Der US-Bundesstaat Arizona hat mehr zu bieten als nur den Grand Canyon. Wer offen ist für Orte abseits der Touristen-Spots, kann unter anderem bizarre Felsformationen, ein Cowboy-Museum und besondere Weingüter entdecken.
Der Blick auf das schier endlose Felsenlabyrinth aus Türmen, Zinnen, gigantischen Felsnadeln und Gesteinsblöcken raubt einem den Atem. Der Himmel leuchtet in tiefem Dunkelblau und die Luft auf fast 2.000 Metern Höhe ist kühl und kristallklar. Abgesehen vom Geräusch der eigenen Schritte ist es so ruhig, dass man die Stille regelrecht hören kann. Das „Land der stehenden Felsen“ wie es die Ureinwohner nennen, liegt inmitten der Chiricahua (sprich tschi-ri-ka-wah) Mountains, die nach dem Indianerstamm der Chiricahua-Apachen benannt wurden, die hier einst lebten. Im April 1924 wurde das knapp 50 Quadratkilometer große Areal mit den bizarren Felsformationen zum Naturschutzgebiet „Chiricahua National Monument“ erklärt. Geologen nehmen an, dass das geologische Wunder am Rand der Sonora-Wüste aus gewaltigen Vulkanausbrüchen vor über 25 Millionen Jahren hervorgegangen ist. Die Erosion im Laufe der Jahrmillionen tat ihr Übriges.
Einst machten die beiden legendären Apachen-Häuptlinge Cochise und Geronimo das Felsenlabyrinth zu ihrem Zufluchtsort, als sie zwischen 1862 und 1886 einen aussichtslosen Guerillakrieg gegen die Armee der Vereinigten Staaten führten. Das südöstlichste Territorium Arizonas, Cochise County, wurde 1881 nach dem berühmten Häuptling benannt, dessen tiefe Freundschaft mit dem amerikanischen Postreiter Tom Jeffords in Hollywood unter dem Titel „Broken Arrow“ (Der gebrochene Pfeil) mit James Stewart und Jeff Chandler als Cochise 1950 verfilmt wurde.
Willcox größtes Anbaugebiet für Wein
Arizona geizt nicht mit Naturspektakeln. Mit Weingütern auch nicht. Dass im flächenmäßig sechstgrößten Bundesstaat der USA drei große Weinbauregionen mit über 120 Weingütern beheimatet sind, wissen die wenigsten. Der Weinbau im Wüstenstaat ist alt: Jesuitenmissionare pflanzten hier bereits im 16. Jahrhundert die ersten Reben für ihren Messwein. Das größte Anbaugebiet, Willcox, das nach dem gleichnamigen Städtchen benannt ist, befindet sich 55 Kilometer nordwestlich vom Chiricahua National Monument. Außerhalb des Ortes liegt eingebettet zwischen dem majestätischen Mount Graham und den Dos Cabezas Mountains „Coronado Vineyards“, das erste preisgekrönte Weingut Arizonas, das von einer afro-indianischen Familie geführt wird. Gegründet wurde es 2006 von Doajo Hicks und seiner Frau Roxanne, die dem Volk der Navajo entstammt. Im Verkostungsraum des weinguteigenen Restaurants werden zu Tapas vier kleine Gläschen mit dem Wein der Wahl gereicht, darunter Cabernet Sauvignon, Malbec, Syrah und Riesling. Man muss kein Weinspezialist sein, um zu erkennen, dass die Weine den internationalen Vergleich nicht scheuen müssen.
Kaum jemand hätte vor 50 Jahren geahnt, dass nach der sieben Autominuten entfernten Kleinstadt Willcox, der Heimat des „Arizona Cowboy“, einmal Arizonas größtes Weinbaugebiet benannt werden würde. In den 1930er-Jahren trug der Ort den Beinamen „Cattle Capital of the World“ (Viehhauptstadt der Welt). Damals war das Städtchen, das 1880 als Zwischenstation am Streckennetz der Southern Pacific Railroad gegründet wurde, der größte Knotenpunkt für Rindertransporte per Eisenbahn in den USA. Mit dem Bau der 3.960 Kilometer langen Autobahn Interstate 10 ab 1956, die von Kalifornien nach Florida verläuft, nahm die Bedeutung der Eisenbahn ab. Der Bahnhof von Willcox wurde 1971 geschlossen und die Southern Pacific 1996 von der Union Pacific übernommen, deren endlos lange Züge mit bis zu 200 Güterwaggons täglich durch den Ort donnern. Im Historic Railroad Park vor den Gleisen steht in Bronze gegossen „Arizona Cowboy“ Rex Allen (1920 – 1999) mit einer Gitarre in der Hand. Der berühmteste Sohn des Städtchens begann seine Karriere als Country-Sänger, ging nach Hollywood und wurde mit dem Film „The Arizona Cowboy“ (1950) landesweit bekannt. Es folgten zahlreiche weitere Filme und Fernsehserien, in denen er meistens als „er selbst“ auftrat. Willcox hat dem singenden Cowboy ein Museum gewidmet. Die Wände der Räumlichkeiten sind mit Rex-Allen-Filmpostern und Fotografien gepflastert, in Vitrinen sind seine schillernden Kostüme und Cowboystiefel ausgestellt, in einer Ecke steht die lebensgroße Statue seines Filmpferdes Koko. In einem Raum befindet sich die Willcox Cowboy Hall of Fame mit den Konterfeis berühmter Cowboys der Region. Aus Lautsprechern tönt Rex Allen mit seinen Country-Songs.
Gangsystem misst vier Kilometer
Knapp 80 Kilometer südwestlich wartet im abgelegenen Kartchner Caverns State Park eine faszinierende Unterwelt, in der es glitzert und funkelt: Arizonas größte Tropfsteinhöhlen. Die „Caverns“ mit einer großen Vielfalt unterschiedlicher Tropfsteinformationen verfügen über ein Gangsystem von insgesamt vier Kilometern Länge und zwei große Hallen mit den Ausmaßen eines Fußballfeldes. Die Gebilde, die im Laufe der Jahrmillionen entstanden sind, wecken reichlich Assoziationen. Mit etwas Fantasie lassen sich in den spärlich beleuchteten Höhlen Lebewesen, bizarre Gegenstände und Gebäude, die an Märchenschlösser erinnern, erkennen. Entdeckt wurde das Höhlensystem von zwei Hobby-Höhlenforschern 1974 auf dem Land der Familie Kartchner. Diese verkaufte das Areal 1988 an den Staat Arizona, der zum Erhalt der Höhlen 28 Millionen Dollar in technische Einrichtungen investierte und die Kartchner Caverns 1999 für die Öffentlichkeit zugänglich machte. Die 90-minütige Führung durch die Unterwelt endet mit einer magischen „Sound & Light Show“ im größten Saal der Höhle.
Älter als Willcox ist die Weinbauregion Sonoita, die 35 Kilometer südwestlich vom Kartchner Caverns State Park beginnt und bereits 1946 offiziell als Weinbaugebiet ausgewiesen wurde. Das weitaus berühmtere Napa Valley im Nachbarstaat Kalifornien erhielt diese Anerkennung erst 1981. Zu den außergewöhnlichsten Weingütern gehören die „Los Milics Vineyards“ in Elgin. In der hügeligen Wüstengraslandschaft am Fuße der Mustang Mountains tauchen wie aus dem Nichts eine Reihe hoher stählerner Monolithen auf, die wie eine abstrakte Kunstinstallation wirken. Tatsächlich handelt es sich bei dem Stahlkonstrukt um den neu errichteten Verkostungsraum mit Restaurant der Los Milics Vineyards. Im Inneren des abstrakten Gebäudes eröffnen Glaswände den Blick auf üppig grüne Weinreben und die rot leuchtenden Berge im Hintergrund. Zwölf Rebsorten werden auf dem über 28 Hektar großen Weinberg auf knapp 1.500 Metern Höhe angebaut, darunter Grenache, Graciano und Montepulciano. Das schöne Ambiente lädt dazu ein, sich während eines Mittag- oder Abendessens ausgiebig durch die verschiedenen Weine zu probieren.
Imposanter Bau in einer Felsnische
Arizona glänzt nicht nur mit Naturspektakeln und hervorragenden Weinen, sondern auch mit einer der sichersten und am rasantesten wachsenden Städte der USA: Gilbert. Die knapp 270.000 Einwohner zählende Stadt, deren Einwohnerzahl 1980 bei weniger als 5.800 lag, liegt zweieinhalb Autostunden nördlich (257 km) von Elgin. Wer hier früh aufsteht, hat mehr vom Tag. Und wer zeitig in der Morgendämmerung zum Naturreservat Riparian Preserve at Water Ranch vor den Toren der Stadt fährt, wird zudem mit einem spektakulären Sonnenaufgang belohnt. Die Müdigkeit verfliegt, sobald das Lichtspektakel am Horizont beginnt und die einsetzende Morgenröte das Firmament hinter meterhohen Kakteen sanft mit Farben füllt, die wenig später zu einem leuchtenden Rot-Orange werden. Der kleine Naturschutzpark auf Wüstenareal, durch den sich sieben Kilometer Wanderpfade rings um acht größere und kleinere Gewässer schlängeln, ist ein kleines Paradies. Rund 280 Vogelspezies und 46 verschiedene Baum- und Sträucherarten sind hier beheimatet. Neben Sonnenaufgangsbegeisterten sind am Morgen Vogelbeobachter mit Ferngläsern und Kameras, Radler und Joggerinnen unterwegs. Ist der Zauber der Morgenröte vorbei, lockt im Zentrum von Gilbert ein herzhaftes Frühstück bei Prep & Pastry, das es auch in der veganen Variante gibt. Am Abend wartet ein köstliches Essen im hübschen Hinterhof des Farm-Weinguts Garage-East, das von fünf verschiedenen Weinen begleitet wird.
Einen Hauch Toskana versprüht „Alcantara Vineyard & Winery“ im Verde Valley, Arizonas drittem Weinanbaugebiet, knapp 200 Kilometer nördlich von Gilbert. Tatsächlich „sahen“ Barbara und Bob Predmore in der Landschaft vor über 20 Jahren die Toskana, als sie das Land erwarben und 2004 das Weingut gründeten, das seit 2019 von Winzer Ron Brumley geleitet wird. Die felsigen Kalksteinböden und das sonnige Klima des Verde Valley erinnern an die Weinbauregionen Frankreichs und Italiens. Das Hauptgebäude im italienischen Landhausstil wird von Zypressen überragt, dahinter erstrecken sich Reben bis zum Fuß der Berge. Hier wachsen Cabernet Sauvignon, Chardonnay, Pinot Noir, Riesling, Sangiovese, Syrah und elf weitere Rebsorten in biodynamischem Anbau. Angrenzend an die Weinstöcke befindet sich das weinguteigene Gartenrestaurant, wo Weinverkostungen mit Blick auf die italienisch geprägte Landschaft stattfinden.
Keine 30 Kilometer südöstlich des Weinguts liegt bei Camp Verde eine der besterhaltenen prähistorischen Bauwerke der USA: Montezuma Castle. Errichtet wurde der imposante Bau, der sich eng in eine Felsnische über dem Tal des Beaver Creek schmiegt, im frühen 12. Jahrhundert von den Sinagua, den ersten Bewohnern Arizonas. Über das präkolumbische Volk ist wenig bekannt. Lediglich eine ihrer Wohnstätten, die nur über Leitern zu erreichen ist, blieb erhalten. Als die spanischen Eroberer den Felsenbau entdeckten, hielten sie ihn für ein Aztekenschloss und nannten ihn Montezuma’s Castle nach dem aztekischen Herrscher Moctezuma. Der Bau besteht aus 20 Räumen und erstreckt sich über fünf Etagen. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts verschwanden die Sinagua, die Gründe für ihr Verschwinden sind unklar. Ihr einzigartiges Bauwerk steht heute als Nationalmonument unter staatlichem Schutz.