Das traditionell mit Glamour und Luxus verbundene Gewebe namens Samt feiert in dieser Wintersaison sowohl in der Damen- als auch in der Herrenmode eine beachtliche Renaissance. Allerdings wurde dies medial bislang kaum ausreichend gewürdigt.
Beim 75-jährigen Jubiläum der Emmy Awards, dem bedeutendsten Fernsehpreis der USA, stahl ein Gewebe auf dem Roten Teppich des Los Angeles „Peacock Theatre“ am 15. Januar 2024 allen anderen die Show. Selten zuvor hatten sich so viele Stars und Sternchen bei dieser prestigeträchtigen Gala-Veranstaltung in festlichen Samt gehüllt. Besonders auffällig war, dass nicht nur zahlreiche Promi-Damen zu Samtkleidern griffen, sondern auch etliche männliche Schauspieler dieses seidig anmutende, buttrig-weiche Gewebe mit seiner dreidimensionalen Struktur und farbverstärkenden Wirkung bevorzugten. Christina Applegate präsentierte sich in einem roten Samtkleid, während Christina Ricci sich für ein klassisches Velvet-Schwarz mit tiefem Ausschnitt entschied. Ihre Kollegin Elizabeth Debicki zeigte in ihrem tief kastanienbraunen Samtkleid dank einer offenherzigen Rückansicht viel nackte Haut. Megan Faby sorgte mit einem maßgeschneiderten Armani-Traum aus Samt und Seide für Aufsehen und Neid. An der Seite von Juno Temple traten die beiden männlichen Hauptdarsteller der US-Comedy-Serie „Ted Lasso“, Jason Sudeikis und Cristo Fernàndez, in elegantem Samt mit schicken Blazern auf. Auch Ronald Gladden fühlte sich in seinem klassisch geschnittenen Velvet-Anzug ganz offensichtlich pudelwohl.
Großes Comeback des Trendmaterials
Einen Monat nach der Emmy-Festivität kündigte Fashion-Grandseigneur Giorgio Armani in der „Vogue“ das große Comeback des Retro-Gewebes Samt für die Wintersaison 2024/2025 an. Mit seinem Label Emporio Armani sollte er selbst auf der Mailänder Fashion Week den Vorreiter geben. Unter dem Motto „Night Glow“ zollte der Großmeister der italienischen Damenmode mit einem Rückgriff auf traditionell bewährte Materialien und einem untrüglichen Gespür für zeitlose Eleganz der Schneiderkunst vom Feinsten seinen Respekt. Vor allem seine Rückbesinnung auf hauseigene Klassiker abseits kurzlebiger Trends war ein bewusster strategischer Schritt, um seinen Kundinnen ebenso hochwertige wie langlebige Stücke ans Herz zu legen. „Nachdem sich Cordhosen bereits im vergangenen Jahr durch ihre Bequemlichkeit und ihren coolen Retro-Vibe bei Streetstyle-Looks durchgesetzt haben, scheint nun auch die elegantere Variante – Samt – ein Comeback auf dem Trendradar zu feiern“, so die „Vogue“ in Bezug auf die Armani-Kollektion, die laut ihrem Schöpfer „eine Hommage an den leuchtenden Nachthimmel, der mit Sternen übersät ist und von einem strahlenden Mond regiert wird“, sein sollte.
Für diese Hommage hatte sich Giorgio Armani bewusst für das fließend-weiche Samtgewebe entschieden. Mit seiner schimmernden Oberfläche und den tiefen Farben Dunkelblau und Schwarz kann es dem Nachthimmel sehr ähnlich gestaltet werden. Im Rahmen der märchenhaften Präsentation, bei der künstlicher Schnee und Sternenstaub auf den Runway niederregneten, tauchte Samt in vielfältiger Umsetzung in der Kollektion auf. „Von Anzügen, die zusätzlich mit Sternen und Monden bestickt waren, über Wide-Leg-Hosen, die fließend auf Loafer und schwarze Stiefel fielen, bis hin zu eleganten Samtkleidern mit Baskenmützen“, so die „Vogue“. Begleitet wurde das weiche Material von transparentem Organza, strukturiertem Jacquard und Kleidungsstücken mit metallischen Ketten-Elementen. Die größtenteils dunkle Farbpalette wurde klar von Schwarz dominiert, da laut Armani gerade diese Farbe die Dreidimensionalität des Samtgewebes am besten zur Geltung bringen kann. Zudem gab es elegante Anzüge in leuchtend pistazienfarbenem Samt.
Auf der Mailänder Modewoche sollten Armani weitere Labels in Sachen Samt zur Seite stehen, mit Dolce & Gabbana sowie Gucci an der Spitze. Bei Dolce & Gabbana war fast die gesamte Kollektion in Schwarz. Und hier gab es neben einer Renaissance des Tuxedos auch reichlich Spitzenunterwäsche und filigrane Schleier sowie zahlreiche Baskenmützen als Accessoires. Während Dolce & Gabbana und Gucci (neben einigen schwarzen Kleidern) Samt-Elemente vor allem zu dekorativen Zwecken an ihren jeweiligen Kleidungsstücken nutzten, präsentierte sich Armani mit floral gemusterten Dresses, Hosen und Anzügen, die größtenteils aus schwarzem Samt bestanden, und machte sich damit hausintern selbst Konkurrenz.
Auf der Fashion Week in Paris hatte sich Samt klammheimlich in die Kollektionen von Labels wie Givenchy (blaues Minikleid oder schwarzer Samtmantel) sowie Balenciaga (schwarzer Hosenanzug mit weit geschnittenen Beinen) eingeschlichen.
Auch in der Menswear der Wintersaison 2024/2025 feierte Samt nach einer jahrzehntelangen Abstinenz eine fulminante Wiederauferstehung. Dies erfreut unter anderem besonders den Autor dieser Zeilen, der nach dem Kauf eines schwarzen Aigner-Samt-Anzugs vor knapp 20 Jahren auf eine lange modische Geduldsprobe gestellt worden war.
Die wohl gelungensten glamourösen Abendanzüge führt aktuell Dries Van Noten in seiner Kollektion, wobei die dazu gehörenden Hosen in einem weiten, fast feminin anmutenden Cargohosen-Stil gehalten sind. Nicht weiter überraschend ist auch, dass Giorgio Armani dem luxuriösen Gewebe in seinem neuen Herren-Sortiment besondere Aufmerksamkeit schenkt. Der Mann hat bei ihm die Wahl zwischen bauschigen Mänteln, zweireihigen Blazern, taillierten Westen und dicken, wärmenden Hosen. Das Highlight der Armani-Kollektion ist jedoch fraglos ein dreiteiliger Samtanzug mit einem Allover-Luchs-Print.
Von edlen Roben über schicke Anzüge bis hin zum Streetstyle
Darüber hinaus kann man in den neuen Winterkollektionen von Labels wie Todd Snyder, Ziggy Chen oder Juun J. ebenfalls reichlich Samt entdecken. Auch die optisch ähnlich anmutenden Varianten wie Cordsamt, Babycord oder Feincord, die seit jeher in der Herrenmode angesagt sind, finden sich in vielen interessanten Designs wieder, manchmal mit leichtem Retro-Einschlag wie etwa bei Kolor. Im Bereich Breitcord hat Fendi zudem das Must-Have der aktuellen Saison geschaffen.
Angesichts der breiten Präsenz von Samt in den Damen- und Herren-Kollektionen dieses Winters ist es überraschend, dass das Gewebe in kaum einer Aufstellung der angesagten Trends der Saison vertreten war. Stattdessen wurden dort wie jeden Winter Satin-Klamotten – aktuell beispielsweise von Ferragamo oder Victoria Beckham – oder die üblichen Stücke mit Pailletten oder in Metallic-Optik aufgelistet. Die schnöde Missachtung des Samts könnte möglicherweise mit der nicht ganz einfachen Definition des Gewebes und der Unterscheidung zu verschiedenen Arten des herkömmlichen Cords zusammenhängen. Im strengen Sinne handelt es sich bei Samt oder Velvet nicht um die Bezeichnung für einen Stoff, sondern um ein spezielles, recht kompliziertes Gewebe mit eingearbeitetem Fadenflor.
Aus Baumwolle oder Kunstfasern hergestellt
Schon im späten Mittelalter und vor allem in der anschließenden Renaissance wurde Kleidung aus Samt in Europa zu einem begehrten Luxusobjekt der Fürsten und Oberschichten. Für ihre Herstellung wurde damals Naturseide verwendet, während sie heute meist aus Baumwolle oder Kunstfasern gefertigt wird. Um die Kostbarkeit noch weiter zu erhöhen, wurden beim Samtbrokat zusätzlich Fäden aus Silber oder Gold in das Gewebe eingearbeitet.
Samt war lange Zeit ein Symbol für Status, Macht und Prunk, wobei diese Konnotation auch heute noch im Gedächtnis der modernen Gesellschaft fortlebt. Grundsätzlich fühlt sich Samt auf der Haut weich, flauschig, warm, voluminös und sanft an; typisch ist sein vornehmer Glanz. Von Velours und Plüsch unterscheidet sich Samt durch die Länge seines Flors, der bei Velvet am kürzesten ist. Auch Cordsamt, der ursprünglich in Manchester entwickelt wurde, wird als Samt bezeichnet.