucht, der er mit seinem Präzisionsgewehr eine Kugel in den Kopf jagen wird. Und er wartet und wartet. Tage, Nächte. Unser Killer vertreibt sich dabei die Zeit mit Yoga und lässt uns – via Voice-Over – an seiner Gedankenwelt teilnehmen: „Es gibt kein Glück oder Karma und leider auch keine Gerechtigkeit. Halte dich an deinen Plan, improvisiere nie. Untersage dir Empathie. Empathie ist Schwäche. Schlage nur die Schlacht, für die du bezahlt wirst. Es sind die Stunden der Tatenlosigkeit, die dich zugrunde richten. Die große Leere ist nichts. „Töte oder werde getötet“, sind einige seiner Grundsätze, die nicht nur zufällig an einen abgewandelten Samurai-Kodex erinnern. Dann ist es endlich soweit: Die Zielperson ist aufgetaucht, eine Edelprostituierte im Schlepptau. Unser Killer ist bereit, atmet gleichmäßig und ruhig, Puls unter 60, nimmt sein Opfer seelenruhig ins Fadenkreuz und schießt – daneben. Er trifft die Prostituierte.
Die Spannung baut sich langsam auf
In dieser langen, meditativen und wie ein Uhrwerk inszenierten Eröffnungssequenz baut Fincher die Spannung sehr verhalten auf. Als ob er uns sagen will: Da macht eben jemand seinen Job, und der ist ziemlich langweilig. Doch dann die Überraschung: Das Attentat misslingt. Jetzt schaltet Fincher einen Gang hoch. Der Killer macht sich aus dem Staub. Der nächste Schauplatz ist die Dominikanische Republik. Dort hat er sein Refugium. Als er eintrifft, muss er allerdings feststellen, dass seine Hacienda von fremden Eindringlingen halb verwüstet wurde und seine Freundin (Sophie Charlotte) schwerverletzt im Krankenhaus liegt. Als sie aus dem Koma erwacht, teilt sie ihm mit, dass es ein Mann und eine Frau waren, die wissen wollten, wo er sei. Sie habe aber nichts verraten. Unser Killer ist schockiert und schwört Rache. Doch trotz seines Mantras, immer distanziert und methodisch vorzugehen, macht er sich schließlich auf die Jagd – um diejenigen aufzuspüren, die es gewagt haben, ihn zu bedrohen. Jetzt endlich kommt der Film richtig in Fahrt.

David Fincher hat sein Interesse an Mördern schon in Filmen wie „Sieben“ (1995), „Zodiac“ (2007) und „Gone Girl“ (2014) zum Thema gemacht. Damals konzentrierte er sich vor allem auf die Psychologie, die Motive und die Ermittlungsarbeiten. Für sein neues Katz-und-Maus-Spiel hat er die Per-spektive gewechselt und macht nun den Killer zum Protagonisten. Zu einem Helden ohne Moral, oder wie dieser selbst sagt: „Glaube ist ein Placebo.“ Aus dem Auftragsmörder wird ein Racheengel, der sehr private Gründe hat, Killer zu killen.
Der irische Charakterdarsteller Michael Fassbender spielt den Killer mit faszinierender Perfektion. Auf seinen Trips nach New Orleans, Miami, New York und schließlich Chicago kleidet er sich wie ein „deutscher Tourist, den niemand mag, an den sich aber auch niemand erinnert“, wie er uns in einem Off-Kommentar wissen lässt. Er reist mit stoischer Gelassenheit unter dem Radar, mit verschieden Identitäten, übernachtet in Low-Budget-Hotels und holt sich aus diversen Depots immer wieder neue Pässe, Waffen, Outfits und natürlich auch Nummernschilder. Die üblichen Killerfilm-Accessoires eben.
Ein Spiel von mächtigen Männern

Er stattet seinem Auftraggeber, der ihn für den Mord gebucht hat, einen Besuch ab, und erfährt von dessen Sekretärin die Namen und Adressen der beiden Killer, die ihr Chef – nach dem misslungenen Attentat – auf ihn selbst angesetzt hat. Als er weiterzieht, hat er zwei Leichen mehr auf dem Konto. In Miami erledigt er in einem blutigen, ultrabrutalen Zweikampf den Typen, der seine Freundin so übel zugerichtet hat. Es ist die einzige – allerdings atemberaubend ausgeflippt choreografierte – echte Action-Sequenz des Films. Bleibt noch ein Killer übrig – gespielt von Tilda Swinton. Und die darf bei ihrer Henkers-Mahlzeit in einem New Yorker Edelrestaurant noch einen sehr schmutzigen Witz erzählen und sehr viel, sehr teuren Whisky trinken, bevor sich der Killer ihr annimmt. Der eigentliche Showdown findet dann im Appartement des Crypto-Milliardärs statt, der mit dem ursprünglichen Mordauftrag alles ins Rollen gebracht hat. Und endet überraschend.
David Finchers Film „The Killer“ (seit dem 10. November auf Netflix) basiert auf der gleichnamigen Comic-Buchreihe des französischen Autors Alexis „Matz“ Nolent und seines Zeichners Luc Jacamon. Den pulsierenden Soundtrack besorgten auch diesmal wieder Trent Reznor und Atticus Ross, die Fincher gerne für seine Filme beschäftigt. „The Killer“ ist ein sehr unterhaltsamer, streng durchkom-ponierter Exkurs in Sachen Absurdität, der zeigt, dass der Killer eigentlich immer nur eine Handpuppe im Spiel ultrareicher und mächtiger Männer ist. Wer Filme wie „Der Eiskalte Engel“, „Léon – Der Profi“, „Der Schakal“ oder „No Country For Old Men“ schätzt, wird auch an „The Killer“ seine Freude haben.